Thilo Schneider / 01.09.2020 / 16:00 / Foto: Timo Raab / 66 / Seite ausdrucken

Knapp daneben ist auch vorbei

Hui, das war aber knapp am Wochenende. Ganz knapp. Um ein Haar wäre in Berlin der Reichstag gestürmt und das Vierte Reich ausgerufen worden. Das Schicksal der kompletten Bundesrepublik und der von ihr bezahlten Parlamentarier und Volksvertreter hing an drei wackeren Polizisten, von denen einer sogar keinen Helm trug.

Was war passiert? Eine Rednerin  brüllte auf einer Bühne mit kreischender Stimme, dass Trump am Reichstag eingetroffen wäre und „sie“ (wer immer sie sein mögen) hätten „fast gewonnen“ und „sollen sich ihr Haus zurückholen“, indem sie sich „auf die Stufen des Reichstags setzen“. Ohne Eintritt zu bezahlen oder sich am Kassenhäuschen anzustellen.

Daraufhin machte sich ein Pulk von – laut laut- und irreführenden Medien – etwa 300 Leuten (auf dem Video, das ich sah, sah das nach keinen 100 Mann aus) zuerst über die Absperrgitter her und rannte auf den Reichstag zu. Dort angekommen, wedelten die Putschisten und Umstürzler mit alten Reichsfahnen, der türkischen Fahne, einer Regenbogenfahne und einer etwas unglücklich gestalteten, selbstgebastelten amerikanischen Flagge und schossen Selfies. Drei wackere Beamte der Berliner Polizei standen vor den abgeschlossenen Eingängen und fuchtelten eher unbeholfen als bedrohlich mit ihren Schlagstöcken. Wären diese drei Tapferen nicht gewesen, nicht auszudenken, was passiert wäre. ARD und ZDF hätten dann so gar nicht die Bilder bekommen, die sie gebraucht hätten, um helle Empörung und schiere Panik auszulösen und hätten auf die Selfies der terroristischen Reichstagsstürmer zurückgreifen müssen.

Hier wurde ein demokratisches Grundrecht für Nazipropaganda missbraucht“, entsetzt sich irgendeine entsetzte Annegret von der CDU auf Twitter. Helge Lindh, die Allzweckwunderwaffe der SPD, formuliert es etwas robuster: Ihr Verräter unserer Großeltern: Die sind mit Maske und wenig Freiheit im Heim und froh, das Reich und die Reichsflaggen hinter sich zu haben. Ihr Corona-Rebellen stürmt in Freiheit ohne Maske und mit Reichsflaggen den Bundestag. Aus dem Scheiß-Reich habt Ihr: #nixgelernt“. Also so in die Richtung: „Lieber reich ins Heim als heim ins Reich“. Etwas weniger ordinär gibt sich sein Kanzlerkandidat der Herzen, Olaf Scholz: „Nazisymbole, Reichsbürger- & Kaiserreichflaggen haben vor dem Deutschen Bundestag rein gar nichts verloren.“ Was und wer hingegen Greenpeace-Transparente, Türkei- und Russlandfahnen und die des regenbogenfarbigen Elfenreichs vor dem Bundestag verloren haben und hat, hat er leider nicht weiter ausgeführt.

Es gab härtere Sommerschlussverkäufe

Da will auch die FDP nicht zurückstänkern und erklärt, wer die heutigen Helden sind, stellt aber wenigstens eine interessante Frage. Marco Buschmann meint: Die drei Berliner Polizisten, die den Reichstag mutig verteidigt haben, sind Helden. Aber über ihre Dienstherren wird noch zu sprechen sein. Erst Demos präventiv verbieten wollen, aber dann die Bannmeile nicht effektiv zu schützen, passt nicht zusammen.“ Da hat er recht. An jedem verkaufsoffenen Montag stehen um den Reichstag mehr Polizisten als an diesem von finsteren Nazi-Horden berlinbesetzten Samstag. Und natürlich darf auch Bundesbedenkenträger Frank-Walter Steinmeier da nicht einfach in der Gegend herumschweigen: „Reichsflaggen und rechtsextreme Pöbeleien vor dem Deutschen Bundestag sind ein unerträglicher Angriff auf das Herz unserer Demokratie. Das werden wir niemals hinnehmen“, wird der sympathische Herzchirurg in der BILD zitiert. Und das ausgerechnet unter einem Video, in dem alle möglichen Farben – und ja, auch die alten Reichsfahnen – zu sehen sind.

Vielleicht bin ich ja etwas naiv und sehe die furchtbare Katastrophe nicht, an der diese Republik der Ängstlichen wirklich nur um Haaresbreite und an drei wackeren Polizisten im Hausmeistereinsatz vorbeigeschrammt ist, aber der größte Sachschaden, den die schrecklichen rechtsterroristischen Parlamentsputschisten verursacht haben, ist der zertrampelte Rasen vor dem Reichstag. Ich war bei Sommerschlussverkäufen, bei denen es härter zu Sache ging. Wenn es diese paar Hanseln bereits schaffen, die Demokratie „zu bedrohen“ und „zu missbrauchen“, wie wird diese Republik erst reagieren, wenn richtig gefährliche und echte staatszersetzende, antidemokratische Elemente auftauchen? Werden die dann in den Berliner Senat gewählt oder was passiert dann?

Immerhin konnte Innengeisel Senator stolz verkünden, dass es rund 300 Festnahmen, davon erstaunlicherweise 200 vor der russischen Botschaft, gab. Und quasi als Beifang hat es endlich A.H. – also Attila Hildmann – erwischt. Es gab allerdings auch keine Berichte über angezündete Autos, brennende und geplünderte Läden – und worüber auch so gar und überhaupt nicht berichtet wurde, waren die Gegendemos, die wohl auch stattgefunden haben.

Was bleibt also an Bildern hängen? Ein Trüppchen mehr überraschter als feindseliger Leute auf der Treppe zum Reichstag, das johlend und klatschend mit seinen bunten Fähnchen hantiert. Und eine hysterisch lautstarke Presse- und Politiklandschaft, die darin dringend den Untergang der bundesrepublikanischen Demokratie und das Vierte Reich heraufdämmern sehen will. Und das Geschehene zum gerade noch einmal knapp verhinderten Reichstagsbrand hochjazzt. Na dann: Let the music play.

(Weitere Musikmiststücke des Autors unter www.politticker.de

Foto: Timo Raab

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Wolfgang Kaufmann / 01.09.2020

Früher war es in Deutschland verboten, auf einem Bahnsteig eine Revolution zu veranstalten, ohne zuvor eine Bahnsteigkarte zu lösen. Inzwischen wissen wir, dass sich 3000 Kilometer Bahnsteige gar nicht schützen lassen, also sind die Bahnsteigkarten abgeschafft. – Heute ist es verboten, ohne Eintrittskarte die Reichstagstreppe zu penetrieren, außer man heißt Greenpeace oder FFF. Zum Glück gab es auf der Domplatte kein Kartenhäuschen, also konnten sie auch keinen für das Eindringen verurteilen. – Für die Zukunft werden vielleicht Intimitäten verboten, sofern nicht beide Partner eine Corona-Impfung nachweisen können. – Und der enthemmte deutsche Spießer kreischt und verlangt noch härtere Konsequenzen; für Hygienekraftzersetzer am liebsten gleich das Standrecht. Jawoll, Ordnung muss sein.

Klaus Jürgens / 01.09.2020

Etwas kreativer hätten die ‘Vordenker’ schon sein können. Die Ähnlichkeit mit dem Holländer vom Februar ‘33 ist ein bißchen zu platt.

Susanne Weis / 01.09.2020

“... endlich Attila Hildmann erwischt..”?? A. Hildmann wurde doch bei jeder seiner Demos in den letzten Monaten festgenommen. Oder, bei fast jeder.

Werner Liebisch / 01.09.2020

Das Böse scheint immer mit A. zu beginnen, bis auf die AdG natürlich. Attila, Adolf, Angie… Der Erstere erscheint mir der Harmloseste zu sein, der aktuelle Attila natürlich, nicht der Chef der Hunnen, obwohl der sicher noch viel harmloser als die beiden anderen waren. Die Letztgenannte halte ich für nicht ungefährlich,, seit ich Kindergartenkinder mit Masken im Freien spielen sehe, seit ich Menschen alleine auf dem Fahrrad mit Masken sehe, seit ich Menschen mit Maske am Steuer sitzend, ohne Insassen im Verkehr sehe….Mir macht das Angst. Der erste mag ein Spinner mit überschaubarer Anhängerzahl sein, der zweite ebenso, mit leider viel zu vielen, und bestialischen, nicht nur ferngesteuerten Anhängern. Der Dritten mit A, der traue ich Panzer über Bürger zu. Anhänger hat diese leider auch viel zu viele, wie man an den Zombies, nicht nur auf den Strassen sehen kann.

Burkhard Mundt / 01.09.2020

Nach “Hetzjagden”, Putschversuch mit Luftgewehr jetzt die dritte nazifizierte Lachnummer mit “Sturm auf den Reichstag”. An vorderster Front “Reichsbürger, Nazis, Rechtsextreme” mit Türkeifahne, Russlandfahne,, Regenbogenfahne und - zum Glück - Schwarz-Weiss-Rote Reichsfahne. Politiker- “Elite” in ihrem Wahn ...

B. Oelsnitz / 01.09.2020

Und der Klassenfeind ist??? ... das Volk aus dem Deutschen Märchenwald, die Aussätzigen sozusagen, der Mobb, ach nein, im SPED-Jargon das gemeine Pack.

Alexander Schilling / 01.09.2020

Und in ein, zwei Jahren werden ein Hamburger Nachrichtenmagazin sowie eine süddeutsche Tageszeitung kleinlaut zugeben müssen, dass feste freie oder andere Teile ihres stattlich geförderten Prekariats, mit falschen Flaggen versehen, auf ein Kommando obskurer V-Leute hin, bis vor die verschlossenen Türen des Reichstags die Treppen hoch gestürmt sind, um schließlich von Athos, Porthos und Aramis——aber spätestens an diesem Punkt wird sich der Stoff dann (mit allerhöchster Rückendeckung) bereits der Weltliteratur anbequemt haben…

Joachim Willert / 01.09.2020

Unser Ernst Reuter am 9.September 1948.    Einfach mal genießen. Wenn wir darum heute in dieser Stunde die Welt rufen, so tun wir es, weil wir wissen, daß die Kraft unseres Volkes der Boden ist, auf dem wir groß geworden sind und größer und stärker werden, bis die Macht der Finsternis zerbrochen und zerschlagen sein wird. Und diesen Tag werden wir an dieser. Stelle, vor unserem alten Reichstag mit seiner stolzen Inschrift »Dem Deutschen Volke«, erleben und werden ihn feiern mit dem stolzen Bewußtsein, daß wir ihn in Kümmernissen und Nöten, in Mühsal und Elend, aber mit standhafter Ausdauer herbeigeführt haben. Wenn dieser Tag zu uns kommen wird, der Tag des Sieges, der Tag der Freiheit, an dem die Welt erkennen wird, daß dieses deutsche Volk neu geworden, neu gewandelt und neu gewachsen, ein freies, mündiges, stolzes, seines Wertes und seiner Kraft bewußtes Volk geworden ist, das im Bunde gleicher und freier Völker das Recht hat, sein Wort mitzusprechen, dann werden unsere Züge wieder fahren nicht nur nach Helmstedt, sie werden fahren nach München, nach Frankfurt, Dresden, Leipzig, sie werden fahren nach Breslau und nach Stettin.     ........... das Recht hat, sein Wort mitzusprechen, dann .......

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