Manchmal mache ich mich zum Narren, lieber freiwillig als unfreiwillig. Dann setze ich mir im Supermarkt die Corona-Maske auf den Kopf wie eine Schellenkappe. Oder ich verlange in der Apotheke laut eine FKK-Maske! Oder ich stecke mir beim Schnelltest die Wattestäbchen in die Ohren statt in die Nase. Oder ich parfümiere mir am Desinfektionsmittelspender vor Besuch des Sonntagsgottesdienstes demonstrativ die Achselhöhlen. Kleine Fluchten, sehr kleine.
Vor ein paar Tagen versuchte ich, die Tiroler Grenze zu überqueren, um mir in einer kleinen Käserei endlich wieder ein Stück vorzüglichen Bergkäses zu kaufen. Ich wollte das mal ausprobieren, freilich ohne Test und ohne Chance. Nachdem mich zwei österreichische Bundesheer-Soldaten erwartungsgemäß „abgewiesen“ hatten, wie es im Grenzer-Jargon heißt, verfolgte mich eine deutsche Polizeistreife. Man lotste mich auf einen Parkplatz, vier schwer bewaffnete Jungs, denen offenbar langweilig war, umstellten mich in militärischer Formation und wollten wissen, warum ich abgewiesen worden sei. Ich sagte wahrheitsgemäß, dass es sich um den vergeblichen Versuch gehandelt habe, in Tirol ein Stückchen Bio-Bergkäse zu erstehen.
Dann gab ich ihnen ungefragt sämtliche „Papiere“, inklusive der Ausweiskarte meines seit einem halben Jahr geschlossenen Sportstudios und öffnete sämtliche Türen meines Autos, inklusive der Motorhaube. Ich habe Zeit, meinte ich, und würde mich freuen, endlich einmal Bekanntschaft mit dem Polizeistaat zu machen. Ein bisschen mulmig war mir schon zumute, doch irgendwann ließen sie von mir ab. Vielleicht ahnten sie, wie sinnlos ihr Unterfangen gewesen ist.
Die Waffen der Machtlosen
Ich weiß, dass Narrenfreiheit die Freiheit des Bürgers, die Menschen- und Bürgerrechte nicht ersetzen kann und dass solche Alltagsnarreteien mehr der persönlichen, psychischen Hygiene dienen, als dass man auf schelmische Weise Machtverhältnisse wirklich und wirksam ändern könnte. Trotzdem sollte man die Kraft des Witzes, die sich gerade wieder in der mutigen Aktion #allesdichtmachen namhafter Schauspieler manifestierte, nicht unterschätzen.
Von der sanften Macht der Subversion handelt einer meiner Lieblingsfilme mit dem Titel „Der Bockerer“, eine 1981 in Österreich entstandene Verfilmung der gleichnamigen „tragischen Posse“ von Ulrich Becher und Peter Preses. Darin spielt der großartige Karl Merkatz einen widerspenstigen Fleischhauer in der Wiener Vorstadt, der nach dem „Anschluss“ mit blitzscharfem Verstand und bissigem Humor beginnt, passiven Widerstand gegen das Regime und den nun auch über Österreich hereingebrochenen Nazi-Irrsinn zu leisten. Eine Mischung aus Schwejk und einer Figur aus einem Roman von Thomas Bernhard, sehr österreichisch, sehr wienerisch, aber immer auch allgemeingültig.
Eine Schlüsselszene zeigt den Bockerer im Büro eines Gestapobeamten, gespielt von Klaus Jürgen Wussow, der ihm androht, er werde ihn bei anhaltender Renitenz zeugungsunfähig machen lassen. Das sei nichts weiter Tragisches, „kleiner Schnitt an den Genitalextremitäten“. Da fängt der Bockerer an, herumzuschreien: Was, sie wollen mich beschneiden lassen? Einen Jud‘ wolln’s aus mir machen? Schließlich reicht es dem Gestapomann. Er wirft den Bockerer aus seinem Büro, um sich wichtigerem zuzuwenden: der Organisation einer „spontanen Volkserhebung“, der „Reichskristallnacht“.
Der Witz, die Posse, das Schelmenstück, es sind die Waffen der Machtlosen, aber den Mächtigen fällt der Kampf „mit dem Witz äußerst schwer“, wie es der russisch-sowjetische Dichter Jewgeni Jewtuschenko in seinem Gedicht „Der Witz“ formulierte, das von Dimitri Schostakowitsch in seiner 13. Symphonie „Babi Yar“ vertont wurde. Und zwar deshalb, weil sich der Witz konsequent ihrer Machtlogik entzieht. Um ihn zur Strecke zu bringen, bleibt am Ende nur die blanke, mörderische Gewalt, was ihnen, den Mächtigen, endgültig die Maske vom Gesicht reißt.
Gleich rief unser Witz: „Bin wieder da!“
Jewgeni Jewtuschenko: Der Witz
SOLO
Cäsaren, Regenten und Könige,
Die Herren im Rampenlicht,
Sie kommandierten nicht wenige,
Beim Witz jedoch, beim Witz jedoch ging das nicht.
Zu Leuten mit Ruhm und Besitz,
Die lebten so hin in Saus und Braus,
SOLO UND CHOR
Kam einst der Äsop voller Witz:
Da sahen sie gleich wie Bettelpack aus.
SOLO
Es kriechen, den Blick himmelwärts,
Die Heuchler mit schleimiger Schneckenspur.
SOLO UND CHOR
Von Nasreddin Hodscha ein Scherz
Fegt alle weg wie ‘ne Schachfigur!
SOLO
Man wollte den Witz einfach kaufen,
CHOR
Doch so bringt ihn keiner zum Schweigen.
SOLO
Man rief: „Knallt den Witz über’n Haufen!“
CHOR
Da tät’ er das Hinterteil zeigen!
SOLO
Der Kampf mit dem Witz fällt äußerst schwer.
Einst köpften ihn die Strelitzen
CHOR
Und zeigten den blutigen Schädel her
Auf ihren Lanzenspitzen.
SOLO
Da zogen mit Pauken und Trara
Die Gaukler zum Mummenschanz,
Gleich rief unser Witz: „Bin wieder da!“
SOLO UND CHOR
Und schmiss seine Beine im Tanz.
SOLO
Im schäbigen Rock, von allen mit Spott
Geplagt und ganz verzagt,
Ward er als politischer Feind verklagt
Und ging nun den Weg zum Schafott.
Voll Demut und Reue der Ärmste schritt,
als Sünder dem Jenseits zu.
Doch plötzlich er seinen Lumpen entglitt:
Da war er weg
SOLO UND CHOR
Im Nu!
SOLO
Man steckte den Witz in den Kerker,
Zum Teufel, das hat nicht gereicht.
SOLO UND CHOR
Trotz Gitter und Stein: Er war stärker
Und schritt hindurch ganz leicht.
Er hustet, und es schmerzen die Rippen,
Doch er hat Tritt gefasst.
So stürmt er, ein Lied auf den Lippen,
Bewaffnet zum Winterpalast.
SOLO
Gewöhnt an die Blicke voller Neid,
Die schaden ihm sicherlich nicht,
Ist er auch zum Witz über sich bereit:
Das gibt dem Witz Gewicht.
SOLO UND CHOR
Er bleibt ewig.
Stets wendig.
Lebendig.
SOLO
Der Witz kommt an alles heran.
SOLO UND CHOR
Hört her: Es lebe der Witz!
Der Witz ist ein tapferer Mann