Georg Etscheit / 27.04.2021 / 06:20 / Foto: The Great Dictator / 42 / Seite ausdrucken

„Knallt den Witz über’n Haufen!“

Manchmal mache ich mich zum Narren, lieber freiwillig als unfreiwillig. Dann setze ich mir im Supermarkt die Corona-Maske auf den Kopf wie eine Schellenkappe. Oder ich verlange in der Apotheke laut eine FKK-Maske! Oder ich stecke mir beim Schnelltest die Wattestäbchen in die Ohren statt in die Nase. Oder ich parfümiere mir am Desinfektionsmittelspender vor Besuch des Sonntagsgottesdienstes demonstrativ die Achselhöhlen. Kleine Fluchten, sehr kleine.

Vor ein paar Tagen versuchte ich, die Tiroler Grenze zu überqueren, um mir in einer kleinen Käserei endlich wieder ein Stück vorzüglichen Bergkäses zu kaufen. Ich wollte das mal ausprobieren, freilich ohne Test und ohne Chance. Nachdem mich zwei österreichische Bundesheer-Soldaten erwartungsgemäß „abgewiesen“ hatten, wie es im Grenzer-Jargon heißt, verfolgte mich eine deutsche Polizeistreife. Man lotste mich auf einen Parkplatz, vier schwer bewaffnete Jungs, denen offenbar langweilig war, umstellten mich in militärischer Formation und wollten wissen, warum ich abgewiesen worden sei. Ich sagte wahrheitsgemäß, dass es sich um den vergeblichen Versuch gehandelt habe, in Tirol ein Stückchen Bio-Bergkäse zu erstehen.

Dann gab ich ihnen ungefragt sämtliche „Papiere“, inklusive der Ausweiskarte meines seit einem halben Jahr geschlossenen Sportstudios und öffnete sämtliche Türen meines Autos, inklusive der Motorhaube. Ich habe Zeit, meinte ich, und würde mich freuen, endlich einmal Bekanntschaft mit dem Polizeistaat zu machen. Ein bisschen mulmig war mir schon zumute, doch irgendwann ließen sie von mir ab. Vielleicht ahnten sie, wie sinnlos ihr Unterfangen gewesen ist.

Die Waffen der Machtlosen

Ich weiß, dass Narrenfreiheit die Freiheit des Bürgers, die Menschen- und Bürgerrechte nicht ersetzen kann und dass solche Alltagsnarreteien mehr der persönlichen, psychischen Hygiene dienen, als dass man auf schelmische Weise Machtverhältnisse wirklich und wirksam ändern könnte. Trotzdem sollte man die Kraft des Witzes, die sich gerade wieder in der mutigen Aktion #allesdichtmachen namhafter Schauspieler manifestierte, nicht unterschätzen.

Von der sanften Macht der Subversion handelt einer meiner Lieblingsfilme mit dem Titel „Der Bockerer“, eine 1981 in Österreich entstandene Verfilmung der gleichnamigen „tragischen Posse“ von Ulrich Becher und Peter Preses. Darin spielt der großartige Karl Merkatz einen widerspenstigen Fleischhauer in der Wiener Vorstadt, der nach dem „Anschluss“ mit blitzscharfem Verstand und bissigem Humor beginnt, passiven Widerstand gegen das Regime und den nun auch über Österreich hereingebrochenen Nazi-Irrsinn zu leisten. Eine Mischung aus Schwejk und einer Figur aus einem Roman von Thomas Bernhard, sehr österreichisch, sehr wienerisch, aber immer auch allgemeingültig.

Eine Schlüsselszene zeigt den Bockerer im Büro eines Gestapobeamten, gespielt von Klaus Jürgen Wussow, der ihm androht, er werde ihn bei anhaltender Renitenz zeugungsunfähig machen lassen. Das sei nichts weiter Tragisches, „kleiner Schnitt an den Genitalextremitäten“. Da fängt der Bockerer an, herumzuschreien: Was, sie wollen mich beschneiden lassen? Einen Jud‘ wolln’s aus mir machen? Schließlich reicht es dem Gestapomann. Er wirft den Bockerer aus seinem Büro, um sich wichtigerem zuzuwenden: der Organisation einer „spontanen Volkserhebung“, der „Reichskristallnacht“.

Der Witz, die Posse, das Schelmenstück, es sind die Waffen der Machtlosen, aber den Mächtigen fällt der Kampf „mit dem Witz äußerst schwer“, wie es der russisch-sowjetische Dichter Jewgeni Jewtuschenko in seinem Gedicht „Der Witz“ formulierte, das von Dimitri Schostakowitsch in seiner 13. Symphonie „Babi Yar“ vertont wurde. Und zwar deshalb, weil sich der Witz konsequent ihrer Machtlogik entzieht. Um ihn zur Strecke zu bringen, bleibt am Ende nur die blanke, mörderische Gewalt, was ihnen, den Mächtigen, endgültig die Maske vom Gesicht reißt.

Gleich rief unser Witz: „Bin wieder da!“

Jewgeni Jewtuschenko: Der Witz
 

SOLO

Cäsaren, Regenten und Könige,
Die Herren im Rampenlicht,
Sie kommandierten nicht wenige,
Beim Witz jedoch, beim Witz jedoch ging das nicht.
Zu Leuten mit Ruhm und Besitz,
Die lebten so hin in Saus und Braus,


SOLO UND CHOR

Kam einst der Äsop voller Witz:
Da sahen sie gleich wie Bettelpack aus.


SOLO

Es kriechen, den Blick himmelwärts,
Die Heuchler mit schleimiger Schneckenspur.


SOLO UND CHOR

Von Nasreddin Hodscha ein Scherz
Fegt alle weg wie ‘ne Schachfigur!


SOLO

Man wollte den Witz einfach kaufen,

CHOR

Doch so bringt ihn keiner zum Schweigen.

SOLO

Man rief: „Knallt den Witz über’n Haufen!“

CHOR

Da tät’ er das Hinterteil zeigen!

SOLO

Der Kampf mit dem Witz fällt äußerst schwer.
Einst köpften ihn die Strelitzen


CHOR

Und zeigten den blutigen Schädel her
Auf ihren Lanzenspitzen.


SOLO

Da zogen mit Pauken und Trara
Die Gaukler zum Mummenschanz,
Gleich rief unser Witz: „Bin wieder da!“


SOLO UND CHOR

Und schmiss seine Beine im Tanz.

SOLO

Im schäbigen Rock, von allen mit Spott
Geplagt und ganz verzagt,
Ward er als politischer Feind verklagt
Und ging nun den Weg zum Schafott.
Voll Demut und Reue der Ärmste schritt,
als Sünder dem Jenseits zu.
Doch plötzlich er seinen Lumpen entglitt:
Da war er weg


SOLO UND CHOR

Im Nu!

SOLO

Man steckte den Witz in den Kerker,
Zum Teufel, das hat nicht gereicht.


SOLO UND CHOR

Trotz Gitter und Stein: Er war stärker
Und schritt hindurch ganz leicht.
Er hustet, und es schmerzen die Rippen,
Doch er hat Tritt gefasst.

So stürmt er, ein Lied auf den Lippen,
Bewaffnet zum Winterpalast.


SOLO

Gewöhnt an die Blicke voller Neid,
Die schaden ihm sicherlich nicht,
Ist er auch zum Witz über sich bereit:
Das gibt dem Witz Gewicht.


SOLO UND CHOR

Er bleibt ewig.
Stets wendig.
Lebendig.


SOLO

Der Witz kommt an alles heran.

SOLO UND CHOR

Hört her: Es lebe der Witz!
Der Witz ist ein tapferer Mann

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Leserpost

netiquette:

Dirk Jungnickel / 27.04.2021

Es ist höchst problematisch hier “Babi Yar” im Zusammenhang mit Witzen zu erwähnen. Es handelt sich um eine Schlucht bei Kiew , wo 1941 deutsche Einsatzgruppen Kiewer Juden als Vergeltungt für Anschläge erschossen hatten. Strittig ist die Beteiligung antijüdischer Ukrainer. Lange wurde um ein Denkmal gerungen, wobei Chruschtschow eine unrühmliche Rolle spielte. Das nur in aller Kürze.—-   Natürlich kann man mit Witz, Satire und Persiflage politische Mißstände auf die Schippe nehmen.  Wenn sich allerdings die Zustände in diesem unserem Lande derartig ins Groteske zuspitzen, ist wohl nur noch Sarkasmus angebracht. Leider !

S. Marek / 27.04.2021

An Alle—> Liest unbedingt die heutige “Die Morgenlage” der News Redaktion—-> “Hausdurchsuchung und Ermittlungen gegen Richter wegen Maskenurteils”.  Wegen eines Urteils gegen die Maskenpflicht in Schulen hat die Staatsanwaltschaft Erfurt gegen einen Richter am Amtsgericht Weimar ein Ermittlungsverfahren wegen angeblicher Rechtsbeugung eingeleitet, meldet zeit.de. Es bestehe ein Anfangsverdacht, habe ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Erfurt am Montag mitgeteilte. ...  Unter dem Mantel des angewandten “Rechts”  ( LOL )  breitet sich das faschistoide Regierungsvorgehen gegenüber aller die,  die irrsinnigen Maßnahmen zur Bekämpfung einer gespensterhafter “Pandemie” sich entgegen stellen.

T. Wagner / 27.04.2021

@Hartmut Laun: vielen Dank für diese Meldung. zur Meldung: Tiefer kann ein Staat nicht sinken ... - gegen einen Richter ermitteln, der sein Urteil auf Gutachten von renomierten Gutachtern stützt. Einfach nur traurig.

Nadja Schomo / 27.04.2021

Ehrlich gesagt, “schelmisch” ist mir manchmal zu wenig. Diese Schauspieler neulich mit ihrem ironischen Getue. Die öffentlichen Medien haben mit schockierenden Bildern Panik erzeugt. Warum haben diese Schauspieler nicht ihrerseits ein schockierendes Stück einstudiert?!? Szene: Altenheim, Sterbender, hinter isolierenden Folien vereinsamt?!? Kleinbürgerfamilie im Lockdown,  weinende Kinder, prügelnder Vater?!?  Verzweifelter kurz vor den Selbstmord?!? Arrogante Polizei, die jemanden, der harmlos auf einer Parkbank sitzt, in Panik versetzt?!? Auch wir dürfen, aus unserer Sicht, die Dinge überzeichnen (obwohl getreu wiedergeben oft ausreichen würde). Es muss ein Ende sein mit diesem Vergleichen von Protestierenden, die nur ihren Job riskieren, mit anderen, die, andre Zeit,  andrer Ort,  Folter und Tod riskiert haben!

Nadja Schomo / 27.04.2021

Ehrlich gesagt, “schelmisch” ist mir manchmal zu wenig. Diese Schauspieler neulich mit ihrem ironischen Getue. Die öffentlichen Medien haben mit schockierenden Bildern Panik erzeugt. Warum haben diese Schauspieler nicht ihrerseits ein schockierendes Stück einstudiert?!? Szene: Altenheim, Sterbender, hinter isolierenden Folien vereinsamt?!? Kleinbürgerfamilie im Lockdown,  weinende Kinder, prügelnder Vater?!?  Verzweifelter kurz vor den Selbstmord?!? Arrogante Polizei, die jemanden, der harmlos auf einer Parkbank sitzt, in Panik versetzt?!? Auch wir dürfen, aus unserer Sicht, die Dinge überzeichnen (obwohl getreu wiedergeben oft ausreichen würde). Es muss ein Ende sein mit diesem Vergleichen von Protestierenden, die nur ihren Job riskieren, mit anderen, die, andre Zeit,  andrer Ort,  Folter und Tod riskiert haben!

Verena Brüggemann / 27.04.2021

Habe schallend gelacht. Danke! Werde von nun an immer eine FFP2 auf dem Kopf tragen. Wenn dann einer fragt: ist doch besser als ein Aluhut, oder? ;-)

Ralf.Michael / 27.04.2021

Das mit der Gasmaske muss ich auch mal probieren. Eine mit kleinem Filter oder gleich die mit dem grossen Filter ?? Bisher habe ich an der Supermarkt-Kasse lediglich geäussert, das laut aktueller Nachrichten am naheliegenden Autobahnkreuz russische Panzer aufgetaucht wären ! Unterschiedlich interessante Reaktionen, besonders bei der älteren Generation…Bald kann man wieder im TShirt rumlaufen, auf meinem ist dann ein BIOHAZARD-Logo und CORONA-AMBULANCE aufgedruckt. Dann geht es an der Kasse etwas schneller ;o))

Volker Dreis / 27.04.2021

Es hat schon seinen Grund, warum nur der Narr die Wahrheit sagt. Aber auch nur bis Aschermittwoch.

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