Alexander Wendt / 02.07.2012 / 07:57 / 0 / Seite ausdrucken

Klug, ehrgeizig, unsichtbar (Teil 2)

Vergangene Woche stellten Forscher den neuesten Bildungsbericht für Deutschland vor – und kritisierten wieder einmal die schlechten Chancen für Migrantenkinder. Die hätten mit vielen „Nachteilen“ zu kämpfen, so der Bildungsforscher Horst Weishaupt, unter dessen Leitung der Bericht entstanden war. „Die Kinder aus Migrantenfamilien kapieren gar nicht, was in unserem Bildungssystem alles möglich ist – wenn wir es ihnen nicht besser erklären“, meine der Jugendforscher Thomas Rauschenbach. Was aber, wenn eine Gruppe von Einwandererkindern gar nicht auf die Erklärungen deutscher Jugend- und Bildungsforscher angewiesen wäre? Wenn sie in den Schulen sogar die angestammten Deutschen überflügeln würden? Bei öffentlichen Klagen über Integrationsversäumnisse fehlt merkwürdigerweise immer das Beispiel der Deutschvietnamesen. Denn ihr Erfolg widerlegt fast alle gängigen Klischees der Einwanderungsdebatte.

Wie Kinder eingewanderter Vietnamesen zu Bildungsgewinnern in Deutschland aufsteigen

Fortsetzung
(Hier finden Sie Teil 1)

Phang Huy Thaos „Reistrommel“-Büro liegt in Ahrensfelde, einer Endstation der S-Bahn. Hier draußen im Plattenbaugewirr endet auch Berlin, jedenfalls die schicke Hauptstadt. Thao, der Berater, kennt alle Stationen der vietnamesischen Einwanderung im Osten. Wie die Vertragsarbeiter Anfang der Neunziger alle aus den Betrieben herausgeworfen wurden. Wie drei Viertel nach Vietnam zurückgingen, und das restliche Viertel sie sich mit illegalem Straßenhandel durchschlug. Und wie dann tausende Straßenhändler den Aufstieg ins solide Unternehmertum schafften, davon auch viele der rund 15 000 vietnamesischen Einwanderer in Berlin.  „Wir waren immer gewohnt, zu arbeiten“, sagt Thao. Seine Frau betreibt ein Bistro im Prenzlauer Berg,  eine kleine Tochter besucht die Grundschule, die große Tochter bereitet sich auf das Abitur vor, und will etwas Künstlerisches studieren. Man sieht im an, dass er sich damit nicht ganz wohl fühlt: Nicht Medizin, nicht Jura, etwas Künstlerisches! Sie seien aber nicht so streng wie andere vietnamesische Eltern, sie mischten sich nicht in die Berufswahl ein, und drängten sie auch nicht, vietnamesisch zu lernen – das habe sie von sich aus getan. Ihre große Tochter sei „zuhause vietnamesisch, draußen deutsch“.  Das, worüber viele türkische Einwanderer klagen, die Zerissenheit zwischen zwei Kulturen, spielt für die Thaos, Buis und Trans in Deutschland offenbar keine Rolle. Weder fürchten sie sich vor Assimilation, noch sorgen sie sich unentwegt um ihre kulturellen Wurzeln. Wenn sie sich Sorgen machen, dann darüber, ob das Kind ein gutes Abi schafft.

Also überhaupt keine Probleme? Leider nicht, meint Thao. In letzter Zeit kämen viele Vietnamesen nach Deutschland, um Asyl zu beantragen –  was in 99 Prozent der Fälle scheitert. Da meist junge Frauen kämen, aus ländlichen Gebieten und wenig gebildet, hofften sie, durch Heirat ein Aufenthaltsrecht zu bekommen. Sie lebten meist von Harz IV, kämen kaum aus ihren Wohnungen in Ahrensfelde oder Marzahn, wo sie in einigen Hochhäusern schon die Mehrheit bildeten. Ihre kleinen Kinder, erzählt Thao, „können oft weder richtig vietnamesisch noch deutsch“.  In den Beratungsstunden würden sie ihm sagen, Hartz IV genüge ihnen: „Damit haben sie mehr als ein Minister in Vietnam“.

An der Berliner Plattenbauperipherie kann man wie unter Laborbedingungen studieren, wie Einwanderung funktioniert oder eben nicht: Die erfolgreichen Vietnamesen brauchten für ihren Erfolg kaum Hilfe vom deutschen Staat, sondern vor allem den eigenen Aufstiegswillen. Viele ihrer Ex-Landsleute, die jetzt kommen, drohen zu scheitern – nicht obwohl, sondern weil sie ins deutsche Sozialsystem einwandern. Andere der neuen Einwanderer aus Vietnam bilden auch den Nachschub für streng abgeschottete kriminelle Organisationen von Deutschvietnamesen, die vor allem in Ostdeutschland so genannte Indoor-Marihuanaplantagen betreiben. An der Hälfte dieser Plantagen, die in den letzten Jahren in Sachsen durch die Polizei ausgehoben wurden, waren Vietnamesen beteiligt. „Wenn wir nicht aufpassen“, meint Phang Huy Thao, „dann bekommen wir hier in ein paar Jahren dieselben Probleme wie in anderen Einwanderergruppen.“

Es ist kalt auf dem Kunstrasenplatz in Markkleeberg bei Leipzig. Duc Huy Le, 17, wärmt sich auf, kickt den Ball mit den Knien, rechts, links, rechts, links.  Seit dem Sommer 2010 gehört Duc, geboren 1993 in Leipzig,  zur A-Jugendmannschaft von Kickers 94 Markkleeberg. Irgendwann würde er gern in eine höhere Liga aufsteigen. Zurzeit bereitet er sich auf das Abitur in einem Berufsschulzentrum vor, dann möchte er Design studieren. Oder vielleicht professionell Musik machen. Er spielt Klavier und Gitarre. Ob er sich als Deutscher fühlt? Er schaut etwas verwundert. „Ich bin hier geboren und zur Schule gegangen. Klar bin ich Deutscher.“ Seine Mutter kam als Vertragsarbeiterin in die DDR. Verfolgt er die Debatte um Integration? Kurzes Zögern. „Ja, das verfolgt man schon als Ausländer.“ Sagte er nicht eben: Ich bin Deutscher? Möglicherweise rumpelt die Integrationsdebatte auch deshalb so schwerfällig: es gibt kein vernünftiges Wort für Deutsche aus Einwandererfamilien. „Migrationshintergrund“ – diese Sozialingenieurssprache gedeiht ausschließlich im Biotop von Leitartikeln und Integrationsgipfeln. Kein Mensch benutzt den Begriff für sich selbst.

Wie erklärt sich der Leipziger Duc Huy Le den Erfolg der vietnamesischen Einwanderer? Er lächelt etwas verlegen. Alle ostasiatischen Einwanderer seien eben fleißig und ehrgeizig. „Wir sind bereit“, sagt Duc, „für das zu kämpfen, was wir wollen.“

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