Da ich gestern über dieses Thema sprach (ich halte mich grade in Tel Aviv auf und rede tatsächlich über solchen Stuss, der beschriebene Sachverhalt gilt für mein Appartement in der Rehov Dizengoff ebenfalls), fiel mir ein, dass meine SubCulture-Glosse auch dem einen oder anderen Achsenleser Freude bereiten könnte:
Ich melde mich live aus meiner Wohnzimmercouch, von wo aus ich soeben einen Bericht über die ITB in Düsseldorf sah: Wir (Deutsche) sind noch immer Reiseweltmeister, da beißt die „gefühlte Inflation“ keinen Faden ab und wenn der Aufschwung nicht zu den Menschen kommt, kommen wir eben zum Aufschwung. In Ungarn, Tschechien oder Portugal ist der nämlich aufs angenehmste spürbar und dank der Billigfliegerei – m.E. die größte Errungenschaft des letzten Jahrzehnts – ist selbst das, was die Fürsorgeindustrie hierzulande als Armut deklariert, kein Grund mehr, auf Weltläufigkeit zu verzichten.
Tatsächlich sind fünfzig Euro für Valencia-hin-und-zurück auch dann noch immer grandios billig, wenn der eigentliche Flug hierbei angeblich nur 1,98 Euro kostet und der Rest auf „Frills“ entfällt wie z.B. die Mitnahme eines Koffers oder die Bezahlung mit Kreditkarte. Unbestätigten Gerüchten zufolge plant Ryanair einen Aufpreis für das tragen von Kleidung an Bord und einen weiteren kleinen Obolus, wenn man den raren Sauerstoff in der Maschine wegatmen möchte. Aber wen das stört, der kann inzwischen für ähnlich schmales Geld auch mit Staatsairlines fliegen, die dank Easyjet & co. die Luft aus ihren Preisen lassen mussten.
Wir (Deutsche) tun uns guten geschichtlichen Grundes wegen schwer mit Vaterlandsliebe, schämen uns außerdem im Ausland stets für unsere unkultivierten Landsleute in Grund und Boden und steigen doch bevorzugt in Hotels ab, in denen es zum Frühstück die gewohnte Megglebutter gibt. Das ist überhaupt nicht kritikwürdig, verglichen z.B. mit unseren englischen Freunden, die wesentlich ungenierter wesentlich mehr Erbrochenes an ihren Urlaubsorten zurücklassen. Wenn die Welt am deutschen Wesen genesen soll, geht das erfahrungsgemäß immer schrecklich schief und so artikulieren wir unser Missfallen über die handwerkliche Ausführung der Sanitärinstallationen in amerikanischen First-Class-Hotels leise und bekennen uns laut nur zum sogenannten „Verfassungspatriotismus“.
Was für ein Blödsinn! Das Grundgesetz ist eines der besseren, aber erstens nicht unbedingt auf deutsche Eigeninitiative zurückzuführen (wenn der Wehzwo eher unabsichtlich verloren worden sein sollte) und zweitens so grandios auch wieder nicht. Die bereits erwähnten Briten haben gar keine Verfassung, dafür aber seit Jahren derart solides Wirtschaftswachstum, dass sich kein Erwin und keine Gerda mehr eine Butterfahrt mit Verkaufsveranstaltung (Teilnahme freiwillig) nach London leisten können.
Viel ehrlicher wäre anderer Nationalstolz und so gehe ich mit geschwellter Brust voran und bekenne mich zum Klobrillenpatriotismus. Wer schon mal einen Toilettendeckel angebracht hat, der weiß, dass der Montierende die Position der Brille auf der Keramik im Radius von etwa sechs Zentimetern frei bestimmen kann. Wieso sind NUR deutsche Klempner in der Lage, die Dinger so anzubringen, dass der Schwerpunkt im aufgeklappten Zustand hinter dem Scharnier liegt – die Brille also oben bleibt? Das kann nicht nur an Meisterzwang und dualem Ausbildungssystem liegen. Die Boeing 737 wurde ja auch nicht von Sonderschülern unter Betreuung eines Zivildienstleistenden entwickelt – und doch haben die US-Ingenieure verpeilt, dass der Flieger sich in der Luft in einer Weise verformt, die die Klodeckel in allen Fluglagen, die außerhalb eines Absturzes jemals vorkommen können, zufallen lässt.
Wer wie ich mit Begeisterung Auswanderer- und seit neuestem Rückkehrerdokusoaps verfolgt, der erkennt schnell ein Muster: In richtig reichen Ländern kommt jeder klar, der entweder über Talent oder Fleiß verfügt. In Dubai, Norwegen, der Schweiz oder Großbritannien scheitern wirklich nur Randexistenzen, die sich auch hierzulande ausschließlich als Gewerkschaftsfunktionäre über Wasser halten können.
Eher keine gute Idee ist es aber, als promovierter Philosoph mit Magister in Altphilologie nach drei Jahren Hartzvier nach Südamerika zu ziehen, wo bei einem Durchschnittsjahreseinkommen von fünftausend Dollar 25% Arbeitslosigkeit herrschen und zur allgemeinen Überraschung auch noch Spanisch gesprochen wird – schwierig, schwierig. Oder latschen Sie mal mit einer deutschen Approbation in der Tasche in den Staaten zum Vorstellungsgespräch in ein Krankenhaus – Dr. Kelso wird Ihnen entgegenwerfen: „There did the carpenter leave a hole“! Wohingegen dort vom Fliesenleger über die Schreinerin bis zum Elektriker jeder Geselle akut Gefahr läuft, von der siebenundfünfzigsten Straße weg mit einem sechsstelligen Gehalt, Dienstwagen und Luxuskrankenversicherung in die kalte Arbeitswelt des hartherzigen US-Casinokapitalismus gezerrt zu werden. Aber nicht nur in den stinkreichen USA (wo man über staatliche Beihilfen zur Krankenversicherungen bei einem Haushaltseinkommen von weniger als 41.000 Dollar diskutiert, kein Witz) geht der teutonische Karosseriebauer unbeirrbar seinen Weg zu Erfolg und Anerkennung. Ich erinnere mich an eine Familie, die in Mosambik eine florierende Werkstatt eröffnete – in einem Land also, das nicht berühmt ist dafür, dass dort irgendetwas jemals funktioniert hätte. So profitiert der mosambikanische Automobilist ebenfalls von der Globalisierung.
Wenn ich eines Tages reich bin, werde ich alle deren Vorzüge ebenfalls nutzen: Leben unter der Sonne Tel Avivs, das Geld parken in Lichtenstein und von dort aus investieren in China, im Krankheitsfall die Bergluft in einem schweizer Sanatorium genießen und bei einem Rohrbruch Klempnermeister Schneider mit der Low-Cost-Airline einfliegen. Meine Soireen werden von den interessantesten Menschen des Landes besucht werden, denn jeder wird einen Blick auf meine Gästeklobrille erhaschen wollen.