Die Bundesregierung leistet sich ja so einiges. Darunter auch, gemeinsam mit dem Deutschen Bundestag, eine Unterstützung in ethischen Fragen – durch den 26-köpfigen (13 Männer, 13 Frauen!) Deutschen Ethikrat. Im Vergleich zu den von verschiedenen Ministerien ja gerne in Anspruch genommenen Dienstleistungen von verschiedenen Beratungsunternehmen gibt es diese Beratung ausnahmsweise mal zu einem echten Schnäppchen-Preis – knapp zwei Millionen Euro pro Jahr. Und das einschließlich der Kosten für die Geschäftsstelle in Berlin. In finanzieller Hinsicht backen Ethiker also offensichtlich eher kleine Brötchen. Bei Roland Berger würden sie für den Betrag nicht mal ans Telefon gehen, es sei denn UvdL persönlich ist dran. Aber um das Thema soll es hier nicht gehen.
Vielmehr geht es um eine öffentliche Tagung eben dieses Ethikrats im Oktober 2019 – unter Leitung seines Vorsitzenden, des Theologen Professor Peter Dabrock – mit dem blumigen Titel: „Meinen – Glauben – Wissen: Klimawandel und die Ethik der Wissenschaften“. Klingt zumindest nicht uninteressant, zumal diese Tagung die Grundlage für eine zu erwartende offizielle Stellungnahme des Ethikrats zum Thema Klimawandel sein dürfte. Also: Was ging da ab bei der Klimawandel-Fortbildung der Crème der deutschen Ethiker? Was verrät uns das umfangreiche Tagungsprotokoll?
Zunächst einmal geht es Professor Dabrock ganz offensichtlich darum, mögliche Missverständnisse schon im Keime zu ersticken, wenn er sich gleich zu Beginn seiner Begrüßungsansprache als linientreuer Alarmist positioniert: „Die Welt brennt. Es ist fünf vor zwölf, vielleicht schon danach, wir wissen es nicht so genau.“ Ansonsten hätten vielleicht die Zuhörer sein anschließendes Geschwurbel für bare Münze nehmen können: „Der innere Motor der Wissenschaft ist der Zweifel an dem gesicherten Stand des Wissens. (…). Nichts ist heilig, nichts ist für ewig, weshalb Wissenschaft keine Religion oder Metaphysik ist.“
In diesem Stil geht es vollmundig weiter: Eine Gefahr „ist dort gegeben, wo Wissenschaft als dogmatische Sicherheit ausgegeben wird, wo sie einen ideologischen Charakter bekommt, wo sie den Eindruck erweckt, sie könne aus Erklärungen geradezu umfassende Sinndeutungen ableiten oder – genauso schlimm – bestimmte Sinndeutungen als von vornherein unsinnig abstempeln.“
Schließlich wird noch geklagt über „Differenzierungsverluste (…) wenn von der Wissenschaft gesprochen wird“. Aber wäre es spätestens an dieser Stelle nicht doch zwingend notwendig gewesen, entweder selbst Stellung zur berüchtigten Legende von der 97-prozentigen Übereinstimmung der Klimaforscher zu beziehen – oder die eingeladenen Klimawissenschaftler und Medienforscher um Klärung zu bitten?
Im „Abschlusspodium“ durfte Luisa Neubauer nicht fehlen
Dieser Beschwörung von vermeintlich ehernen Werten der Wissenschaft zum Trotz war während der gesamten Veranstaltung – abgesehen von einer knappen, namenlosen Wortmeldung aus dem Publikum – keine grundlegend skeptische Position zur Theorie oder vielleicht besser: Hypothese eines maßgeblich oder so gut wie ausschließlich menschengemachten, CO2 verursachten Klimawandels zu hören. Auch nicht in Form eines rhetorischen Stilmittels, an dem sich dann der Referent kritisch hätte abarbeiten können. Dieses Manko gilt nicht nur für den klimawissenschaftlichen Teil der Veranstaltung, sondern auch für den medienanalytischen und ethischen.
Passend dazu durfte im „Abschlusspodium“ dann natürlich auch Luisa Neubauer nicht fehlen, die an der Anmoderation durch ein Mitglied des Ethikrats sicherlich nichts auszusetzen hatte: „Ich möchte noch einmal zusammenfassen: (…). Es wird wärmer, der Meeresspiegel steigt, Extremwetterereignisse nehmen in ihrer Intensität zu. Parallel beobachten oder messen wir unsere steigenden CO2-Emissionen“ usw., usf. Vorläufiges Fazit: Der Mainstream war unter sich, wobei die einen ein bisschen mehr, die anderen ein bisschen weniger alarmistisch gestimmt waren.
Zur letztgenannten Kategorie gehörte auf dieser Tagung der im Ruhestand befindliche Klimaforscher Professor Hans von Storch. Der allerdings vermittelte den Eindruck, als stecke er irgendwie zwischen Baum und Borke. So grantelte er ein bisschen an der politischen Vereinnahmung der Klimaforschung herum, benannte kurz schwerwiegende wissenschaftliche Fehlentwicklungen, um dann aber recht nonchalant darüber hinwegzugehen und auch vor Plattitüden nicht zurückzuschrecken: Der Wissenschaftsbetrieb „öffnet sich der permanenten kollegialen Kritik, dem Fegefeuer der Falsifikation“. Weiterführend und vielleicht gar erkenntnisfördernd wäre dieser Satz nur gewesen mit einem sehr konkreten Bezug zur Klimaforschung: Welche wichtigen Erkenntnisse oder vermeintlichen Gewissheiten sind – vielleicht von den Zuhörern bisher weitgehend unbemerkt – bereits im Fegefeuer verschmort, welche stehen mittendrin und welche möglicherweise kurz davor?
Passend zu dieser inhaltlichen Abstinenz wird dann nicht einmal den beiden folgenden, überwiegend unzutreffenden Behauptungen der deutlich alarmistischer gestimmten Direktorin des an sich renommierten Alfred-Wegener-Instituts widersprochen: „Zum Beispiel können wir den Meeresspiegelanstieg feststellen und sehen, dass er sich beschleunigt.“ Und: „Die Ergebnisse der Wissenschaft zeigen, dass wir (…) erhebliche Veränderungen haben mit erheblichen, überwiegend negativen Folgen für Ernährungssicherheit, Ressourcen“. Wäre da ein kurzer Verweis auf die tatsächliche Entwicklung der Pegelstände und unserer in den letzten Jahrzehnten ergrünten Erde (siehe hier und hier) nicht hilfreich gewesen?
Ausgeprägtes Vermeidungsverhalten bei den Ethikern
Und was genau bedeutet die folgende Aussage von Storchs für die Forschungsqualität innerhalb der Klimawissenschaften: „Wenn ein Klimaforscher andeutet, er stehe nicht 100-prozentig hinter der Erklärung des Klimawandels durch die Emission der Treibhausgase, dann wird er meist von den Gutachtern geschlachtet“? Niemand wollte hier eine etwas tiefer schürfende Analyse, nicht der Redner, nicht die anwesenden Mitglieder des Ethikrates, nicht die anderen Referenten und auch das Publikum nicht. Genauso verhielt es sich mit einem weiteren, für die Ethiker doch eigentlich alarmierenden Sachverhalt, den von Storch immerhin benennt: den Umgang mit dem sogenannten Hiatus, also der mehrjährigen Erwärmungspause ab etwa 1998, trotz global weiter ansteigender CO2-Emissionen. Dieser Hiatus, so von Storch „ist aber von vielen Wissenschaftlern sofort abgebürstet worden als: Das kann nicht sein.“
Was sagt uns ein solches Verhalten von Wissenschaftlern? Vieles. Unter anderem, dass es doch wohl eine hohe Dunkelziffer und ein hohes Wiederholungsrisiko für die Leugnung von nicht ins Weltbild passenden Forschungsbefunden gibt. Aber auch hier: ausgeprägtes Vermeidungsverhalten bei den Ethikern – bloß nicht nachfragen, bloß keine schlafenden Hunde wecken. Wie die Qualität der Forschung erodiert, wenn ideologisch getriebene Wissenschaftler von ebenso ideologisch getriebenen Gutachtern beurteilt werden, demonstriert der renommierte australische Great-Barrier-Reef-Forscher Professor Peter Ridd hier (mit deutscher Übersetzung) ausgesprochen eindrucksvoll und überzeugend.
Nach dem Klimaforschungsteil ließ sich der Deutsche Ethikrat von Medienforschern über die „Darstellung des Klimawandels in den Medien“ informieren. Vielleicht sollte der Leser ein kurzes Stück aus diesem Teil der Tagung einmal im O-Ton auf sich wirken lassen: „Wir haben die Klimaforscher 2015 gefragt, inwieweit sie einzelne Bedingungen zur Berechnung des Klimas für ausreichend erfüllt halten. (…) Die große Mehrheit der Klimaforscher ist der Ansicht, dass einzelne Bedingungen heute noch nicht erfüllt sind, aber in Zukunft erfüllbar sind. Da ging es zum Beispiel um die Qualität der Klimamodelle, um das Verständnis klimatischer Prozesse, um die Verfügbarkeit und die Präzision empirischer Messdaten. (…) Da gab es eine gewisse Unsicherheit unter den Klimaforschern, die aber auch keine Sensation ist. Das wurde eben schon gesagt: Was ist in der Wissenschaft schon gewiss?“
So kann man diese Befunde natürlich auch abtun. Diskussionsbedarf seitens der veranstaltenden Ethiker, der anderen Referenten oder des offenbar durchweg aktivistisch gesonnenen Publikums? Keine Spur. Ebenso wenig wie bei einem anderen vorgetragenen Befund, dass nämlich ausgerechnet diejenigen Klimaforscher bei Journalisten Gehör fänden, „die in hohem Maße von der Verlässlichkeit ihrer Daten überzeugt waren. Bei denen, die erhebliche Zweifel hatten, war der Anteil wiederum verschwindend gering.“ Tja, so sind sie, unsere Journalisten. Am wohlsten fühlen sie sich nun mal unter Gleichgesinnten.
Blinde versuchen, anderen Blinden Orientierung zu geben
Auch bei der anschließenden Ethik-Debatte geht es nicht wirklich kontrovers zu. Dafür sind die Ethiker aber offensichtlich zufrieden mit dem Tagungsverlauf: „Für unser Beispiel des Klimawandels setzt dies die Aufgabe voraus (was wir auch getan haben), die wissenschaftlichen Ergebnisse zur Kenntnis zu nehmen, zu verstehen, sie interpretieren zu können, aber auch über wirtschaftliche und verantwortliche politische Konsequenzen nachzudenken.“ Und: Damit könne die Klimaethik „Orientierungswissen für die Klimapolitik bereit (stellen)“. Aber kann das gut gehen, wenn Blinde versuchen, anderen Blinden Orientierung zu geben?
Zu dieser aus einer kritisch-wissenschaftlichen Sicht doch ausgesprochen enttäuschend verlaufenen Tagung passt, dass man auch ein ganz spezielles, sich beim Thema Klimawandel geradezu aufdrängendes ethisches Problem gänzlich unberücksichtigt ließ: die Ethik von Prognosen. Bekanntlich ist das Thema des aktuellen Klimawandels, wie vielleicht kein zweites, untrennbar verknüpft mit Prognosen auf verschiedenen Gebieten mit zudem unterschiedlichen Zeithorizonten – und damit auch mit den Prognosen grundsätzlich immer innewohnenden Unsicherheiten.
Verschärft werden die bereits aus diesen Unsicherheiten entstehenden ethischen Probleme beim Thema Klimawandel durch drei weitere Aspekte: Erstens haben sich so gut wie alle in den letzten vierzig Jahren zum Klimawandel gemachten Prognosen entweder als schlicht falsch oder aber zumindest als deutlich übertrieben bzw. systematisch in eine Richtung verzerrt herausgestellt. Zweitens, sieht es auch bei der aktuellen Generation von Klimamodellen diesbezüglich nicht besser aus. Und das sagen nicht nur die üblichen Verdächtigen, sondern mittlerweile auch andere, wenn sie beklagen, dass die Klimamodelle „strukturell ungeeignet (sind), irgendetwas von Bedeutung über unser Klimasystem auszusagen“. Handelte es sich dabei bloß um Prognosen innerhalb des Elfenbeinturms der Wissenschaften – geschenkt. Aber wenn, drittens, die Politik auf Grundlage eben solcher Prognosen, ungewöhnlich weitreichende, den Wohlstand und sozialen Frieden sowie potenziell die demokratischen Freiheiten einer ganzen Nation gefährdende Maßnahmen auf den Weg bringt, sieht das Ganze doch ein bisschen anders aus.
Einpeitscher aus der Wissenschaft
Was wäre zum Beispiel, sollte zum Ende des neuen Jahrzehnts der – aus Sicht unserer aktuellen Regierung – „worst case“ eingetroffen sein? Unzuverlässige und teure Energieversorgung mit häufigeren Blackouts, Deindustrialisierung, beginnende Massenverelendung mit Erosion des nicht mehr zu finanzierenden Sozialstaats, dabei global weiter ansteigende CO2-Emissionen und zu allem Überfluss auch noch eine mittlerweile eindeutig eingesetzte Abkühlung?
Kann es dann nur um die Übernahme von politischer und moralischer Verantwortung gehen? Man habe doch nur das Beste gewollt, sich auf die Wissenschaft verlassen oder sei Opfer höherer Gewalt geworden – und gut ist? Oder ist das Ganze dann nicht vielleicht auch juristisch aufzuarbeiten, sowohl im Hinblick auf bestimmte Einpeitscher aus der Wissenschaft als auch auf die für das Desaster hauptsächlich verantwortlichen Politiker? Da fragt sich der juristische Laie: Sollten sie dann nicht angeklagt werden können, zumindest wegen Verletzung der Sorgfaltspflicht oder Fahrlässigkeit, in Einzelfällen vielleicht auch wegen Korruption und Betrugs oder, ein paar Nummern größer, gar wegen Menschenrechtsverletzungen? Zumal die Latte dafür seit etlichen Jahren vom EuGH beständig tiefer gelegt wird. Und sollte sich dabei die jahrzehntelange systematische Ignoranz gegenüber „klimawandelskeptischen“ Positionen oder gar deren gezielte Unterdrückung nicht strafverschärfend auswirken?
Zu guter Letzt seien vorrangig unsere Ethiker an ein historisches Beispiel erinnert: Auch die Erbgesundheitslehre – die Eugenik – stand mitnichten nur bei den Nationalsozialisten hoch im Kurs, sondern war eine Zeitlang auch international durchaus im wissenschaftlichen Mainstream angesiedelt. Mainstream schützt also vor Torheit nicht. Aber es erfordert auch Mut, ihn zu kritisieren oder gar zu verlassen. Und daran mangelt es, nicht zuletzt beim Deutschen Ethikrat.