Egal ob Tsunami, Terroranschlag oder Börsencrash: Wann immer sich Schlimmes ereignet, werden Klimaschützer von so einer Art Katastrophen-Eifersucht befallen. Motto: Jetzt habt euch mal nicht so, die einzig wahre, finale und Überhaupt-Katastrophe ist die Klimakatastrophe. Sie ist die Mutter aller Katastrophen, da kommt nix dran und die lassen wir uns nicht von trivialen Kleinunfällen kaputt machen. Aktuell lässt sich das beispielsweise beim Spiegel beobachten, da ist der Kolumnist Christian Stöcker regelrecht beleidigt und klagt: „Covid-19 legt Teile der Weltwirtschaft lahm, Notenbanken senken die Zinsen, Regierungen verkünden drastische Maßnahmen. Warum funktioniert das nicht bei der ungleich gefährlicheren Katastrophe, die uns droht?“
Dem Mann kann geholfen werden, die Antwort ist ja relativ einfach und besteht im Wesentlichen aus ein paar einfachen Einsichten: Am Coronavirus sterben konkret jeden Tag Menschen, während es sich beim Klimafieber lediglich um eine vermutete Katastrophe in 50 oder 100 Jahren handelt. „Und dann ist da diese andere potenzielle Katastrophe, ebenso global“, schreibt Stöcker. Man beachte das Wort „potenziell“. Wer die Folgen des Corona-Virus sehen will, muss nur einen Blick nach China oder Italien werfen, für die Folgen des Klimawandels braucht man hingegen eine Glaskugel und einen festen Glauben, ähnlich wie beim Fegefeuer.
Aber auch da weiß Stöcker Rat: „Glauben Sie nicht mir, glauben Sie den Ökonomen einer Bank, die bis heute ständig Großprojekte zur Ausbeutung fossiler Brennstoffe finanziert“, schreibt er und zitiert aus einem „geleakten internen Bericht“ der Bank JP Morgan. Diese bekannte Großforschungseinrichtung ist zwar nicht in der Lage, den Dollarkurs von morgen vorherzusagen, hat aber zum Thema Klima Bahnbrechendes herausgefunden: "Wir können katastrophale Entwicklungen nicht ausschließen, die das menschliche Leben an sich, wie wir es kennen, bedrohen." Genau wie ich nicht ausschließen kann, dass ich morgen Chefredakteur des Spiegel werde und Christian Stöcker als Korrespondent in die Antarktis versetze. Dort könnte er auch das erste Gebot der Nachhaltigkeit kennenlernen: Ich muss erst mal heute überleben, wenn ich morgen die Welt retten will.
„Plädoyer für das Corona-Virus“
Aber die Sache mit dem Überleben ist in einer Branche, in der Neugeborene schon mal als CO2-produzierende Klimaschädlinge empfunden werden, eigentlich nicht mehr auf der Höhe der Zeit. „Corona-Virus als Klima-Retter“ heißt es bei Telepolis, und Autor Marcin Pietraszkiewicz formuliert als "advovcatus diaboli" ein "Plädoyer für das Corona-Virus". Zitat: „Das kleine Virus hat das Potenzial zu vielen positiven Änderungen“, denn, so die bestechende Logik: „Wie die neuesten Bilder der NASA und der ESA zeigen, ist die Stickoxid-Konzentration über China seit dem Ausbruch der Corona-Epidemie drastisch zurückgegangen. Die NASA spricht von einer Reduktion dieses Treibhausgases um bis zu 30 Prozent“. Und dann werden auch noch Statistiken und mutmaßliche Erkrankungs- und Todesfälle durch Luftverschmutzung mit den Corona-Toten verrechnet und der Schluss nahegelegt: In der Gesamtbilanz alles paletti, Corona rettet massenweise Menschenleben. Die Armen von heute dürfen ruhig sterben, damit die Reichen von morgen überleben können. Zumal das sozialverträgliche Frühableben auch die Krankenkassen entlastet.
Zynismus, Nihilismus und Misanthrophie sind für Klimaretter dieser Couleur feste Lebensabschnittsbegleiter. „Der Klimawandel ist wahrscheinlich langfristig eine weit größere Gefahr für das Überleben als jetzt aktuell das Corona-Virus“, sagt auch der Soziologe Harald Welzer in einem Kommentar auf dem Berliner Radio 1 (RBB), „also wenn wir nur ein Spurenelement des Virus-Aktivismus in der Klimapolitik sehen würden, dann wären wir schon erheblich weiter. Also Corona machts möglich, CO2 anscheinend nicht“.
Und dann bricht der feuchte Traum eines jeden Totalitären aus ihm heraus. Die drastischen Maßnahmen gegen Corona haben es ihm total angetan: „Wir sehen in der Klimapolitik das exakte Gegenteil, das ist alles total kompliziert, man muss auf alle Rücksicht nehmen, die Bürger, die Gelbwesten, die Autoindustrie, die Wirtschaft, die Vogonen, was auch immer und in den Talkshows erklären Markus Söder, Olaf Scholz und Christian Lindner unermüdlich, dass man den Menschen nichts vorschreiben kann, und Freiheit sei ja überhaupt das wichtigste und Öko-Diktatur geht gar nicht und so weiter und so weiter“.
Ja, das wär‘s doch: Auf niemanden Rücksicht nehmen. Bürger, Gelbwesten und sonstige Vogonen unter Hausarrest stellen. Die Freiheit endlich mal ein bisschen aussetzen. Und dann wird endlich das Öko-Paradies über uns kommen. Welzer: „Und am Ende wird man sehen, dass es auch mit weniger von allem geht, ohne dass die Welt untergeht. Wir können lernen, dass wir vieles von dem, was wir jetzt als notwendig voraussetzen, am Ende gar nicht brauchen“.
Na, hoffentlich hört das unsere Kanzlerin nicht, die liebt nämlich den Ausnahmezustand, weil man da so schön alternativlos durchregieren kann. Und sie stellt auch immer wieder fest, dass wir vieles von dem, was wir als notwendig erachten, gar nicht brauchen. Nach Fukushima hat sie festgestellt, dass wir keine Atomenergie brauchen. In der Flüchtlingskrise 2015 hat sie festgestellt, dass wir keine Grenze brauchen. Womöglich stellt sie diesmal fest, dass wir keinen Auslauf mehr brauchen und den Hausarrest lieben lernen, weil das auch fürs Klima besser ist. Eine echte Win-win-Situation.
Von Dirk Maxeiner ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Portofrei zu beziehen hier.