Eines muss man den Amis lassen: Auf Show verstehen sie sich. Etwa eine Woche nach der Erstürmung des Kapitols in Washington durch Anhänger des scheidenden US-Präsidenten Donald Trump, längst als „Putschversuch“ kanonisiert, meldete sich Arnold („Arnie“) Schwarzenegger in einem Video zu Wort, der republikanische Ex-Gouverneur Kaliforniens, Ex-Bodybuilder und Ex-Filmstar. In eine Art schwarzen Kampfanzug gekleidet, in den Händen das Schwert aus seinem Action-Klassiker „Conan der Barbar“ von 1982, rechnet der Ex-Österreicher mit Trump ab und vergleicht die Vorfälle im Kapitol mit der „Reichskristallnacht“ vulgo Pogromnacht im Jahre 1938, als im deutschen Reich hunderte Synagogen und jüdische Geschäfte zerstört und tausende von Juden gedemütigt, misshandelt oder sogar getötet wurden.
Wie Spiegel Online darauf kam, dass sich Schwarzenegger mit seinem Auftritt als das „völlige Gegenteil von Trump“ präsentiert habe, lässt sich nicht eruieren. So martialisch jedenfalls hatte sich der „schlechteste US-Präsident aller Zeiten“ (Schwarzenegger) nie präsentiert, zumindest wenn man einen Golfschläger nicht als Hiebwaffe, sondern als Sportgerät ansieht. Das deutsche Wort Reichskristallnacht übersetzt Schwarzenegger für seine englischsprachigen Zuschauer mit „Night of Broken Glass“ und erklärt pathetisch, die einstigen Schläger von SA und SS seien das „Naziäquivalent der Proud Boys“, einer rechtsgerichteten Organisation eher jüngerer weißer Männer.
Dass dies alles im Terminator-Slang „Bullshit“ ist, dass der Vergleich, wie die meisten Nazivergleiche, auf beiden Beinen hinkt und jedes Maß vermissen lässt, tut nichts zur Sache, die Botschaft jedenfalls kam an und wurde von geneigten Medien in aller Welt beflissen verbreitet. Ein „Welt“-Kolumnist fühlte sich sogar zu dem Kommentar ermutigt, dies sei der erste Nazivergleich gewesen, bei dem er nicht zusammengezuckt sei. Vielleicht wird der Journalist der ehemals konservativen „Welt“ auch nicht mehr allzu viel Gelegenheit haben, bei solchen und ähnlichen Vergleichen zusammenzuzucken. Denn Arnies Auftritt markierte nicht nur einen Höhepunkt aller Nazivergleiche, sondern auch deren möglicherweises Ende.
Die Nazi-Keule wird lieber geschwungen als die Stalin- oder Mao-Keule
Wenn man in Google das Wort „Nazivergleich" eingibt, kommt man auf fast 40.000 Treffer. Ausgedruckt würden sie wohl den Umfang von Hitlers „Mein Kampf“ übertreffen und wären mindestens so unverdaulich. Die Ineinssetzung von Personen, aktuellen Ereignissen, Entwicklungen und Haltungen mit solchen aus der Nazizeit, insbesondere mit Hitler, Goebbels und Freisler, Judenstern, Holocaust, der Pogromnacht, dem „Stürmer“ oder dem „totalen Krieg“, ist ein rhetorisches Massenvernichtungsmittel, eine komparatistische Streubombe, die zuverlässig trifft und erhebliche Kollateralschäden anrichtet. Sie garantiert, dass jede Diskussion, ob im Bundestag, im Netz oder bei Maybrit Illner, in wüste Schreierei ausufert und jede Differenzierung auf der Strecke bleibt. In den Händen von unwissenden oder skrupellosen Diskutanten sind sie nicht das Florett, sondern der Säbel bzw. das Schwert, womit der Terminator zumindest ikonographisch absolut richtig liegt.
Im engeren Sinne gibt es Nazivergleiche natürlich erst seit Kriegsende, als die braunen Verbrechen für alle offenkundig wurden. Doch in der Literatur wird ein Vorläufer genannt, und zwar in Gestalt des sowjetischen Parteitheoretikers Grigori Sinowjew. Er prägte 1924 die These vom Sozialfaschismus, wonach die reformbereite Sozialdemokratie als „linker Flügel des Faschismus“ anzusehen und entsprechend zu bekämpfen sei. Diesen Schlag unter die rote Gürtellinie parierte der SPD-Politiker Kurt Schumacher in der Weimarer Republik mit einem „Ätsch, selber Faschisten“. Die Kommunisten seien „in Wirklichkeit nur rot lackierte Doppelausgaben der Nationalsozialisten“. Nach dem Zweiten Weltkrieg lebte die Gleichsetzung von Kommunisten und Faschisten noch einmal auf im Gewand der Totalitarismusthese Hannah Arendts, wonach totalitäre Systeme wie Kommunismus und Faschismus viele gemeinsame Merkmale aufweisen, etwa der „Kampf um totale Herrschaft im Weltmaßstab und die Zerstörung aller anderen Staats- und Herrschaftsformen“.
In der politischen Arena ist eine solch differenziert-analytische Sichtweise zweier vorderhand antagonistischer und erst auf den zweiten Blick miteinander verwandter Systeme („les extrêmes se touchent“) selten anzutreffen. Stattdessen wird hier gerne die sprichwörtliche Nazikeule geschwungen, wobei auffällt, dass eine Stalin- oder Mao-Keule viel seltener zum Einsatz kommt, weil ja alle Varianten des Sozialismus, so die gängige salonlinke Überzeugung, zumindest gut gemeint waren, Faschismus oder Nationalsozialismus dagegen von Grund auf böse gewesen sind. Dass Stalin, Mao, Pol Pot und die anderen von Marx, Engels und Lenin inspirierten Gesellschaftsklempner ebenfalls gigantische Leichenberge zu verantworten haben, wobei sich eine Aufrechnung der Zahlen aus moralischen Gründen verbietet, wäre wohl schon wieder zu viel der Differenzierung.
„Gartennazis“ mit Rasenmähern
Die hohe Zeit des Nazivergleichs, wie wir ihn heute kennen, begann in den späten sechziger Jahren im Zuge der Studentenrevolten. Als Mutter aller Nazivergleiche darf der Slogan „Unter den Talaren: Muff von tausend Jahren“ gelten, der von rebellischen Studenten in Hörsälen und auf der Straße skandiert wurde. Alles, was nicht ins Weltbild der selbst ernannten Großstadtguerilla passte, war „faschistoid“ oder zumindest „prä- bzw. protofaschistisch“. Ein amerikafreundlicher Vortrag des Philosophen Max Horkheimer, führender Kopf der „Frankfurter Schule“, wurde von Linken als „Apologie des Faschismus“ bezeichnet. Der Gelehrte wehrte sich, indem er „seine Furcht vor der Verwandtschaft dessen“ artikulierte, „was sich heute kommunistisch nennt, mit faschistischem Terror.“ Während des Vietnamkrieges begann sich der Nazivergleich bereits zu internationalisieren: „USA – SA – SS“ lautete ein beliebter Slogan friedensbewegter Demonstranten.
Das Niveau der Nazivergleiche war zur damaligen Zeit noch vergleichsweise hoch und ihr Gebrauch nicht nur auf Krawall und Effekt, sondern zuweilen noch auf Erkenntnisgewinn ausgerichtet. Doch in den folgenden Jahren, in denen die eigentlichen Adressaten, die wirklichen „alten Nazis“ von der Bühne abtraten, entwickelte sich der Nazivergleich zur rhetorischen Universalwaffe und etablierte sich, so der Politologe Norbert Seitz, im „probaten Totschlagarsenal der politischen Auseinandersetzung“, wobei auch die eher unpolitische Sphäre privater Gartenliebhaberei infiltriert wurde. Im Sommer 2002 fühlte sich der Liedermacher Reinhard Mey in seinem Haus auf Sylt so sehr in seinem Ruhebedürfnis beeinträchtigt, dass er sich in einem offenen Brief an die Gemeindeverwaltung über „Gartennazis“ beschwerte, die mit ihren Rasenmähern einen veritablen „Lärmterror“ entfachten. Darüber berichtete die Bild-Zeitung, die sich selbst immer wieder des Vorwurfs erwehren muss, eine Neuausgabe des (antisemitischen) Hetzblattes „Der Stürmer“ zu sein.
Am einfachsten und beliebtesten sind die direkten Vergleiche mit dem größten Unhold aller Zeiten: „Saddam ist Hitler“ (George W. Bush), „Osama bin Laden ist Hitler“ (derselbe), „Merkel ist Hitler“ (Hugo Chavez), „Chavez ist Hitler“ (Donald Rumsfeld), etwas subtiler „Ist Trump wie Hitler?“ (Zeit-Online). Aber auch indirekte Vergleiche kommen an und münden zuverlässig in Rücktrittsforderungen, wie Helmut Kohls 1986 gefallene Äußerung: „Das ist ein moderner kommunistischer Führer, der war nie in Kalifornien, nie in Hollywood, aber der versteht etwas von PR. Der Goebbels verstand auch etwas von PR.“ Vier Jahre zuvor hatte Oskar Lafontaine seinen Parteifeind Helmut Schmidt attackiert, als er sich über dessen Hang zu preußischen Tugenden mokierte: „Das sind Sekundärtugenden. Ganz präzis gesagt: Damit kann man auch ein KZ betreiben.“ Im Herbst 2002 kratzte die damalige Bundesjustizministerin und berüchtigte „Schwertgosch“ Herta Däubler-Gmelin an der deutsch-amerikanischen Freundschaft, indem sie George W. Buch vorwarf, mit dem Irakkrieg von innenpolitischen Problemen ablenken zu wollen. Das „kenne man seit Adolf Nazi“. Da half dann auch das nach einem Nazivergleich übliche, reflexhafte Relativieren vulgo „zurückrudern“ nicht. Ihre Demission war unausweichlich. Kohl hatte Rücktrittsforderungen nach seinem Goebbels-Vergleich wie gewohnt ausgesessen.
Nun droht wohl eine Welle von Trump-Vergleichen
Auch in der kirchlichen Sphäre sind Nazivergleiche ein probates Mittel rhetorischer Zuspitzung. Legendär das Diktum des ehemaligen Kölner Kardinals Joachim Meißner, der eine neuartige Abtreibungspille mit Zyklon B verglich. Sogenannte Lebensschützer sprechen gerne auch mal von „Babycaust“, während die Bombardierung Dresdens von rechten Gruppierungen zum „Bomben-Holocaust“ umgemünzt wird. Himmelschreiender Unsinn ist das allemal. Doch ob solche Vergleiche wirklich, wie besorgte Wissenschaftler meinen, dazu beitragen, die „Einzigartigkeit“ der Naziverbrechen infrage zu stellen, sie zu verharmlosen, ist bislang nur eine Behauptung.
Auch wenn Nazivergleiche zuverlässig die öffentliche Erregung triggern, justiziabel sind sie per se nicht. Das musste der Grünen-Politiker Volker Beck erfahren, der einmal als „Obergauleiter der SA-Horden“ beschimpft wurde. Ein Kölner Gericht hielt das für verbotene Schmähkritik, doch befand das Bundesverfassungsgericht auf die Beschwerde eines Politikers der Partei „Pro NRW“, dass auch überzogene oder ausfällige Kritik unter dem Schutz der Meinungsfreiheit stehe – und wies den Fall zur Neuverhandlung an das Kölner Gericht zurück. Das gilt zumindest solange, wie solche Vergleiche nicht verboten sind wie in Israel, wo die unangemessene Verwendung der Bezeichnung „Nazi“ oder von Nazi-Symbolen unter Strafe steht.
Mit Pegida, Greta („Klimaleugner“) und der AfD brach eine neue Welle von Nazi- und Faschismusvergleichen über Deutschland herein, die noch nicht abgeebbt ist. Im Gegenteil: Die Corona-Pandemie hat zu einem weiteren Anschwellen dieser Welle geführt, wobei der Vergleich des Infektionsschutzgesetzes mit dem NS-Ermächtigungsgesetz genauso fragwürdig ist wie das Gesetz selbst. Und wenn Maskenkritiker mit Judenstern herumlaufen, ist das einfach nur peinlich.
Doch spätestens seit dem Sturm aufs Kapitol gibt es Hoffnung, dass die Hoch-Zeit der Nazivergleiche zu Ende geht und die Untoten der längsten zwölf Jahre der deutschen Geschichte endlich den ihnen angemessenen Rang an öffentlicher Aufmerksamkeit erhalten. Der Historiker Gavriel David Rosenfeld beschrieb, wie nach dem Krieg die Hitler-Bezüge entstanden seien. Hitlers Verbrechen seien so unbeschreiblich gewesen, dass man keinen Vergleich mehr für ihn fand und er selbst zum „Archetyp des Bösen“ stilisiert wurde. Mit Donald Trump gibt es nun einen neuen „Dämon“, der es mit Adolf aufnehmen kann und von dem man die amerikanische Demokratie „befreien muss“, so der SPD-Außenpolitiker Nils Schmid. Bestimmt erleben wir in den nächsten Monaten und Jahren eine Welle von Trump-Vergleichen. Arnie hat schon mal den Aufschlag gemacht.