Wolfgang Röhl / 16.05.2008 / 17:54 / 0 / Seite ausdrucken

Kleine Brötchen. Günni Wallraff rides again

Günter Wallraff ist seit vielen Jahren - eigentlich schon seit Jahrzehnten – der ideale Kandidat für die letzte Seite des „stern“. Ja verdammt – Was macht eigentlich… Günni W.? Vom Mann, der bei „Bild“ den geschundenen Reporter Hans Esser mimte und später den ausgebeuteten Kumpel Ali gab; von einem, der mit seinen Sozialreportagen Millionen verdient hat, der Darling linker Sozen, Gewerkschafter, DKPler war, aber auch eine Ikone vieler Bürgerkinder, die zu Veranstaltungen mit ihm liefen, als sei der heilige Che Guevara auferstanden, mindestens – von diesem Mann also hatte man lange nichts gelesen…

Er tingelte zwar durch die eine oder andere Talkshow, meistens eingeladen von jüngeren Moderatoren. Für die war sein Stern noch nicht erloschen, und sie hatten auch nichts von den Vorwürfen gegen ihn mitgekriegt, welche regelmäßig nach seinen Veröffentlichungen aus den unterschiedlichsten Lagern kamen. Keiner der Grinsemenschen nagelte ihn je, keiner stellte unbequeme Fragen. Statt dessen durfte Günni wieder und wieder von unheimlich wichtigen,  supergeheimen Projekten schwadronieren…werde sich in die höchsten Etagen einschleichen…sei unerhörten Sachen auf der Spur…könne momentan natürlich noch nichts sagen… Watergate, soviel stand schon fest, würde dagegen ein Fliegenschiss gewesen sein.

Doch es kam nichts. Wie Niki Lauda sagen würde: er deliverte einfach nicht.

Insofern war ich froh, dass er nun, nach gefühlt hundert Jahren, endlich mal wieder mit einer Story überkam. Okay, es sind nur kleine Brötchen, die er da backt, aber immerhin. Günni hat sich in eine Hunsrücker Brötchenfabrik eingeschlichen, wo es bei der Arbeit manchmal ziemlich heiß her geht, weil, sie stellen da keine Eiswürfel her. Die Bezahlung ist mies - netto sechs Euro -, weil der Chef ein seinerseits von Lidl ausgebeuteter Geizknochen ist; mies wohl auch deshalb, weil es nun mal keine Airbusse sind, die sie da produzieren. Der Laden ist eine Klitsche. Wer nicht aufpasst, verbrennt sich schon mal die Finger. Günni ist das auch passiert, und er hat seine Brandnarben in diverse Kameras gehalten, als seien es die Wundmale Christi. Ich, ehrlich gesagt, habe auch beim zweiten Hingucken keine furchtbaren Schäden erkennen können. Niki Lauda jedenfalls, um den noch mal zu erwähnen, sah nach seinem Unfall auf der Nordschleife deutlich schlechter aus.

Blutige Brötchen also. Sind so Scoops der Handelsklasse 3b, wie sie die Reportermagazine von SAT1 alle Naslang bringen, ohne so zu tun, als müsse die Geschichte der Undercover-Journalismus neu geschrieben werden. Aber für Auftritte in ARD-Sendungen wie „Menschen und Schlagzeilen“ langt´s allemal. „Unglaubliches aufzudecken“ gelänge ihm, hieß es in der Anmoderation. Wallraff ist im öffentlich-rechtlichen Fernsehen auf alle Ewigkeit in der Hall of Fame gelandet, Abteilung Rächer der Enterbten. Auch für die „Zeit“, auf deren stillen Fluren Leute wie Jens Jessen ihren eigenen Verstiegenheiten hinterher schreiten, wirkt er wie eine Gestalt aus Fleisch und Blut. Der kennt (kurzfristig, jedenfalls) echte Arbeiter! Günni ist momentan bei den Zeit-Leuten voll angesagt.

Auch Kerner hatte ihn eingeladen. Bei dem lief er zur alten, vertrauten Form auf, als Großmeister des gelispelten Sozialblablas. Mit blitzartiger Dreistigkeit hatte er dem ebenfalls eingeladenen stern-Redakteur Markus Grill, verdienter Enthüller des Lidl-Überwachungsskandals, die Schau gestohlen und führte fortan das große Wort. Machte den Lidl-Chef an, als habe er, Günni, ihn in die Bredouille gebracht und nicht der Mann vom stern. Und er schwätzte über die fürchterlichen Verhältnisse in der Brötchenbutze („es gab Schimmelflecken!“) und klaute Lorbeeren und gab an und spreizte sich und schmückte sich mit fremden Federn, dass es eine Wonne war. Mir wurde warm ums Herz. Ja doch. Der wenigstens ist authentisch geblieben.

Den Brüller aber lieferte er in einer anderen Sendung ab, diesmal in der ARD. Wo er verriet, er sei ja gerade dabei, sich nach gewohnter Art „in einen Konzern“ einzuschleichen. Günni: „Aber das“ – gemeint war das Hunsrücker Backhaus-Inferno – „ging jetzt vor.“

Da habe ich dem Bezahlfernsehen mal Abbitte geleistet. Es hat manchmal saukomische Momente.

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