Sie werden „Nicht-Regierungs-Organisationen“ genannt, sind aber das Gegenteil. Die Union stellt nun in einer Kleinen Anfrage die „politische Neutralität staatlich geförderter Organisationen“ in Zweifel. Das linke Establishment tobt.
Am späten Dienstagabend zeigte mir Elon Musks Kurznachrichtendienst X etliche Tweets linker Würdenträger an, die ihrer Wut Luft machten. Offenbar meinte die Künstliche Intelligenz, dass mich das interessiere. Tut es. Darunter war etwa Sven Giegold. Giegold war früher Anarchist. Inzwischen hat er sich in die Höhle des Drachens vorgearbeitet: Der Zerstörung des Staates widmet er sich nun als Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz; das ist effektiver und wohl auch besser bezahlt. Dazwischen war er Mitgründer der Organisation Attac. Im Juli 2001 sagte Giegold im Spiegel-Interview:
„Fischer hat die Grünen zu einer neoliberal gewendeten Partei in der Nähe zur FDP gemacht. Seine enttäuschten Anhänger sollten lieber bei uns mitmachen. Bei ‚Attac’ bieten wir ihnen ein Aktionsprogramm zur Durchsetzung ganz konkreter Ziele.“
Doch wenn der enttäuschte Prophet nicht zum Berg kommt, muss Giegold eben den Grünen beitreten. Das tat er 2008. Nun nutzt er die Bundesregierung als eine Art Attac auf Steroiden, mit einem Aktionsprogramm der Energiearmut. Der Focus schrieb 2023 über Giegold als Teil der „Habeck-Boys“ „Patrick Graichen (beamteter Staatssekretär, langjähriger Direktor Agora Energiewende), Sven Giegold (beamteter Staatssekretär, Attac-Mitgründer) und Michael Kellner (Parlamentarischer Staatssekretär, früherer Grünen-Bundesgeschäftsführer)“, die das Umweltministerium „in Rekordzeit auf grün gepolt“ hätten und „das Heizen in Deutschland 'komplett dekarbonisieren'“ wollten. „Großer Sprung nach vorn“, würde Mao sagen.
„Diese Fragenkanonade ist übergriffig“
Vom Gedanken der herrschaftsfreien Gesellschaft hat Giegold sich inzwischen ein Stück entfernt. Nun ist er sauer, weil die Opposition es wagt, Fragen an die Regierung zu stellen. In Zeiten von „Schwachkopf“-Paragraf 188 StGB ist offenbar das schon eine Art Majestätsbeleidigung. Hören wir des Staatssekretärs erste Worte nach dem Lesen der Überschrift des Spiegel-Artikels mit dem Titel: „Union setzt mit 551 Fragen gemeinnützige Organisationen unter Druck“:
„Noch bevor Merz Kanzler wird, will die CDU/CSU die Zivilgesellschaft offenbar prophylaktisch mundtot machen. Dazu traktieren Merz, Dobrindt & Co. 15 NGOs in einer ‚Kleinen Anfrage‘ mit 551 Fragen! Diese Fragenkanonade gegen unliebsame progressive Organisationen ist übergriffig.“
Man beachte die ironischen Gänsefüßchen bei „Kleine Anfrage“. Das soll wohl heißen, dass es sich nicht wirklich um eine Kleine Anfrage handelt, sondern um ein Trojanisches Pferd.
Es geht weiter:
„Der Ministerialapparat wird missbraucht, um die Zivilgesellschaft auszuforschen. Es ist nicht Aufgabe von Beamten zu kontrollieren, zu welchen Protesten Organisationen aufzurufen. Darunter Omas gegen rechts, Netzwerk Recherche, Correctiv, Greenpeace, Campact, Attac, Umwelthilfe.“
„Methoden von Viktor Orban“
Der Staat soll also nicht wissen, welchen Zwecken das dient, was er mit Steuergeldern finanziert. Eine solche Denkungsart in dieser Regierung anzutreffen, ist nicht überraschend; es erklärt einiges. Weiter im Text von Herrn Giegold:
„Wie absurd das alles ist, zeigt sich schon daran, dass Merz, Dobrindt & Co. sich sogar von den ‚Omas gegen rechts‘ bedroht sehen. Oder fühlen sie sich nur nach ihren AfD-Tabubrüchen ertappt und verwechseln sie die ‚Omas gegen rechts‘ mit Monty Python’s ‚Hells Grannies‘?“
Da hat einer einen Clown gefrühstückt. Den Rest der Suada fassen wir sinnerhaltend zusammen:
„Unangemessen… Methoden von Viktor Orban und anderen autoritären Regierungen … Raum der Zivilgesellschaft einschränken .. shrinking spaces … kritische Zivilgesellschaft … entgegen wirken … grassierender Populismus …“
Attac beklagt verschwundene Gemeinnützigkeit
„Gemeinnützige Organisationen“, so Giegold, verdienten „Anerkennung und Unterstützung“ statt „staatlicher Überwachung“. Und die Frage, ob sie überhaupt gemeinnützig sind, darf man keinesfalls stellen, meint er offenbar. Denn Giegold ist ein gebranntes Kind. Das Auskunftsbegehren der Opposition muss für ihn eine Retraumatisierung gewesen sein. Im April 2014 entzog das Finanzamt Frankfurt am Main Attac die Gemeinnützigkeit. Es gab damals Zeter und Mordio. Attac argumentierte, man gehöre doch zu den Guten, wie könne das Ziel der Weltverbesserung nicht gemeinnützig sein?! Das sei „sehr bedenklich für die Demokratie“, kommentierte der Attac-Experte für „Steuergerechtigkeit“, Karl-Martin Hentschel. Gemeinnützig sei, was auf das Gemeinwohl abziele, und das sei bei den Attac-Themen durchweg der Fall. „Das ist ein verheerendes Signal für die kritische Zivilgesellschaft“, sagte Attac-Sprecherin Frauke Distelrath. Wäre es ein unzulässiger Hitler-Vergleich, wenn man darauf hinwiese, dass auch die NSDAP sich für gemeinnützig hielt („Gemeinnutz geht vor Eigennutz“)?
Seit 2014 wird der Jahrestag der entzogenen Gemeinnützigkeit von Attac wie eine Art Nakba-Tag begangen; im April 2024 gab es eine Gedenkfeier — oder zumindest einen Beitrag auf der Website:
„Zehn Jahre ist es am kommenden Sonntag her, dass Attac Deutschland die Gemeinnützigkeit aberkannt wurde.“
Das sei „fatal“, da dem „Engagement von Attac für eine global gerechte Ökonomie“ so das Geld entzogen würde. Eine Art Henne-Ei-Problem. Wladimir Iljitsch Lenin muss gewusst haben, warum er die Forderung nach Anerkennung der Gemeinnützigkeit der Bolschewiki durch das Finanzamt nicht mit in seine Aprilthesen aufnahm. Er hat vielleicht gar nicht vorgehabt, jemals Steuerbescheinigungen auszustellen.
Bundesregierung finanziert Protest gegen die CDU
Zurück zur CDU. Was will sie wissen? Ihre Kleine Anfrage betrifft laut Überschrift die „politische Neutralität staatlich geförderter Organisationen“. Die CDU begründet ihre Anfrage mit „Protesten gegen die CDU Deutschlands, die teils von gemeinnützigen Vereinen oder staatlich finanzierten Organisationen organisiert oder unterstützt wurden“. Dies werfe die Frage auf, „inwiefern sich gemeinnützige Vereine, die zusätzlich noch mit Steuergeldern gefördert werden, parteipolitisch betätigen dürfen, ohne ihren Gemeinnützigkeitsstatus zu gefährden“. Laut der Abgabenordnung sei eine Körperschaft gemeinnützig, wenn sie gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke verfolge und dabei nicht parteipolitisch agiere.
„Nach Auffassung der Fragesteller stellen die Proteste gegen die CDU Deutschlands eine gezielte parteipolitische Einflussnahme unmittelbar vor der nächsten Bundestagswahl dar, was nicht mehr vom Gemeinnützigkeitsrecht gedeckt ist.“
Zweifelhaft sei auch das Bundesprogramm „Demokratie leben!“, mit dem einige der Organisationen, die gegen die CDU demonstrierten, vom Staat gefördert würden:
„Staatlich finanzierte Organisationen müssen ihre politische Neutralität wahren. Eine direkte oder indirekte Wahlkampfunterstützung – sei es für oder gegen eine Partei – ist mit dem Grundsatz der Chancengleichheit nicht vereinbar.“
Gemeinnützige Organisationen, so der Text weiter, dürften „durchaus politische Bildungsarbeit leisten, solange sie nicht gezielt parteiergreifend agieren“. Bei der Kritik an der Einflussnahme gemeinnütziger Organisationen gehe es im übrigen nicht nur um einzelne Proteste.
„Manche Stimmen sehen in den NGOs eine Schattenstruktur, die mit staatlichen Geldern indirekt Politik betreibt.“
„Wer das infrage stellt, gefährdet die wehrhafte Demokratie selbst!“
Wenn diese Organisationen aktiv in politische Meinungsbildung eingriffen, könne dies ein „Verstoß gegen die demokratische Grundordnung sein“. Darum will die CDU wissen, welche staatlichen Gelder Organisationen wie Correctiv, Omas gegen rechts, Neue deutsche Medienmacher*innen oder Netzwerk Recherche bekommen und welche politische Arbeit sie damit gegebenenfalls finanzieren.
Kleine Anfragen an die Regierung erfreuen sich unter Linken Beliebtheit – sofern sie von der richtigen, also linken Seite kommen. „Das parlamentarische Fragerecht ist das Herz unserer Arbeit als Opposition“, sagte die Linke-Abgeordnete Clara Bünger im Januar 2024 der Taz. „Damit können wir Informationen ans Licht bringen, die Regierung und Behörden oftmals lieber unter Verschluss halten würden.“ Mit ihren Anfragen habe die Linke in den letzten Jahren „immer wieder Missstände öffentlich“ gemacht. Nun, es gibt Missstände, die nicht öffentlich gemacht werden sollen, finden offenbar Giegold & Co. Die grüne Bundestagsabgeordnete Beate Müller-Gemmecke posaunt auf X:
„Ernsthaft? Die Union hinterfragt NGOs, die gegen Rechts demonstrieren? Wer Demokratie verteidigt, soll sich rechtfertigen? Zivilgesellschaft, Umweltverbände – sie tragen Verantwortung für eine offene Gesellschaft. Wer das infrage stellt, gefährdet die wehrhafte Demokratie selbst!“
Tagesschau gewohnt aktivistisch
Die Website tagesschau.de hat den vermeintlichen Skandal der Kleinen Anfrage aufgegriffen und berichtet in alarmistischem Tonfall, als drohte der Informations-GAU:
„Nach Demos gegen rechts: Union empört mit Fragen zu NGOs.“
In dem öffentlich-rechtlich finanzierten Beitrag kommen dann auch ausschließlich Personen zu Wort, die, wie die Schlagzeile indiziert, „empört“ sind. Zitiert wird ausgerechnet die oben erwähnte Clara Bünger: War das parlamentarische Fragerecht für sie eben noch das „Herz der Arbeit“ der Opposition, so ist es nun plötzlich in ihren Augen ein „beispielloser Angriff auf die demokratische Zivilgesellschaft“. Weiter kommen zu Wort: Der Grünenpolitiker Sergey Lagodinsky („Angriff auf die freie Zivilgesellschaft“), Giegolds früherer Kindergarten Attac („Großangriff auf die emanzipatorische Zivilgesellschaft“) und Amnesty International. Die „Menschenrechtsorganisation“, so tagesschau.de, erhebe „Vorwürfe gegen die Unionsfraktion“, die zusammengefasst lauten:
„Am Tag nach der Bundestagswahl richtet sich die CDU/CSU gegen die Zivilgesellschaft.“
Nicht-Empörte kommen nicht zu Wort. Nur verlässlich Empörte wurden offenbar für Interviews angefragt. Zivilgesellschaft, das sind die, die vom Staat Zucker in den Arsch geblasen bekommen, damit sie auf Knopfdruck empört sind. Ohne Hilfe der Regierung können Nichtregierungsorganisationen (NGOs) nicht bestehen.
„Zweifel an der Verfassungstreue“
Die ehemalige Familienministerin Kristina Schröder (CDU) versucht auf X, etwas Sachlichkeit in die Debatte zu bringen. Es gehe bei der Kleinen Anfrage „im Kern nicht um den Status Gemeinnützigkeit (einige der genannten NGOs haben ihn gar nicht)“ und „auch nicht um das selbstverständliche Recht auf Demonstrationen“, erklärt sie.
„Es geht einzig um die Frage, ob der Staat NGOs mit beträchtlichen Summen finanzieren sollte,
- die ganz überwiegend politisch weit links stehen oder auch im islamistischen Milieu verankert sind. Bei einigen sind erhebliche Zweifel an der Verfassungstreue angebracht.
- die oft eben nicht nur gegen Rechtsextremismus kämpfen, sondern im ‚Kampf gegen Rechts’ alles bekämpfen, was nicht links ist.
- die sehr oft weitgehend von staatlichen Geldern abhängig sind, den ‚Kampf gegen Rechts‘ zu ihrem ‚Beruf‘ gemacht haben.“
„Warum sollte der Staat das finanzieren?“, fragt Schröder. „DARF er das überhaupt finanzieren?“
Es sollte klar sein, dass er das nicht darf. Daher rührt ja die Aufregung derer, die mit der Hand im Keksglas ertappt wurden. Sollte schwarz auf weiß in der Antwort der Bundesregierung stehen, dass die Organisation XY Geld von einem Ministerium erhält, damit sie gegen die Opposition demonstriert, könnte das weitere Fragen aufwerfen und am Ende gar zu einer pekuniären Klimakrise führen, wie im Fall des gebeutelten „Zivilgesellschafts“-Unternehmens Attac.
Der Staat darf nicht politaktivistisch sein
Die Anfrage der CDU/CSU berührt drei wichtige Themen:
- Mögliche Steuerverschwendung
- Die im Raum stehende Frage, ob die Bundesregierung Gesetze bricht. Hier sind höchste Maßstäbe anzulegen; einer Regierung dürfen keine Verstöße gegen die Rechtsordnung nachgesehen werden – auch dann nicht, wenn erklärt wird, solche etwaigen ungesetzlichen oder verfassungswidrigen Handlungen dienten einem vermeintlich „guten Zweck.“
- Die Frage der Chancengleichheit in einer Demokratie und der Repräsentanz seiner Bürger durch die Regierung. Der Staat und seine Organe dürfen sich nicht wie eine Partei benehmen.
Laut Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts begründet das Grundgesetz „für den Staat als Heimstatt aller Staatsbürger“ die „Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität“. Und der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags sagt:
„Die Rechtsprechung folgert aus dem Vergleich zu Parteien, dass Staatsorgane im politischen Meinungskampf neutral bleiben müssen. … Einseitig parteiergreifende Stellungnahmen zugunsten oder zulasten einzelner politischer Parteien muss die Regierung unterlassen.“
Es sollte sich von selbst verstehen, dass eine Regierung das, was zu tun ihr aus guten Gründen selbst verboten ist, auch nicht an von ihr bezahlte Agenten auslagern kann.
Friedrich Merz, der Umfaller
Wer sich nun darüber freut, dass die Union sich plötzlich traut, der Regierung kritische Fragen zu stellen – die sie vielleicht selbst wird beantworten müssen, wenn sie in einigen Wochen Regierung ist –, der möge bedenken, dass Friedrich Merz nicht umsonst als der „Umfaller“ bekannt ist. Und genau darauf spekulieren wohl all die, die sich theatralisch empören. Sie wollen einschüchtern. Wie Fußballer, die mit wilden Gesten gegen jede Entscheidung des Schiedsrichters zu ihren Ungunsten protestieren, weil sie wissen, dass dies seine zukünftigen Urteile beeinflussen kann: Er wird sich dann im Zweifelsfall vielleicht nicht trauen, eine weitere gelbe Karte zu zeigen.
Die Kleine Anfrage war womöglich bereits der Höhepunkt des Mutes, den die CDU/CSU im Kampf gegen die staatsfinanzierte NGO-Industrie aufbringt. Darauf, dass Taten folgen werden – also der Hahn zugedreht wird –, wenn Friedrich Merz Bundeskanzler ist, sollte man nicht rechnen.
Stefan Frank, geboren 1976, ist unabhängiger Publizist und schreibt u.a. für Audiatur online, die Jüdische Rundschau und MENA Watch. Buchveröffentlichungen: Die Weltvernichtungsmaschine. Vom Kreditboom zur Wirtschaftskrise (2009); Kreditinferno. Ewige Schuldenkrise und monetäres Chaos (2012).