Chaim Noll / 14.01.2020 / 06:25 / Foto: Fabian Nicolay / 172 / Seite ausdrucken

Klarheit im Kopf

Inzwischen weiß ich, dass es zwei Arten von Achgut.com-Lesern gibt: die heimlichen und die bekennenden. Ein bekennender schrieb mir neulich aus Berlin, es sei mit Achgut so ähnlich wie zu DDR-Zeiten mit dem West-Fernsehen: viele behaupteten, „so etwas“ nicht zu lesen, verstünden aber im Gespräch jede seiner Anspielungen auf Achgut-Texte. Auch ich habe aus Äußerungen deutscher Besucher – die hier in der Wüste offener reden als zu Hause – den Eindruck gewonnen, dass in den Redaktionen der großen Zeitungen, in den öffentlich-rechtlichen Anstalten, im Bundestag, in Gerichten, Universitäten, Lehrerzimmern und in den Führungsetagen großer Unternehmen der umstrittene, viel denunzierte Blog mit heimlicher bis offener Begeisterung gelesen wird.

Auch dort, wo man nicht darüber reden darf. Auf Achgut wird ausgiebig diskutiert, was man anderswo nach Kräften verschweigt. Hunderttausende zum Stillhalten Verurteilte, von der verordneten Korrektheit Gepeinigte nehmen täglich Zuflucht zu dieser Oase erfrischender Klarheit. Es ist an der Zeit, es auszusprechen: Ohne Achgut wäre die Bundesrepublik Deutschland längst psychisch kollabiert – der Druck des Schweigens potenziert sich mit jedem neuen Problem. Die von der Spitze des Staates ausgehende, durch alle Institutionen sickernde Sprech- und Denkweise der Wahrheitsvermeidung ist gesundheitsschädigend. Ein denkender Mensch braucht, wenigstens gelegentlich, das offene Wort.

Die Text-Beiträge auf diesem Blog gehen größtenteils ohne Auftrag oder Aufforderung ein, von Autoren, die weltweit verstreut leben, von Hamburg bis Havanna, von Augsburg bis Südafrika, von Berlin bis in die Wüste Negev. Achgut arbeitet mit dem zauberhaften Mittel der Freiwilligkeit. Dieser Zauber hat sich auf die Leser übertragen, die den Blog tatkräftig unterstützen. Auf verschiedene Weise, nicht zuletzt, indem sie ihrerseits schreiben: Kommentare, Anmerkungen, Ergänzungen, Widerspruch. Die Zuschriften werden, solange der Ton einigermaßen höflich ist, unzensiert veröffentlicht. In wachsender Zahl, mehrere hundert am Tag. So entsteht, was man im heutigen Deutschland sonst vergeblich sucht: eine offene Diskussion, eine anregende Debatte.

Denn das Muster „Debatte“ ist inzwischen als gefährlich geortet worden. Das Nachrichtenmagazin Spiegel subsumierte kürzlich jeden Widerspruch gegen eine Parole des Grünen-Vorsitzenden Habeck (betreffend weitere Aufnahme nahöstlicher Flüchtlinge) als „politische Empörungsangebote, die sich als 'Debatte' tarnen.“ Offener Meinungsaustausch wird verdächtig gemacht: als Tarnung gefährlicher Umtriebe. Besser wäre es, die Vorschläge des Grünen-Chefs debattenlos hinzunehmen. Den Öko-Diktator und Volkserzieher, der sich hinter der Maske des wuschelköpfigen netten Jungen verbirgt, widerspruchslos zu unterstützen.

Achgut geht es nicht darum, letzte Wahrheiten zu propagieren (wie anderen deutschen Medien), sondern Diskussionen anzustoßen. Deshalb das Befremden im deutschen Politik- und Medienbetrieb: Deutschland hatte nie eine lebendige Debatten-Kultur. Man hat die Attitüde nachgeäfft, weil derlei zu einer Demokratie gehört, doch eigentlich hat man die Verschiedenheit von Meinungen nie gemocht. Man kehrt still und leise zu den alten Mustern zurück: denunzieren statt diskutieren, Andersdenkende aburteilen statt anhören. Die Beispiele Sarrazin, Maaßen, Knabe zeigen, wie es funktioniert. Dazu viele Unbekannte, von deren Schicksal wir nicht wissen. Wie viele Offenherzige haben in den vergangenen Jahren in Deutschland ihren Job verloren, wurden „nicht wieder nominiert“, in internen Gremien abgewählt, weg gemobbt oder anders aussortiert? Oder haben sich, um dergleichen zu vermeiden, stillschweigend ins Ausland zurückgezogen? Die Stimmung ist dadurch nicht besser geworden. Auch nicht die kreativen Potenzen des Landes.

Die von den deutschen Politikern ausgegebenen Parolen („Wir schaffen das“) sind in ihrer inhaltlichen Öde und sprachlichen Einfalt für Dumme berechnet – offenbar geht man in diesen Etagen stillschweigend davon aus, dass die Dummen in Deutschland in der Mehrheit sind. Was aber tun die Nicht-Dummen? Für sie gibt es Achgut. Ob sie es heimlich lesen oder offen: Sie finden dort gehaltvolle, aufregende Kost, scharf gewürzt und aufpulvernd. Ein Anti-Depressivum, das Müdigkeit vertreibt und Trübsinn. Achgut ist ein Ort gegenseitiger Ermutigung in schlechten Zeiten. „Und auf Erden brauchen wir Menschen mit wachen Verstand und Mut zur Wahrheit“, schrieb mir ein Achgut-Leser, „auch wenn man sich heutzutage mit der Wahrheit nicht beliebt macht.“

Wenn ich etwas auf Achgut veröffentlicht habe, verbringe ich hinterher Stunden, manchmal halbe Nächte damit, das Leser-Forum zu studieren. Es lohnt sich immer: Viel Interessantes wird dort ausgesprochen. Oft werden von mir in der Kürze des Textes nur angedeutete Gedanken ausgebaut und zur Pointe geführt. Ich danke allen, die sich daran beteiligen. Das Lesen dieser Texte – ob zustimmend oder kontrovers – ist mein größtes Vergnügen, seit ich auf Achgut publiziere. Es ist ein Dialog mit dem Land, das ich verlassen habe. Ich bleibe dadurch, obwohl in der Ferne lebend, Teil der Community der denkenden Menschen in deutscher Sprache.

Deutschland, ein zu geistiger Sklerose neigender Standort, braucht die offene Debatte. Gegen die Achse des Guten sind so ziemlich alle Verleumdungen und pejorativen Etikettierungen ins Feld geführt worden, zu denen politisch korrektes Spießertum fähig ist. Ihr Einfluss nimmt dennoch zu, ihre Leserzahlen steigen. Wollen wir alles tun, dass es so bleibt. Es gibt ein natürliches Bedürfnis nach Klarheit im Kopf. Nach Entgiftung in zunehmend nebulösen Zeiten. In diesem Sinne uns allen ein grandioses Neues Jahr.

Foto: Fabian Nicolay

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Hans-Peter Kimmerle / 14.01.2020

Danke Herr Noll, wieder ein Klasse-Beitrag. Die Achse hat auch Räder und das sind die zahlreichen Leserbriefschreiber, die dabei helfen, dass sich die "Achse" bewegt. Seit ich durch Zufall auf die "Achse" gestoßen bin, lese ich durchaus kritisch aber anerkennend die Artikel der insgesamt hervorragenden Autoren. Für mich ist das Qualitätsjournalismus. Aber besondere Lesefreude bereitet auch das Leserforum mit seinen vielen qualifizierten Beiträgen und oftmals überraschenden Denkansätzen, wobei Witz und Humor als Würze nicht fehlen.

Silvia Orlandi / 14.01.2020

Ketzer, , Klimahysteriker, Spötter aller Länder ,vereinigt euch! Wir sind die lachende Minderheit!

Karl-Heinz Peters / 14.01.2020

Ohne Achgut, Tichy und Klonovsky's Acta hätte ich schon an meinem Verstand gezweifelt: ist Deutschland irre oder ich?Aber diese Plattformen und die vorzüglichen Kommentatoren haben mich gerettet :-) Übrigens untstütze ich alle drei durch Spenden.

Jürgen Müller / 14.01.2020

Unter Verwendung einer Passage von Christa Wolf möchte ich die Achse, TE usw. als Orte ansehen, wo durch die Autoren und Kommentatoren "Sprache nicht zur Verhinderung von Einsichten, sondern als Instrument der Erkundung" gebraucht wird. Dafür herzlichen Dank.

Peter Krämer / 14.01.2020

Hin und wieder gibt es auch zu einem Artikel auf der Achse einen empörten Kommentar, wenn jemand das hier zu lesende nicht ertragen kann.Für mich beweist das nur: Die Achse und ihre Autoren sind auf dem richtigen Weg.Und an Herrn Noll: Danke, und machen Sie weiter!

Harald Oczko / 14.01.2020

Ein Leben ohne Achgut ist denkbar, aber sinnlos !!Jedenfalls, wenn man in dieser, unserer politisch so korrekten Konsensrepublik lebt und dem deutschen Medienmarkt ausgeliefert ist.

H. Nietzsche / 14.01.2020

Ich weiß, wozu eine gleichgeschaltete Medienlandschaft fähig ist und was mit einem passiert, wenn man sich ihrem Einfluß ergibt. In früheren Zeiten hatte man Westfunk und-fernsehen, der Ostdeutsche war schon immer daran gewöhnt, eine zweite Meinung einzuholen. Interessant und wenig bekannt: Die Glücklichen, die in den DDR-Achtzigern eine Neubauwohnung beziehen konnten, zogen aus ihrer Antennendose ohne Zutun neben den zwei Ostprogrammen auch 5-6 Westprogramme. In Leipzig waren das ARD, ZDF, NDR, SFB, BR und ev. HR. Die PARTEI ließ Druck ab, öffnete Ventile. Ganz ehrlich, wenn es heute Portale wie achgut.com nicht gäbe....weiß nicht. Der tagesschau-Gläubige Westdeutsche ahnt nicht, wie manipuliert er ist. Gibt es Zahlen über die Verbreitung des Portals im Vergleich Ost/West?

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