Dass das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) in seinem Kern, der drastischen Drohung mit Millionenbußen, wenn rechtswidrige Inhalte von den Plattformbetreibern nicht sehr schnell gelöscht werden, verfassungswidrig ist, dürfte herrschende Meinung unter den damit befassten Juristen sein. Das Gesetz enthält allerdings auch vernünftige Vorschriften. Der Ausschuß für Recht und Verbraucherschutz hat meine Stellungnahme aus der Anhörung im Mai 2019 so zusammengefasst:
„Der Hamburger Rechtsanwalt Joachim Nikolaus Steinhöfel, dessen Kanzlei zahlreiche Verfahren gegen Betreiber sozialer Medien führt und unter anderem Grundsatzentscheidungen zugunsten von Nutzern erstritten hat, deren Inhalte rechtswidrig gelöscht oder die gesperrt wurden, bezeichnete es als einen Akt demokratischer, parlamentarischer und gesetzgeberischer Hygiene, das NetzDG aufzuheben.
Die teilweise vernünftigen Änderungs- und Ergänzungsvorschläge sämtlicher Oppositionsparteien sowie die erhaltenswerten Vorschriften des NetzDG – zu denen Steinhöfel das Beschwerdesystem, die Berichts- und Transparenzpflichten und den Zustellungsbevollmächtigten zählte – sollten in andere Gesetze wie das Telemediengesetz oder in ein neu zu formulierendes Gesetz, in dessen Mittelpunkt die Freiheits- und Bürgerrechte im Internet stehen sollten, aufgenommen werden.“
Die Frage, ob man auch Klagen wegen Löschungen und Sperrungen an die in § 5 NetzDG benannten Zustellungsbevollmächtigten in Berlin (Facebook), Hamburg (Google/YouTube) oder München (Twitter) statt – umständlich und zeitaufwendig – in Irland an Facebook, Google oder Twitter selbst zustellen kann, war bislang umstritten. Zahlreiche Gerichte haben für uns entschieden und eine Zustellung in Deutschland als möglich erachtet. Wichtige Gerichte wie ein Senat des Kammergerichts oder das OLG Köln sahen das aber anders. Man konnte allein aufgrund dieser Formalie einer „falschen“ Zustellung den Prozeß verlieren.
Ich habe in der Anhörung im Rechtsausschuß die Probleme der rechtsmißbräuchlichen Obstruktionspolitik insbesondere von Facebook für die Nutzer an zahlreichen Fällen demonstriert und erinnere mich noch an die fast fassungslose Frage der Linken-Abgeordneten Domscheit-Berg ob es tatsächlich zutreffe, was sie gehört habe, dass insbesondere Facebook zahlreiche gerichtliche Unterlagen einfach retourniere. Ich konnte ihr von massenhaft solchen Fällen berichten. Ich habe dort mündlich wie schriftlich mit besonderem Nachdruck für eine Anpassung der Vorschrift über den Zustellungsbevollmächtigten plädiert.
„Ich appelliere an Sie: Ändern Sie das Gesetz.“
Das Wortprotokoll der Sitzung ist hier abrufbar, siehe dort insbesondere Seite 37.
Ich freue mich sehr, dass der Gesetzgeber, unter Beibehaltung seiner Uneinsichtigkeit im Übrigen, diesem Drängen nun offenbar Rechnung tragen will. Wenn der Änderungsentwurf (Seite 35) insoweit Gesetz wird, können Abmahnungen, einstweilige Verfügungen, Klagen usw. an die sozialen Netzwerke in Deutschland zugestellt werden. Das hätte ganz erhebliche Vorteile für die Nutzer.
Heute ist es so, dass die Zustellungen in der Regel in Irland erfolgen. Schon zur Vermeidung von Kostenrisiken. Nachteile: Es dauert viel länger als eine Zustellung in Deutschland, Facebook zum Beispiel retourniert die Unterlagen regelmäßig, da man trotz 30 Millionen Nutzern in Deutschland und mindestens 100 entgegenstehender Gerichtsentscheidungen behauptet, man könne kein Deutsch und müsse die Unterlagen nicht annehmen. Dass viele Gerichte dies sogar klipp und klar als rechtsmißbräuchlich bezeichnen, interessiert den IT-Riesen nicht. Manche Gerichte, die in der Materie nicht sachkundig sind, geben den Klägern sogar auf, tausende Euro für eine Übersetzung vorzuschießen. Niemand tut dies, auch wenn die Sperre 30 Tage dauert. Wer will solche Kostenrisiken tragen? Facebook freut sich. Und es ist kaum möglich, vor Ablauf einer 30-Tages-Sperre eine einstweilige Verfügung, die Löschung und Sperrung verbietet, in Irland zuzustellen.
Jetzt soll sich dies ändern und der „Zustellungsbevollmächtigte einschränkungslos für sämtliche Zustellungen benannt werden“ (so die Forderung in meiner schriftlichen Stellungnahme an den Rechtsausschuß, dort Seite 15 und in der Sitzung (siehe Wortprotokoll, Seite 37).
Dann können Abmahnungen, einstweilige Verfügungen und Klagen in Deutschland zugestellt werden. Und es wäre bei drastisch reduziertem Kostenrisiko möglich, Verbote viel schneller und lange vor Ablauf von 30-Tages-Sperren zuzustellen.
Der Kampf hat sich offenbar gelohnt, der Gesetzgeber zeigt in diesem wichtigen Punkt Einsicht. Das wäre eine für die zahlreichen betroffenen Nutzer ein großer Schritt für die effiziente Durchsetzung ihrer Rechte gegen die IT-Riesen.
Dieser Beitrag erscheint auch auf Joachim Steinhöfels Webseite.