Ephrahim Kishons persönliches Schicksal beweist ebenso wie die immer noch bestehende Existenz des Staates Israel, welche unglaublichen Ziele mit Mut, Können, Wissen und dem sprichwörtlichen Quäntchen Glück erreicht und erhalten werden können.
Nach unserem viel gelesenen Beitrag "Hundert Jahre Pufti der Mufti" über Ephrahim Kishon haben wir eine Fortsetzung versprochen. Hier ist sie.
1949 erreichte das Ehepaar Kishon nur einen Monat nach Beendigung des ersten arabischen Kriegs den Hafen Haifa. Es teilte sich eine Baracke mit einer elfköpfigen Familie aus Marokko, dessen Vater Lokomotivführer gewesen war. Welche Strecke er in Marokko gefahren sei? Er sei noch nie Lokomotive gefahren, aber dies sei ein sehr schöner Beruf, antwortete der Nachbar, und diese Art der Satire findet sich dann regelmäßig in Kishons Büchern wider. So hieß dann seine erste Textsammlung (Anmerkung dazu siehe am Ende des Textes) „Der Neueinwanderer, der uns auf die Nerven geht“, Texte, die sich aus den unvermeidbaren Abstrusitäten ergaben in einem Land, das sich täglich neu erfinden musste.
Vor seiner Zeit als Autor und Redakteur hatte Kishon jedoch noch den obligatorischen Dienst im Kibbuz abzuleisten. Was Kishon in der Zeit als Unterdrückter erkannt hatte, war, dass man im Zweifelsfall lieber eine Fertigkeit vortäuscht, als in der Gruppe der Opfer verbleiben zu müssen – eine gar nicht so schlechte Einsicht finde ich, denn tatsächlich ist ein Mensch, der sich aus einem Viehwaggon herauslügt, erstmal raus – erinnern Sie sich an die im ersten Teil geschilderte Episode mit dem Wassereimer.
So erklärte er sich zum Elektriker, als ein solcher gesucht wurde. Durch die zufällige Anwesenheit und stille Mithilfe eines echten E-Ing brachte er das elektrische Netz seines Kibbuz wieder ans Laufen, was dem Chef-Ingenieur nicht geglückt war, und er wurde stellvertretender Chef, bis nach einigen Monaten sein Unvermögen aufflog. In gleicher Weise beteuerte er, Erfahrung mit Pferden zu haben, was dann enttarnt wurde, als er nach mehreren Stürzen mit zwei gebrochenen Rippen zu Boden ging. Natürlich musste er wie jeder Kibbuznik auch an der Urbarmachung des kargen Landes mitschuften. Und er musste wie ein jeder umschichtig das Klo putzen, eine Tätigkeit, die er zu seine Lieblingstätigkeit machte und den zuständigen Ausschuss (ja, es ging sehr sozialistisch zu im Kibbuz) bat, dieses „für immer“ machen zu dürfen.
„Ich hatte nämlich nachgerechnet, dass ich nur eine halbe Stunde brauchte, um die Klos blitzblank zu putzen, und in der verbleibenden Zeit konnte ich aus einem Grammatikbuch, das wir mein guter Nachbar geborgt hatte, Hebräisch lernen. … Und so unternahm ich auf dem Klosettsitz meine ersten zögernden Schritte in der hebräischen Sprache.“
Sein Aufstieg als Autor
Nach der obligatorischen Zeit im Kibbuz schlägt Kishon sich mit Metallarbeiten, Fahrzeugreparaturen und der Produktion von Spachteln durch, wobei er die Spachtelproduktion rechtzeitig beendet, bevor die Kunden erkennen, dass das Produkt nichts taugt. Zitat über diese Zeit: „Das Wohnungsproblem lösten wir auf verblüffend einfache Art: wir wohnten unter freiem Himmel, auf einem nahe gelegenen Acker.“
Nach dieser Episode findet Kishon eine Anstellung als Redakteur in Tel Aviv und nimmt dann bald eine Auszeit von einem Jahr, um in Jerusalem „in totaler Askese“ Hebräisch zu lernen. Danach beginnt sein Aufstieg als Autor.
Nach den ersten Geschichten (unter anderem der köstliche „Blaumilchkanal“) wurde 1953 sein erstes Theaterstück aufgeführt, und auch dies geschah unter besonderen Umständen. Das Stück wurde vom Ausschuss (!) abgelehnt, aber der Theaterleiter setzte sich über die Bedenken hinweg: er dachte, es handele sich um die dramaturgische Umsetzung des „Blaumilchkanal“, obwohl das Stück „Der Schützling“ hieß. Solche Irrtümer unterliefen dem Theaterleiter häufig, denn er pflegte die Manuskripte nie zu lesen (denken wir an die kreativen Eigenheiten der Mimen Schlomo Emmanueli oder Jarden Podmanitzki in Kishons Kurzgeschichten). Noch während der Proben wurde das Stück (erneut von einem Ausschuss) abgesetzt, bis dann entschieden wurde, eine einzige Gnadenvorstellung vor ausgesuchtem Publikum zu geben.
„Haarschloch“
Diese eine Vorstellung wurde dann zu „einer der größten Erfolge der israelischen Bühnengeschichte“, schreibt Kishon, und er zitiert den für die damalige Zeit unglaublichen Dialog:
„Welcher Partei gehören sie an?“
„Ich gehöre keiner an, ich habe schon eine Wohnung“: Parteienkritik in einem sozialistisch organisierten Staat, un-er-hört.
Als weiteres Beispiel seiner Werke verweist Kishon auf seine Oper „Der Betrüger“, das vermutlich einzige Stück der Musikgeschichte, das gegen die Einkommensteuer geschrieben wurde.
Bei der Aufführung der Operette „Die Rose von Stambul“ aus den Zwanzigern merkte man erst kurz vor Ende der Proben, dass der Text des letzten Aktes fehlte und auch nicht mehr rechtzeitig aus der Türkei zu beschaffen gewesen wäre. Und so klingelte der Theaterdirektor Kishon nachts aus dem Bett mit dem Auftrag, bis zum nächsten Morgen einen passenden Text zu erfinden. Mit dem ihm eigenen Humor schreibt Kishon dazu: „Auf meine Frage, wie um Gottes Willen das Schicksal jener türkischen Schönheit vor dem Fallen des Vorhangs enden soll, erwiderte der Direktor, das wäre meine Sache, er könne nicht alles selber machen. Ich tat, was ich konnte. Die Premiere einige Tage später war ein voller Erfolg, und die Vorstellung lief ein halbes Jahr, ohne dass irgendjemanden mein bescheidener Beitrag aufgefallen war.“
Aus welchem Roman, der sich mit der Frage beschäftigt, durch welche beliebigen Äußerlichkeiten man Feindgruppen definieren und zur eigenen Machtvollkommenheit ausgrenzen und enteignen darf, stammt wohl die folgende Wortschöpfung, als zur Unterscheidung von Gut und Böse die Haarlänge entscheidet und der Gegner mithin ein „Haarschloch“ wird? Ferenc schuf über dieses Problem der willkürlichen Ausgrenzung seinen Roman „Mein Kamm“; der Titel orientiert sich am Titel des Buches des Trommlers; was für ein Typ, was für ein Leben.
Die weltweite Sympathie bleibt versagt
Im Verlauf seines Buches äußert sich Kishon nicht nur zu seinem Lebenslauf, sondern natürlich auch zu politischen Fragen. Es sei darin erinnert, dass diese Aussagen 1992 protokolliert wurden und sich auf die damalige Zeit beziehen. Hat sich in den vergangenen 30 Jahren viel geändert?
Die Überschrift dieses Berichts „Wie Israel sich die Sympathien der Welt verscherzte“ ist eine Episode von 1962 aus dem Band „Arche Noah Touristenklasse“. Der Plot ist schnell erzählt: Israel wird von seinen arabischen Nachbarn vernichtet, und der Westen schaut (man möchte fast sagen: mit klammheimlicher Freude) zu. Die ganz große Welle des Mitleids erfährt der jüdische Staat erst dann, als er bereits erledigt ist, mit diesem Zeitpunkt und in dieser Situation hätte er die volle Sympathie der Welt. Hätte, denn Israel überstand bislang erfreulicherweise alle Versuche, das Motto „from the river to the sea“ in die Tat umzusetzen, wodurch ihm jedoch leider die weltweite Sympathie bis heute versagt bleibt. Kehren wir zurück zur Biographie von 1992. Dort geht er auf eine Situation ein, wie sie in der zuvor geschilderten Kurzgeschichte beschrieben wurde:
„…, als ich ein prägendes Ereignis nach dem Sechstagekrieg (Anmerkung: der bereits dritte israelisch-arabische Krieg von 1967) hatte. … Ich durchschritt die Gänge des Militärhospitals und sah die vielen Verwundeten, diese prachtvollen jungen Kerle deren Glieder amputiert worden waren und die nun kraftlos im Bett lagen oder auf Krücken herum humpelten. Ich sah auch ihre Mütter, Frauen und Freundinnen, die verzweifelt lächelten, um ihnen Mut zu machen. … Diese Erinnerungen begleiten mich seit damals. … Ich denke über den Krieg und seine Gefahren wie jeder Israeli und sicher mit nicht weniger Schmerz als unsere Pazifisten. Was uns unterscheidet, nein, was uns trennt, ist meine Überzeugung, dass wir kämpfen müssen, dass wir uns verteidigen und wehren müssen, dass dies der Preis ist, dass es meinem Enkel nicht so geht wie seinem Opa … Das Beispiel der jugoslawischen Tragödie bestätigt nur, dass die Weltöffentlichkeit nach einigen halbherzigen Protesten auch über unseren Untergang sehr rasch zur Tagesordnung übergehen würde mit dem scheinheiligen Kommentar: ,Naja, die Israelis konnten aufgrund ihrer grausamen Besatzungspolitik wirklich nichts anderes erwarten ‘.“
Die Israelis dürften keine intellektuellen Schöngeister sein
Folgerichtig fordert er Unterstützung für den jüdischen Staat: „Ich halte es aber für die Pflicht jedes Menschen, gleichgültig ob er jüdischer oder deutscher Abstammung ist, dieses winzige, bedrohte und erschöpfte Israel zu unterstützen, das sich nicht nur gegen seine übermächtigen Feinde, sondern auch gegen seine fragwürdigen Freunde zur Wehr setzen muss.“ Und weiter: „…aber ich fürchte, der Antisemitismus ist in der westlichen Welt heute verbreiteter als in der Nazizeit. Damals verfolgten uns zwar die Nationalsozialisten und deren Mitläufer, der Rest der Menschheit jedoch stand zumindest vom Verstand her auf unserer Seite. Heute aber wird Israel, von wenigen Ausnahmen abgesehen, in den Medien auf der ganzen Welt kritisiert und verleumdet. … Auch hat noch kein Journalist außerhalb Israels einen Vergleich angestellt, der zeigt, wie oft Israel im Weltsicherheitsrat verurteilt wird, im Gegensatz zu den arabischen Aggressoren, die niemals zur Rechenschaft gezogen werden.“ Bezüglich der Gegner in der Nachbarschaft sagte Kishon: „… ich respektiere Völker, die ihre Heimat, sich selbst, lieben. In dieser Hinsicht gilt mein Respekt sogar den Arabern. Manchmal beneide ich sie um ihren Fanatismus“, schreibt er.
Sobald die Grenzen Israels sicher seien und die besiedelten Gebiete nicht mehr als „Sprungbrett uns endgültig zu vernichten“ genutzt werden könne, sollte man sie zurückgeben, „ sowohl auf der Westbank als auch in der Hölle namens Gazastreifen“. Nur Siedlungen könnten Frieden bringen, denn dies sei die einzige Garantie im Kampf um den Frieden, weil Israel nur deren Rückgabe als Gegenleistung für einen ehrlichen Frieden anbieten kann.
Kishon spricht damit eine Erkenntnis aus, die Deutschland erst ab dem 24. Februar 2022 wiederfand: Frieden erfordert Verteidigungs-, und das heißt Kriegsstrategien, und zwar rechtzeitig. Die Israelis dürften – so weiter – keine intellektuellen Schöngeister sein, sondern die Opfer der eigenen Gruppe müssen verständlicherweise jedem Leidensgenossen näher am Herzen liegen als die Motivationen der Mörder und deren Terrororganisationen auf der anderen Seite. Aufgabe der heutigen Generation sei es, die Probleme des verfolgten jüdischen Volkes im Land seiner Väter zu lösen und nicht, sich um die Probleme und Belange von 21 feindlichen arabischen Staaten zu kümmern.
Ein ähnliches Schicksal wie die Juden
Ein Zitat aus diesem Gesprächsteil lautet:
„Ich gebe zu, kein Liberaler zu sein, sondern ein Mensch, der auch nach Einbruch der Dunkelheit noch gerne auf den Straßen spazieren geht und nicht unbedingt der Meinung ist, dass seine Kinder Drogen nehmen müssten, weil das eben der Preis für die Demokratie sei, da man Drogenhändler nicht lebenslänglich einsperren darf.“ Ein Satz von 1992, ein Satz wie eine Prophezeiung, heute, eine Generation später.
Über Deutschland sagte er, die verbreitete Meinung, dass das ganze deutsche Volk (um 1992) rechtsradikal wäre, sei falsch; es handle sich um eine Handvoll verrückter und verwirrter Jugendlicher. Und gleich im nächsten Satz fügt er hinzu: „Die Deutschen haben in gewisser Weise ein ähnliches Schicksal wie die Juden, sie sind unbeliebt in der Welt, und es wird jede Gelegenheit im Westen wahrgenommen, das Vorurteil bestätigen.“ Auch die Kirchen oder andere Staaten hätten seinerzeit weggeschaut oder den Nationalen Deutschen Sozialisten sogar freudig geholfen.
Ein Schlusswort aus dem Munde dieses großartigen Satirikers: „Und es ist einer der großen Momente in meinem Beruf, wenn man spürt, dass man Sprachrohr der schweigenden Mehrheit geworden ist.“ Ein Satz, nein, ein Wort, das verdient, ein Klassiker zu werden!
„Das ist mein Leben“
Kishon war ein großartiger Überlebenskünstler, ein großartiger Autor und ein Versöhner, denn er schuf eine Brücke zwischen dem jüdischen Schicksal und der deutschen Schuld. Jung und Alt verschlangen seinerzeit seine Bücher und genoss dessen Auftritte im Fernsehen, und seine heiteren Satiren werden dabei geholfen haben, den Muff von tausend Jahren aus Deutschland zu vertreiben.
Sein persönliches Schicksal beweist ebenso wie die immer noch bestehende Existenz des Staates Israel, welche unglaublichen Ziele mit Mut, Können, Wissen und dem sprichwörtlichen Quäntchen Glück erreicht und erhalten werden können. Eine Gesellschaft hingegen, deren Kritiker sich auf die Straße kleben und sich damit begnügen und vergnügen, den Alltag ihrer Mitbürger unproduktiv zu erschweren, ohne selbst mithilfe eines praktischen und tatkräftigen Einsatzes zur konkreten Problembewältigung beizutragen, wird solche Leistungen nicht erbringen können, ja, überhaupt nicht erbringen wollen.
Eine Jugend, die als Zeichen ihrer Betroffenheit nichts Billigeres mehr zustande bringt, als öffentlich und (leider auch) öffentlichkeitswirksam Abiturzeugnisse zu zerreißen (eine lediglich sekundenlange Tätigkeit von „Aktivisten“, obwohl man ja nur das Papier vernichtet, während die an anderer Stelle dokumentierte Studienberechtigung erhalten bleibt; es handelt sich also nur um einen erbärmlicher Taschenspielertrick), eine solche agiert stümpert nur antriebs- und damit ratlos in der eigenen Hoffnungslosigkeit, so ganz anders als seinerzeit der kleine Ferenc Hoffmann. Wie sagte der Autor in seiner Lebensgeschichte, die er verfasste, um seinen in Israel geborenen Kindern einen Einblick in das Leben außerhalb des Gelobten Landes zu geben:
„Das ist mein Leben. Das bin ich.“
Wie schön, dass es sie gab, Herr Kishon!
(Anmerkung: die hier genannten Angaben zur Erscheinungsjahren und ähnlichen Angaben weichen in den verschiedenen Quellen und Bibliographien voneinander ab. Dies wäre z.B. dadurch zu erklären, dass mal die Erstveröffentlichung einer Satire in ungarischer Sprache, mal die Erstveröffentlichung in Hebräisch zugrunde gelegt wird.)
Lesen Sie auch den ersten Teil: Hundert Jahre Pufti der Mufti
Rainer Mohr, Diplom-Verwaltungswirt, arbeitete 30 Jahre lang in der niedersächsischen Kommunalverwaltung, unter anderem als stellvertretender Behördenleiter. Aktuell ist er als selbstständige Aushilfskraft im Öffentlichen Dienst tätig.