Corona bot für die Kirche die einmalige Chance zu ihren eigentlichen Aufgaben zurückzukehren. Doch sie hat sie nicht genutzt und ist in ihren ideologischen Schützengräben sitzen geblieben.
Nicht nur die Gesellschaft an sich, auch die Kirche muß sich der Corona-Aufarbeitung stellen. Auch sie gehört zu denen, die sich vorwerfen lassen müssen: Ich-habe-mitgemacht. Dabei war die Ausnahmesituation Corona für die Kirche in Deutschland eigentlich so etwas wie ein Elfmeter beim Fußball, bei dem im gegnerischen Tor noch nicht einmal ein Torhüter steht.
Sie bot ihr die unverhoffte Gelegenheit, die falschen Pfade ideologischen Gesinnungstums zu verlassen und auf den Weg der Glaubensverkündigung zurückzukehren. Endlich hätte sie über all die Themen sprechen können, die ihren Wesenskern berühren und die sonst im Alltag zu kurz kommen und verdrängt werden: über Leben, Tod und Auferstehung, über Leiden (Theodizee) und Lebensfreude, über das Verhältnis von Leib und Seele, über Sinn und über Gott.
Theologisch und seelsorgerisch war (und ist) jedoch weitestgehend Funkstille. Schlimmer noch: Man machte weiter, als wäre nichts geschehen und blieb verfangen im Ideologiegestrüpp von Struktur-, Gender- und Gerechtigkeitsdiskussionen, die niemanden außer Funktionäre und Journalisten ernsthaft interessieren. Um im Bild zu bleiben: Die Kirche hat nicht einmal versucht, den Elfmeter zu verwandeln, sondern ist überängstlich und orientierungslos auf dem Spielfeld umhergeirrt – und tut es weiterhin. Nur beispielhaft sei auf den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz Bätzing verwiesen. Für ihn – so sagte er damals laut diesem Artikel (inzwischen hinter Bezahlschranke) – ergebe sich aus der der Corona-Krise in erster Linie, daß sich die Kirche angesichts wachsender sozialer Ungleichheit verstärkt um das Thema Gerechtigkeit kümmern müsse.
Was hätte die Kirche tun müssen?
Nun ist soziale Gerechtigkeit ein „schönes“ Thema für Sonntagsreden. Der Kirche obliegen ihrem eigenen Verständnis nach jedoch vorrangig zwei andere Aufgaben: „Sie verkündet den ganzen, unverfälschten Glauben. Sie besitzt und spendet die Fülle der Heilsmittel“ (siehe Nr. 166 des Kompendiums des Katechismus der Katholischen Kirche).
Doch genau diesen Aufgaben verschloß sich – wortwörtlich – die Kirche, indem sie die Kirchentüren zusperrte und den Zugang zu Glaubensverkündigung und Sakramenten (also den Heilsmitteln) irgendwelchen säkularen, der Kirche wesensfremden (gesundheits-)politischen Zugangskriterien unterwarf.
Ausgerechnet die Institution wirkte wie zerfressen vor Angst, die vom Leben nach dem Tod spricht und davon daß Christus den Tod überwunden hat, die eine der zentralen Botschaft Jesu an die Menschen „Fürchtet euch nicht“ beschwört. Statt darauf aufbauend Besonnenheit und Umsicht walten zu lassen, hat die Kirche von Beginn der Corona-Krise an dazu beigetragen, Angst zu schüren – Angst vor dem Mitmenschen als Gefährder und Überträger angeblich todbringender Viren. Während Christus die Kranken und Aussätzigen berührte, sprich die Hygienemaßnahmen mißachtete, und sich dem Zorn der Obrigkeit aussetzte, schikanierte die Kirche sogar die Gesunden.
Gottvertrauen bedeutet nicht, leichtsinnig Gefahren zu ignorieren
Nun bedeutet Gottvertrauen selbstverständlich nicht, leichtsinnig jede (Gesundheits-)Gefahr zu ignorieren. Gesundheit spielt in der Bibel eine große Rolle. Jesus wirkte vielfach, indem er Krankheiten heilte. Doch ist dieses Wirken auch immer mit dem Seeelenheil verbunden. „Dein Glaube hat dir geholfen“, ist eine häufige Aussage Jesu an die Geheilten.
Bei aller gebotenen Vorsicht darf daher das eigene Handeln nicht den eigenen Heils-Grundsätzen widersprechen. Eine Kirche, die den Besuch des Sonntagsgottesdienstes zu einer der wichtigsten Christenpflichten erklärt, darf die Kirchen nicht zusperren oder Gläubige aussperren und auf digitale Angebote verweisen. Schon gar nicht ohne überhaupt zu versuchen, Mittel und Wege zu finden, um weiterhin ein Angebot für Alle zu machen.
Um ein Beispiel zu nennen: Die Kirche hätte neben den Gottesdiensten für die Ängstlichen mit all den Masken, Sicherheitsabständen und Impfnachweisen auch regelmäßige (und nicht nur sporadische) Freiluft-Gottesdienste anbieten können, die ohne dieses ganze Gewese auskommen; ein Hof, Vorplatz oder Garten und ein paar Sitzgelegenheiten finden sich in jeder Gemeinde oder jedem Gemeindeverbund; und das geht selbstverständlich auch bei Regen und im Winter. Kostet etwas Mühe und Zeit, aber das wäre leicht kompensierbar durch den Verzicht auf nutzlose Gremienarbeit.
Am Zusammenhalt der Christen versündigt
Die Kirche hätte für Alle offen (nicht nur physisch gemeint!) bleiben müssen, egal ob sie die Corona-Maßnahmen befürworten oder ablehnen. Diese Offenheit hätte auch die Bereitschaft der Kirche umfassen müssen, alles daran zu setzen, daß die Menschen im allgemeinen, aber auch Kirchenmitglieder im besonderen, nicht in Gegnerschaft zueinander geraten. Doch genau dies ist ob der Corona-Politik geschehen.
Weil die Kirche als Institution nicht versucht hat zu vermitteln, weil sie sich nicht der Politik der Spaltung und einer Sprache der Unbarmherzigkeit in der Gesellschaft (siehe hier: ich-habe-mitgemacht) und auch in der Kirche („kein Mitleid mit Ungeimpften“, siehe hier) entgegengestellt hat, weil sie nicht medizinisch und epidemiologisch neutral geblieben ist, obgleich die Beurteilung dieser Problemkreise nicht zu ihren Aufgaben gehört. Eine Kirche, die Versöhnung und Liebe predigt, hätte sich nicht an der Verunglimpfung derer beteiligen dürfen, die zum richtigen Vorgehen in Sachen Corona anderer Ansicht gewesen sind.
Ebenso schlimm war es, daß die Kirche es kritiklos hinnahm, daß Kranke und Sterbende von ihren Angehörigen und Freunden nicht besucht werden durften. Es sogar hinnahm, daß das Weihnachtsfest, das Fest der Familie, in etlichen Familien ein Fest der innerfamiliären Ausgrenzung wurde. Gleichgültig ließ sie das Unrecht an den Kindern geschehen, die in Schulen und Kindergärten an die entwürdigende permanente Gesichtsverhüllung und an die Dauerüberwachung durch Tests und Kontrollen gewöhnt wurden, akzeptierte die faktischen Berufsverbote von Nicht-Gespritzten. Kein Protest, keine Intervention bei den politischen Entscheidungsträgern – trotz bester Kontakte zu ihnen.
Die Kirche ist (ähnlich wie die Verfassungsgerichtsbarkeit, siehe hier) in den Corona-Jahren kläglich an ihren Aufgaben gescheitert. Ein Scheitern, das den ohnehin bereits hohen Glaubwürdigkeitsverlust der Kirche weiter verschärft. In den Mißbrauchsfällen läßt sich ja zumindest noch zu Recht darauf hinweisen, daß nicht einmal die Täter selbst auf die Idee gekommen wären, ihr Tun mit der Lehre Christi zu rechtfertigen. In Sachen Corona sahen sich die die Institution tragenden Personen, von den Bischöfen bis zu den Pfarrgemeinderäten, hingegen im Einklang mit der Lehre Christi, als sie sich gegen das eigene Selbstverständnis, die Botschaft Jesu und die Mitmenschen versündigten.
Und als wäre nichts gewesen, setzen die „Politik“ der Spaltung und der Ausgrenzung von Mitchristen fort und politisieren die Kirche in zunehmendem Maße. Siehe dazu den gesonderten Artikel Ist die Kirche gesichert rechtsextrem?. Vertrauen, Glaubwürdigkeit und Achtung wird man so gewiß nicht (zurück)gewinnen, auch nicht bei denen, die dazu laut Beifall klatschen.
Entweltlichung
Das Gegenkonzept zur Politisierung lautet: „Entweltlichung“. Oder um eine Fußball-Redensart zu bemühen, wenn es nicht so recht läuft: „Karo einfach spielen!“. Das heißt: Konzentration auf die Kernaufgaben. Die Kirche in Deutschland benötigt keine neue Ethik und kein Klima-, Sexualisierungs-, Kampf-gegen-rechts- und sonstiges Politgedöns, das mittlerweile alles zu überlagern scheint. Sie benötigt keine nichtsnutzigen Strukturreformen, die andere im Niedergang befindliche Religionsgemeinschaften wie die Protestanten längst hinter sich haben, keine synodalen (Irr-)Wege oder andere Stuhlkreise. Sie benötigt einzig eine Rückbesinnung auf ihre Kernaufgaben gemäß Katechismus (siehe oben).“ Und der erste kleine Schritt auf diesem Weg sollte sein: überflüssige Funktionärsansammlungsvereine wie den Zentralrat der Deutschen Katholiken e.V. künftig einfach ignorieren und nicht mehr finanzieren. Natürlich ist zu konstatieren: Eine solche geistige Kehrtwendung – weg von der Politisierung, hin zur Glaubensverkündigung – ist nicht im Ansatz erkennbar. Aber Hoffnung ist ja eine christliche Tugend.
Nicht-Kirchenmitglieder mag der Niedergang der Kirche auf den ersten Blick nichts angehen. Sie werden mit Gleichgültigkeit oder Schadenfreude darauf schauen. Doch mit der Selbstdemontage der Kirche und deren Transformation zu einer politisierten NGO schwindet ein wichtiger Gegenpart zum herrschenden (links)ideologischen Spektrum. Und das betrifft dann auch die, die zwar nicht kirchlich gebunden sind, aber Positionen vertreten, die diesem Spektrum nicht zuzuordnen sind.
Selbst zu Zeiten der beiden sozialistischen Regime bot die Kirche Andersdenkenden trotz allem Arrangement mit den Regimen eine Art geistigen Schutzraum, einen Freiraum, der auch auf Nicht-Mitglieder ausstrahlte. Kirche und Regime waren sich im Klaren darüber, daß die kirchliche Lehre der herrschenden Ideologie diametral entgegengesetzt war: die persönliche Beziehung eines jeden einzelnen Menschen zu Gott auf der einen Seite, der Mensch als Teil eines gottlosen Kollektivs auf der anderen Seite. Wer sich hingegen heutzutage dem kollektiven Zugriff der Gesellschaft verweigert, wer Ideologiegespinste und die Politisierung aller Lebensbereiche ablehnt, sieht sich auch in der Kirche großen Anfeindungen ausgesetzt. Die Kirche hat sich den in Politik und Medien vorherrschenden geistigen Strömungen stark angenähert. Diese Annäherung ist dabei nicht nur eine rein tatsächliche, den Machtverhältnissen „geschuldete“. Sie ist ideologischer, inhaltlicher Art. Und sie ist umfassender als früher. Die „richtige“ Haltung wird wichtiger als der richtige Glaube.
Entchristlichung Deutschlands wird weitergehen
Wie auch immer es mit der Kirche in Deutschland weitergeht. Man sollte sich nichts vormachen: Die Entchristlichung Deutschlands als eines Kernlands des Christentums wird sich nicht aufhalten lassen, egal ob man sich willfährig dem sogenannten Mainstream anbiedert oder mutig dagegenhält. Schon aus demografischen Gründen und wegen des massenweisen Zuzugs kulturfremder Migranten, insbesondere jedoch weil das Glaubensfundament weitgehend erodiert ist. Dennoch oder gerade deshalb muß die Kirche in Deutschland handeln und sich auf ihre Kernaufgaben besinnen, um nicht alles zu verlieren, um ihre Selbst- und Fremdachtung wiederherzustellen, um künftig - kleiner, aber feiner - echte Heimstatt christlichen Lebens in einem nichtchristlichen Umfeld sein zu können.
Anmerkung: Wenn in diesem Artikel von Kirche die Rede ist, ist die katholische Amts-Kirche gemeint, nicht andere religiöse, ohnehin weitestgehend durchideologisierte Organisationen.
Ansgar Neuhof, Jahrgang 1969, ist Rechtsanwalt und Steuerberater mit eigener Kanzlei in Berlin.