Vor Jahren kursierte eine witzige Beschreibung von Himmel und Hölle, bezogen auf die Fähigkeiten und Eigenarten der Europäer. Also die Hölle, das sind: italienische Banker, Schweizer Liebhaber, deutsche Polizisten, englische Köche und französische Automechaniker. Im Himmel dagegen: Italienische Liebhaber, französische Köche, englische Polizisten, deutsche Mechaniker und Schweizer Banker. Wie gesagt, das war ein Gag, der die Gäste bei Partys immer zu einem verständnisvollen Lacher brachte.
Das Leben in dem Europa, das die Brüsseler Bürokraten und die Berufseuropäer gerade organisieren wollen, ist aber nicht mehr zum Lachen: französische Gewerkschaften, italienische Banken, polnische Justiz, ungarisches Presserecht, spanischer Regionalismus, britischer Egoismus, zypriotisches Staatsbürgerrecht, griechische Politiker, rumänische Staatskorruption, luxemburgische Steuerfluchtgesetze und deutsche Romantiker: ein abenteuerliches Gebräu.
Damit kein Missverständnis entsteht: Ich bin ein glühender Anhänger der europäischen Idee. Nicht nur, weil ich viele Jahre meines Lebens auf anderen Kontinenten verbracht und auch dort sechs Jahre (Japan) gewohnt habe, sondern weil die faszinierende Vielfalt Europas diesen Kontinent so liebenswert macht. Und um gleich ein weiteres Bekenntnis abzulegen: Ich bin von einem freien, fairen Handel als Wohlstandsquelle für alle Völker überzeugt. Ich habe mich deshalb in der immer liberaleren Zoll- und Wirtschaftsunion Europas, das intern auf Grenzen verzichtete, sehr wohl gefühlt, und ich habe es genossen, an Grenzen nicht mehr stundenlang zu warten, um dann absurde Fragen zu beantworten.
Dieses Europa der Vielfalt, der unterschiedlichen Sprachen und Kulturen, der sehr ausgeprägten Eigenarten ist aber gerade dabei, zerstört zu werden. Selbst nach Österreich sind die Übergangszeiten an den Grenzen wieder unkalkulierbar. Sicher nicht, weil plötzlich Scharen von österreichischen Schmugglern und Kriminellen unser Land gefährden, sondern weil ein heilloses Durcheinander von Verfolgten aus den Bürgerkriegsstaaten Syrien, Irak, Afghanistan, dem Iran etc, und aus religiöser Verfolgung aus denselben Staaten, wie auch aus den korruptionsgetränkten Ländern Afrikas und Asiens ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben in unseren Kontinent drängen.
Umerziehung statt Realität
Die größte Gefahr für mein Europa aber sind die Regierungen, die das gemeinsame Fundament, die Rechtssicherheit und die Eigenverantwortung zerstören. Und das sind nicht nur Polen, Ungarn und Rumänien (neuerdings auch wieder die Slowakei), das sind auch Deutschland und Italien.
Es ist schon atemberaubend, wie die seit Jahren an den Machthebeln sitzenden Politiker alle Warnzeichen übersehen, die die Zerstörung des europäischen Projektes aufleuchten lassen. Das Wahlergebnis in Italien am 4. März ist dafür ein eklatantes Beispiel. Da wird darüber gejammert, dass die „populistischen" Parteien überraschend hohe Zustimmung bei den Wählern erhielten.
Die „Populisten" mutieren zur gefährlichsten Seuche Europas, vielleicht sogar der Welt, wenn der irritierende US-Präsident Trump mitvereinnahmt wird. Aber was machen „Populisten" denn? Sie schauen auf das Maul des Volkes, des Populi, und nehmen deren Sorgen auf. Dass ihre Versprechungen und Rezepte dabei unrealistisch sind, spielt beim Wahlverhalten des „Volkes, des Populi", dann keine Rolle mehr. Diejenigen Parteien aber, die für den Unmut der Menschen mit ihrer Politik gesorgt haben, sind offenbar unfähig, die Warnsignale wahrzunehmen. Statt hinzuhören, versuchen sie das Volk lieber umzuerziehen. Und das funktioniert nicht.
In Italien hat die Lega Nord auf die geografische Einordnung „Nord" verzichtet und ist mit 17,69 Prozent (+13,39 Prozent) die drittstärkste Partei geworden. Nun haben sich die Italiener ein Wahlrecht zugelegt, dass sie selbst kaum noch durchschauen. Der Zusammenschluss von Parteien zu Blöcken ist deshalb auf den ersten Blick maßgeblich. Die Lega ist Bestandteil eines Mitte-Rechts-Blocks, zu dem auch die Partei „Forza Italia" des Greises Silvio Berlusconi gehört, der zwar selbst kein Amt antreten darf, weil er rechtskräftig wegen Steuerhinterziehung verurteilt ist, der aber trotz aller Affären immer noch durch die politische Chaoswelt Italiens segelt.
Berlusconi hat 7,66 Prozent verloren und ist damit bei 13,94 Prozent deutlich hinter der Lega gelandet. Ist das jetzt eine Katastrophe, dass die Italiener dem Charme des alternden Gigolos und Hütchenspielers Berlusconi nicht mehr gefolgt sind? Die Frage muss doch eher lauten: Gibt es außer Berlusconi keinen marktwirtschaftlich liberalen Italiener mehr, der auf das politische Geschehen Einfluss nehmen kann?
Die Mitte-Rechts-Koalition hat alle Provinzen der Nordens und der Mitte Italiens abgeräumt, bis auf die „rote" Toskana. Dazu gehören Regionen wie die Emilia Romagna und Umbrien, die früher fest in den Händen der Kommunisten waren. Aus und vorbei. So grandios wie die Mitte-Rechts-Koalition im Norden auch gesiegt hat, so ist noch überzeugender im Süden der Sieg der Protestbewegung „5 Sterne" ausgefallen. Die hat ein Komiker gegründet, der das Chaos in Italien mit Hohn und Spott überzog. Auch hier ist die Frage zu stellen: Ist es wirklich verwunderlich, dass die Menschen die Korruption und Zusammenarbeit der ehemaligen Democratia Christiana (unsere CDU) und der PD (unsere SPD) mit der Mafia leid sind?
Die Italienisierung des Euro
Jetzt wird in Paris, Brüssel und Berlin darüber spekuliert, ob es doch noch eine Koalition in Italien gibt, die nicht aus dem Euro austreten wird. Und wieder ist das die falsche Fragestellung: Wie, so sollten die Brüsseler Apologeten sich fragen, ist es möglich, dass gerade Italien, das Land, das der Präsident der Europäischen Zentralbank, der Italiener Mario Draghi, mit einer halsbrecherischen Geldpolitik vor der Pleite retten will, jetzt Europa für seine Finanzprobleme verantwortlich macht? 2,5 Billionen Euro hat Draghi schon gedruckt und dafür vor allem auch die Staatsschulden Italiens aufgekauft – wie die der anderen südeuropäischen Schuldenländer auch. 2,5 Billionen! Ist dieses Papiergeld, für das Draghi mit seiner Unterschrift auf den Euroscheinen bürgt, der Kitt, der Europa zusammenhalten soll?
Die Ironie der Wahlergebnisse spiegelt die Realität wider, die in den Konferenzsälen Brüssels ausgeblendet wird. Dieses Italien mit seiner Historie, seiner Wirtschaftspolitik und den daraus entstandenen politischen wie wirtschaftlichen Traditionen ist für eine Gemeinschaftswährung nicht bereit. Als unter Romano Prodi, dem damaligen Ministerpräsidenten, Italien mit verschönten Zahlen und noch mehr illusorischen Versprechungen entgegen der selbstauferlegten Maastricht-Kriterien mit einer atemberaubenden Staatsverschuldung von über 130 Prozent doch in den exklusiven Club der Euroländer aufgenommen wurde, war dies gleichzeitig der Beginn der Zerstörung der Idee eines freiheitlichen, demokratischen, werteverpflichtenden Europas.
Ja, ich bin immer noch für den Euro, einen Euro allerdings, dessen Stabilität in den Maastrichter Kriterien festgelegt wurde und die konsequent und verbindlich eingehalten werden müssen. Eine gemeinsame Währung aber, die nach Gutdünken von einer EZB-Bank mit einem gerade amtierenden italienischen Präsidenten, der die ganze europäische Währung italienisiert, gegen einen solchen Euro müssen wir uns wehren, weil er mittelfristig gefährliche politische Entwicklungen produziert. Nichts macht dies deutlicher, als das Wahlergebnis in Italien vom 4. März 2018.
Vorbild Italien – eine historische Währungsunion
Kein anderes Land in Europa kann besser als Beispiel dafür dienen, wie eine falsche Währungsgemeinschaft noch nach Jahrzehnten, vielleicht sogar nach Jahrhunderten nachwirkt. Nachdem Guiseppe Garibaldi mit seinen Rothemden (ihm verdanken wir, das „rot" mit „links" identifiziert wird. Er saß im Parlament mit seinen Republikanern in roten Hemden auf der linken Seite) das Königreich beider Sizilien, also Süditalien erobert hatte, wurde er schnell verdrängt und das weit überlegene Königreich Savoyen-Piemont übernahm die Regierungsgewalt im Süden. Der hatte 1861 etwa das gleich Pro-Kopf-Einkommen wie der Norden, aber der Reichtum innerhalb Süditaliens war sehr ungleich verteilt. 90 Prozent der Süditaliener waren Analphabeten. Doch statt einer Republik, von der Garibaldi träumte, übernahmen die Adligen und Kaufleute des Nordens die Macht. Die blühenden Manufakturen Neapels, zum Beispiel, konnten sich nicht gegen die Finanzmacht des Nordens behaupten. Dazu muss erwähnt werden, dass Neapel damals nach London und Paris die drittgrößte Stadt Europas war.
Die gemeinsame Währung, vom Norden durchgesetzt, zerstörte die wirtschaftliche Basis des Südens. Drei Jahre, von 1861 bis 1864, dauerte ein mörderischer Kleinkrieg, in dem sich die Bevölkerung des Südens, vor allem in Sizilien, gegen die Übermacht aus dem Norden wehrte. Die Mafia als ehrenwerte Gesellschaft, die die Übergriffe des Staates bekämpfte, ist ein Erbe der Zwangsintegration und der Währungsangleichung. Die Folge hält seither an. Der Tiefpunkt war 1951, also 90 Jahre nach der Währungseinheit Italiens, da betrug die Wirtschaftsleistung des Südens nur noch 40 Prozent der des Nordens. Heute ist sie etwas angewachsen, auf 60 Prozent..
Die Währung zur Unterjochung des Südens
Doch nicht nur die Wirtschaftsleistung trennt den Norden vom Süden. Die historischen unterschiedlichen Erfahrungen von Nord und Süd sind tief im Bewusstsein verankert. 1976 ergaben die Wahlen einen deutlichen Linksruck. Zum ersten Mal siegte in Neapel ein kommunistischer Bürgermeister. Daran wurden die Hoffnungen geknüpft, dass er jetzt aus Neapel ein zweites Bologna machen würde. Bologna, kommunistisch seit Jahren regiert, war eine Vorzeigestadt. Keine Korruption, kostenloser Nahverkehr (schon 1976 gab es also so etwas) und funktionierende städtischen Dienstleistungen.
Bei den Dreharbeiten für das ZDF für einen Film, der Bologna mit Neapel vergleichen sollte, erlebte ich drei wunderbare Tage in Bologna: bestes üppiges Essen, witzige Gesprächspartner, gebildete, aufgeklärte Europäer. Aber sie alle waren Kommunisten. Ich versuchte ihnen klar zu machen, dass wir in Deutschland andere Kommunisten kennen würden, die das Land durch eine Mauer trennten und auf den Befehl aus Moskau hörten, also keine deutschen Patrioten, so wie sie italienische Patrioten waren. Aber damit löste ich nur Heiterkeit aus: Was für eine tolle Idee: Eine Mauer hinter Florenz durch Italien, und damit wären sie den korrupten Süden los. Ja, das fänden sie gut.
Anschließend waren wir in Neapel und fragten den neuen Bürgermeister, ob er jetzt ein zweites Bologna aus Neapel machen wolle. Auch beim ihm löste ich wieder Heiterkeit aus. „In Bologna," so erklärte er mir, „ist jede Partei erfolgreich, ob Kommunisten oder nicht. Das liegt an den Bolognesern, die verwöhnt sind. Deswegen heißt es ja auch: Bologna la grassa – das fette Bologna. Und in Neapel funktioniert nichts, egal, wer die Stadt regiert."
1981 siegten überraschend die Sozialisten in Apulien. Vor allem Bari machte von sich reden, weil dort viele mittelständische Unternehmen die Linkspartei unterstützt hatten. Bei den Dreharbeiten zu meinem ZDF-Beitrag erklärte mir ein Unternehmer, warum er die Sozialisten unterstützt. Die hätten keine Ahnung vom Geschäftsleben, kümmerten sich hauptsächlich um sich selbst, setzten die vielen tausend Bestimmungen, die uns behindern, nicht um. „Wissen Sie“, sagte er, „Italien wächst nachts, wenn die Bürokraten schlafen."
Jetzt, bei den letzten Wahlen, wählte die Provinz von Bologna und die Romagna Emilia die Populisten von der Lega, und in der Provinz Campania mit der Hauptstadt Neapel siegten die Populisten von der „5 Sterne“ Partei. Deren Spitzenkandidat Luigi di Maio stammt aus Pomigliano d’Arco bei Neapel, einer Stadt, in der einmal zwischen Tomatenfeldern eine Alfa Sud Fabrik gebaut wurde, um die Industrialisierung des Südens zu beschleunigen.
Wie die beiden „Populisten" ein erfolgreiches Italien aufbauen wollen, bleibt schleierhaft. Wahrscheinlich bleibt jetzt Italien lange ohne Regierung, was auch nichts besonderes ist. Das Land hat in gut 70 Jahren 63 Regierungen überstanden. Es ist eher unwahrscheinlich, dass dies unter den Populisten von Nord und Süd besser wird. Auch die Schulden werden nicht weniger. Was neu an dieser Entwicklung für Deutschland ist? Dank des Euro sind wir an dem italienischen Chaos mitbeteiligt. Um die Sympathien für dieses wunderschöne Land aber nicht zu verlieren, empfiehlt es sich, wieder einmal nach „Bologna la grassa" zu fahren und sich dort lukullisch verwöhnen zu lassen.
Im zweiten Tel lesen Sie: Wie die Politik Unfrieden zwischen Deutschland und Italien stiftet