“The Australian Museum has an international reputation in the fields of natural history and indigenous studies research, community programs and exhibitions.” So stellt sich das älteste Museum des Landes vor. Was die ‘natural history’ anbelangt, so kann ich nicht mitreden. Steine werden für mich nicht interessanter, weil sie Millionen oder Milliarden Jahre alt sind. Die ‘indigenous studies’ aber haben mit wissenschaftlicher Arbeit wenig gemein, das zu beurteilen bedarf es nicht des Experten.
Was soll man auch von einer Ausstellung erwarten, die sich damit brüstet, “an Indigenous point of view” einzunehmen, als müsse die Selbstsicht von Aborigines immer der Wahrheit entsprechen, als seien alle Aborigines in Australien immer und jederzeit einer Meinung, als hätten sie in freien und geheimen Wahlen das ‘Australian Museum’ zur offiziellen Repräsentationsinstanz erhoben. “It is a tribute to the multicultural nature of Indigenous Australia”, heißt es da, als hätten die 250 Stämme des Kontinents in Frieden und Eintracht gelebt, bis der weisse Mann ihnen Gewalt und Intoleranz brachte.
Der Ausstellung zufolge sind es vor allem zwei Dinge, die Aborigines brauchen: 1. Kultur und 2. Land. Und das wars dann auch fast schon. Jobs, Bildung, Häuser, Medizin, Schutz vor Gewalt? Nein, da hat man sicher nichts gegen. Aber der ordentliche Aborigine braucht Kultur und er braucht Land. Kultur und Land, Kultur und Land, Kultur und Land. Denn die Kultur, so wird uns versichert, ist heilig, ja, die Kultur ist das wichtigste, was der Mensch besitzt. Diesem Fetisch hat sich offensichtlich auch die gute Freundschaft oder die wahre Liebe unterzuordnen. Und das Land verbindet ihn mit seinen Ahnen, der Traumzeit und seiner Kultur, sprich: dem vorkolonialen Paradies.
Und was ist mit all den massiven Problemen der Aborigine Communities, die das Museum ganz richtig benennt: Gewalt, Alkohol, Drogen, Krankheit, Arbeits- und Obdachlosigkeit? Nun, mit ihrer Kultur haben die natürlich nichts zu tun. Diese Möglichkeit muss nicht einmal in Erwägung gezogen werden. Der Rassismus der Weissen - wie sollte es anders sein? - ist schuld. Allein. Grundsätzlich. Noch heute. Ohne Zweifel. Für die sexuelle Gewalt gegen Frauen und Kinder, für die fehlenden Mathematikkenntnisse, für die Angst vor modernen Krankenhäusern, die mangelnde Hygiene, die Fehden, die schlechten Englischkenntnisse… Das weisse Australien und sein natürlich ‘subtiler’ Rassismus ist schuld, will uns das ‘Australian Museum’ eintrichtern. Dasselbe weisse Australien, das 1967 mit großer Mehrheit (90,7%) für die rechtliche Gleichstellung von Aborigines gestimmt hat. Punkt. Aus. Ende der Diskussion. Wers nicht glaubt, ist womöglich selbst schon Rassist.
Aber das beste fällt mir erst auf als ich endlich den Ausgang erreicht habe. ‘Moment!’, schlage ich mir an den Kopf, ‘das darf doch nicht wahr sein.’ Ich haste durch die Gänge, zurück zur Kunstsammlung. Und da sind sie. Zwischen den klassischen Bildern von Schlangen, Kängurus und Geisterwesen, gemalt von indigenen Künstlern aus ganz Australien, hängen zwei Kinderbilder. Von einem Jungen, 7 Jahre. Und von einem Mädchen, 6 Jahre. Das einzig interessante an diesen Bildern aber ist, dass sie völlig uninteressant sind. Da sieht man ein Haus, ein Auto, eine Sonne, alles in zwei Dimensionen, grellen Farben und unmöglichen Proportionen, wie sich das für schöne Kinderbilder gehört. Und da sieht man ein Mädchen, dass sich über eine Blume oder ähnliches freut. Ein schokoladenbraunes Mädchen natürlich.
Wunderbar. Nichts dagegen. Aber warum zum Teufel hängen diese Bilder hier? Diese Bilder hängen hier, weil das ‘Australian Museum’ den Wilden nicht nur für edel, sondern mehr noch für ein unschuldiges, naives Kind hält. Ein Kind, das nicht fähig ist ohne fremde Hilfe in unserer komplizierten Zivilisation zu überleben. Ein Kind, das man nicht für seine Handlungen verantwortlich machen darf. Ein Kind, dem man nie oder nur vorsichtig sagen darf, wenn seine künstlerischen Leistungen zweit- oder drittklassig sind. Ein Kind, das man nicht überfordern darf. Ein Kind, das noch Märchen braucht. Ein Kind, das man noch eine Weile bevormunden muss.
Und diese uneingestandene Verachtung nennt man dann Respekt.