Gastautor / 26.04.2019 / 15:00 / Foto: uritours / 21 / Seite ausdrucken

Kinderfunk und Größenwahn

Von Bernd Matzkowski.

Immer häufiger werden wir in den Medien daran erinnert, dass in ein paar Wochen die „Europa-Wahl“ stattfindet, wobei schon der Begriff selbst irreführend ist, denn wir wählen nicht „Europa“, wie einst, dem Mythos nach, der in Stiergestalt erscheinende Zeus jene Tochter Europa des phönizischen Königs Agenor, sondern wir wählen lediglich Abgeordnete des Europa-Parlaments, das sich nicht nur durch seine besonders große Zahl an Abgeordneten auszeichnet, sondern auch dadurch, dass kein anderes Parlament in demokratischen Staaten so wenige Rechte hat wie dieses.

Kaum ein Nachrichten-Tag, an dem nicht in den gebührenfinanzierten Sendern ein kleiner Hinweis auf diese Wahlen untergebracht wird, keine Sendeminute ist zu schade, um uns Bilder von Zusammenkünften europäischer Granden ins Haus zu liefern und uns zu zeigen, wie der greise Jean-Claude Gäste betatscht oder abschlabbert. Verschwörungstheorie-Freunde könnten glatt auf die Idee kommen, es gäbe einen Deal zwischen der EU und England, den Brexit auf jeden Fall in die Länge zu ziehen, weil sich dann noch jede Menge Beiträge produzieren lassen, in denen das Wort „Europa-Wahl“ vorkommt. Und auch die Vorboten des „Straßenwahlkampfs“ sind bereits zu sehen: Pappen an Laternenpfählen, Plakate auf Reklametafeln und riesige Aufsteller, die ihren Platz an Kreuzungen und auf mit Hundekot verzierten Wiesenstücken gefunden haben.

Es gibt viele Zeitgenossen, die sich über diese Plakatier-Schandtaten ereifern und sich durch sie belästigt fühlen. Ich gehöre nicht zu diesen Mitbürgern. Ich finde, dass diese Plakate sinnvoll sind, gerinnt auf ihnen doch der laufende Schwachsinn der meisten Parteiprogramme zu mundgerechten Häppchen, die, einmal durchgekaut, den Kern der Parteiprogramme wie einen Löffel Eis auf der Zunge zergehen lassen. Das ist doch hilfreich und spart Zeit, denn man kann sich dann beim Straßenwahlkampf – wenn die Parteien mit ihren Ständen wieder durch die Einkaufszonen irrlichtern – auf das Wesentliche konzentrieren, zum Beispiel auf das Abgreifen von Kugelschreibern, Notizblöcken und dem einen oder anderen Gimmick.

SPD und Grüne – inspiriert vom Kinderfernsehen?

Aufgefallen sind mir bisher die Plakate von SPD und Grünen, die, trotz der einen oder anderen unterschiedlichen Aussage, doch deutliche Gemeinsamkeiten aufweisen: Nämlich eine Mischung aus Kinderfunk und Größenwahn. Beide Parteien kennen Wähler nur im Plural (Kommt beziehungsweise Kommt zusammen), bei beiden Parteien werden die Wähler imperativisch angesprochen, und bei beiden sollen die Wähler auch noch etwas tun (bauen beziehungsweise zusammen kommen).

Dieser Sprachstil lehnt sich stark an Sendungen des Kinderfunks (Kinderfernsehens) der 1960er und 70er Jahre an. So startete im Dezember 1964 eine Kindersendung der ARD mit dem Titel „Schau zu, mach mit“. In dieser Sendung sollten Neun- bis Zwölfjährige durch kleine Einspieler dazu angeregt werden, etwas zu tun, etwa zu basteln, ein vorgestelltes Buch zu lesen oder eine Ausstellung zu besuchen. Technische Neuerungen wurden vorgestellt, Anregungen zur Freizeitgestaltung wurden geboten. Ab Februar 1971 präsentierte das ZDF unter dem Titel „Turn mit!“ wöchentlich zehnminütige „Bewegungsspiele für Kinder“ mit Moderatoren, die ganz tolle Namen hatten: Hannelore Pils-Samek, Bärbel Witt und Charlie Hickmann. Strumpfhosen-Gymnastik für die Vor-der-Glotze-Hocker, die schon in jungen Jahren mit sportlicher Betätigung fremdelten.

Und heute sind es eben die Zwei-Pässe-Katharina und die Langstrumpf-Andrea auf der einen und der lustige Panda-Robert und die sprechende Annalena-Puppe auf der anderen Seite, die uns Kleinkinder (Pardon! Mündige Bürger) nicht mehr erst noch lange siezen, sondern – ganz wie die besten Kindergartentanten- und onkel – einfach DU zu uns sagen, uns an die Hand nehmen und uns ein Angebot machen: bei den GRÜNEN sollen wir basteln (bauen), bei der SPD sollen wir uns bewegen (zusammen kommen) – ganz wie bei „Schau zu, mach mit“ und „Turn mit!

Welch eine Hybris, welch ein Größenwahn

Dieser – letztlich – Infantilisierung, die man uns in der Ansprache zumutet, steht eine Portion Größenwahn bei beiden Parteien gegenüber. Die Grünen wollen das „neue Europa bauen“ (Kommt, wir bauen das neue Europa!), so, als wollten sie das alte Europa, das, um es noch einmal zu sagen, größer ist als die EU und seine Geschichte, einfach wegwischen: Was die Völker dieses Kontinents – von der attischen Demokratie über die europäische Aufklärung bis zur Entwicklung zahlreicher von Freiheit und Demokratie getragener Staaten – geschaffen haben und wovon Kunstwerke, Musikstücke, Kathedralen und weltliche architektonische Meisterwerke Zeugnis ablegen, all das bedarf offensichtlich der Erneuerung: Wir wollen „Europa neu begründen“, so lautet der Anspruch der Grünen! Welch eine Hybris, welch ein Größenwahn spricht aus dieser Wortwahl, die jedem sensiblen Leser jene Schlusszeilen des Gedichts „Deutschlands Beruf“ von Emanuel Geibel (1815-1884) in Erinnerung rufen werden, aus denen die Nationalsozialisten ein politisches Schlagwort für ihren Eroberungskrieg gemacht haben: „Und es mag am deutschen Wesen / Einmal noch die Welt genesen.“ 

Bei den Sozialdemokraten, die „für gute Arbeit sorgen“ und „Ungleichheiten abbauen“ wollen, so als hätten sie in den Jahren ihrer Regierungsbeteiligung und ihrer Anwesenheit im Europaparlament dazu bisher noch keine Gelegenheit oder Zeit gehabt, läuft das Mitmachangebot für uns auf den Slogan zu: „Kommt zusammen! Europa ist die Antwort.“ Auf welche Frage bei welchem Quiz die Antwort „Europa“ ist und ob die Wählerschaft die Möglichkeit hat, einen Telefonjoker anzurufen und ob es sich bei diesem Joker vielleicht um den 100-prozentig-Martin handelt, lassen die Sozialdemokraten aber offen!

Vielleicht ist die Ähnlichkeit in der Ansprache (Kommt zusammen!) Zufall, vielleicht ist sie aber auch dem Umstand geschuldet, dass die Kampagnenplaner beider Parteien eine Vorliebe für die Beatles haben, denn von denen ist der Slogan ja offensichtlich geklaut. 1969 veröffentlichten die Beatles ihr Album „Abbey Road“, dessen erster Titel das Lied „Come Together“ ist. Die Schlusszeilen lauten:

Come together, yeah
Come together, yeah
Come together, yeah
Come together, yeah

Come together, yeah
Come together, yeah...
Come together, yeah...
Aaah...
Come together, yeah
Come together, yeah

Dieser Aussage kann ich uneingeschränkt zustimmen!

Dieser Beitrag erschien zuerst im Magazin Herr Kules.

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Leserpost

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Peter Wachter / 26.04.2019

“Wer den Planeten retten will, fängt mit diesem Kontinent an. Kommt wir bauen das neue Europa.” Wie rassistisch ist das den, den wählen dürfen nur EU-Bürger!

Gert Köppe / 26.04.2019

Na ist doch klar, Links-Grün braucht solche Phrasen, um sich selbst als das Alternativlos zu präsentieren. Man macht einen auf “Oberlehrer”, weil der “dumme Michel” lernen muss was “Gut” für ihn ist, oder zu sein hat. Ist Typisch für linke Ideologen, um das eigene Versagen in Erfolge umzudeuten. Das soll Eindruck machen und vom politischen und wirtschaftlichen Dilettantismus ablenken. Diese “Volksverdummungsversuche” gab es auch schon im DDR-Sozialismus. Das beste Beispiel ist der Begriff “Volkseigentum”, wobei es sich um reines Staatseigentum handelte. Oder “Volkspolizei” als Beschützer des Volkes? Eher sekundär, hauptsächlich Beschützer des staatlich verordneten Sozialismus. “Staatssicherheit” als Sicherheitsgarant für die uneingeschränkte Allmacht der Genossen und strikter Durchsetzung der sozialistischen Staatsdoktrin. “Antifaschistischer Schutzwall” nicht zum Schutz der Bevölkerung, sondern zur Vereitelung und Abschreckung Republikflüchtiger. Nur bei einer Institution hat man das Wort “Volk” bewusst vermieden, bei den Gerichten. Sonst hieße es womöglich noch “Volksgerichtshof”. Auch der Größenwahn ist nicht neu und schon immer Teil linker Verblendung. Mir fallen dann Phrasen ein wie: “Den Sozialismus in seinem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf”, “Der Kapitalismus ist nur eine gesellschaftliche Epoche auf dem gesetzmäßig vorgegeben Weg hin zum Sozialismus/Kommunismus”, oder noch lächerlicher, “Überholen ohne Einzuholen” (Damit ist das kapitalistische Wirtschaftssystem gemeint). Nun ja, jetzt sind sie wieder da und verbreiten “alten Stuss” mit “neuen Slogans”. Hauptsache der “Michel” frisst den Köder und merkt nix.

Berthold Zorell / 26.04.2019

Ich habe diesen Leuten gezeigt, wo’s zum Kindergarten geht. Der CDU sage ich, Europcar ist am Bahnhof.

Sanne Weisner / 26.04.2019

Kein Öffi-Sender, der einen nicht permanent mit dieser EU-Propaganda belästigt, wobei das vermutlich eher kontraproduktiv für ihren eigentlichen Zweck ist, wenn der eine oder andere genervte Nichtwähler zum Protest-gegen-die-Medienzecken-Wähler wird. Und dieses “Europa ist die Antwort” bekommt man besonders oft zu hören oder lesen. Scheint wohl so eine Art Resonanzverstärkung der SPD-eigenen Echokammer zu sein. Auch sehr fremdschämig, das Werben der Union. Diese haben nun wiederentdeckt, dass es Law and Order nötig hätte. Im EU-Einzugsgebiet, hier in DE hat das ja seit Jahren schon nicht mehr so recht klappen wollen.  Wer daran wohl schuld hat?

Tobias Meier / 26.04.2019

Dass die Grünen ohne Rücksicht auf Verluste ein neues Europa bauen (wollen), dürfte hinlänglich bekannt sein: Abschaffung sämtlicher zuverlässigen fossilen Energieträger zugunsten von witterungsabhängigen “Erneuerbaren”, das Umkrempeln, bzw unmöglich machen des Individualverkehrs durch Verbot der Verbrenner zugunsten von deutlich unpraktischeren “Stromern”, die katastrophale, sich immer nur am Schwächsten orientierende und elitenfeindliche Bildungspolitik und nicht zuletzt das Goutieren einer unkontrollierten Masseneinwanderung von bildungsfremden Männern, äh, Menschen mit meist archaischen Wertvorstellungen. Das “neue Europa” der Grünen gegenüber dem der Vorstellungen der großen Vordenker Europas wie Kohl oder Mitterand verhält sich im Vergleich wahrscheinlich in etwa so wie die Hochkultur der Griechen und Römer im Vergleich zum finstersten Mittelalter. Zu Ende gedacht katapultieren die Hirngespinste der Grünen den Kontinent kulturell, technologisch und gesellschaftlich auf den Stand von besseren Höhlenmenschen. Frei nach der GröKaZ: “Wir schaffen das!”

Marion Sönnichsen / 26.04.2019

Auch die Parteiprogramme in Leichter Sprache sind ein schockierendes Dokument dafür, wie diese Parteien versuchen, die Bevölkerung zu verdummen und für dumm zu verkaufen. Diese beiden Parteien werden sich wirklich, auch im infantilen Stil, immer ähnlicher. Hier hatte nach der Bayern Wahl Christian Lindner tatsächlich das richtige Gespür, als er sagte, es sei eigentlich nichts passiert: SPD und Grüne tauschten die Stühle, mehr sei das nicht. Und dieses „die Stühle tauschen“ bewegt sich bei SPD und Grünen im selben unteren Niveau.

Petra Wilhelmi / 26.04.2019

Oh, die Grünen bei uns in Leipzig sagen gar nicht, ob nun Kommunalwahl oder EU-Wahl, die haben einen tollen Slogan für alles kreiert: EGAL WOHER - HIER ZU HAUSE. Darunter sind Klingelschilder, die Namen konnte ich nicht lesen, weil es mich nicht interessierte und weil ich mir denken konnte, welche Namen auf den Türschildern stehen. Nunja, für unser Viertel “Klein Damaskus”, ein No-Go-Area, ausgewiesen als waffenfreie Zone an die sich natürlich niemand hält, gern auch einen wöchentlichen Polizeieinsatz in den einschlägigen Shisha-Bars, mag das zutreffen. Sie haben unser zu Hause nach ihren Vorstellungen in ein arabisches Viertel verwandelt. Vielen Dank ihr Grünen.

Joachim König / 26.04.2019

Wenn Europa die Antwort ist….. wie dumm war dann die Frage?

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