Cora Stephan / 22.09.2020 / 06:07 / Foto: European Parliament / 77 / Seite ausdrucken

Kinder an der Macht 

„Kinder an die Macht!“, jubelte Herbert Grönemeyer einst. „Gebt den Kinder das Kommando, sie berechnen nicht, was sie tun!“ Ist erledigt. Kindermund tut Wahrheit kund, sie sind die neuen Propheten, vor ihrem „I want you to panic“ erzittern die Mächtigen der Welt. Und sie berechnen in der Tat nicht, sie können ja gar nicht rechnen, Zahlen sind kalt und unmenschlich, das weiß schließlich jedes Kind.

Ist das lustig? Nein. Ja. Aber nur für Erwachsene, die längst schon das Wahlalter nicht herunter-, sondern heraufsetzen würden. Und zwar gehörig.

Es ist verblüffend, wie sehr die Infantilen heute das Bild beherrschen. Das betrifft nicht mehr nur den Habitus – Mutti trägt die gleichen kunstvoll zerlöcherten Jeans wie die Tochter, im Fitnessstudio und in der Kneipe wird geduzt, auch wenn der Altersunterschied zwischen Personal und Kunde mehr als vierzig Jahre beträgt. Es reicht bis in die Politik, wo Gesetze dem Bürger schelmisch als „Gute-Kita-Gesetz“ oder „Starke-Familien-Gesetz“ nahegebracht werden.

„Ministerien duzen die Bürger, Bildungszentralen erklären die Demokratie mit Piktogrammen, Medien machen aus Nachrichten lustige Clips, Laute und Bilder ersetzen Begriffe wie in Vor- und Grundschule. Kommunikation wird zum niedrigschwelligen Angebot für alle Schichten, alle Generationen.“ Ja, das verbindet! Verkindern statt spalten! Schon deshalb sieht man in den Städten des Landes allenthalben Menschen auf putzigen Rollern durch die Stadt sausen. 

Ein loser Bund der Rücksichtslosen

Alexander Kisslers neues Buch ist ein Panoptikum des aktuellen Irrsinns. Doch halt: So neu ist das Phänomen gar nicht, die Kindsvergottung setzt nicht erst ein, seit Kinder ein seltenes und um so kostbareres Gut geworden sind. Schon bei Dickens findet sich jener „morbide Kult des Infantilen“, den Aldous Huxley beklagt. Und was ist mit Peter Pan, erfunden um die Wende zum 20. Jahrhundert, das Vorbild für alle Menschen, die nicht erwachsen werden wollen? Morbide vielleicht, mörderisch auf jeden Fall: ein niedlicher Killer und Ausbeuter. Eine Gesellschaft der Peter Pans wäre asozial, ein loser Bund der Rücksichtslosen.

Der ewig Kind bleibende Peter hat weder Moral noch Gedächtnis und schon gar kein Gespür für die Folgen seines Tuns. „Der kindische Mensch wird schnell zum manipulierten Bürger – oder zum skrupellosen Machthaber.“ Wer sich noch an den eigenen unerbittlichen Willen zur Weltverbesserung dank allumfassender Gerechtigkeit erinnert, die idealistische Jugendliche schon immer gerne pflegten, den dürfte das Sendungsbewusstsein einer Greta Thunberg und das herrische Gebaren der Klimaretter von Fridays for Future eher an Maos Junge Garde gemahnen denn an niedliche kleine Gummibärenwerfer.

Doch Kinder und Jugendliche dürfen das, was erwachsene Menschen sich verbieten sollten. „Von den Kindern solle man lernen, tönt es aus Politikermund. Auf die Kinder möge man hören, fordern Künstler und Wissenschaftler. Das eben ist dann doch eine kindische Zumutung zu strategischen Zwecken. Nicht Kindern ist vorzuwerfen, dass sie wie Kinder reden. Aber Erwachsenen ist vorzuwerfen, wenn sie Aussagen von Kindern nutzen, um ihre eigene erwachsene Agenda gegen Kritik zu immunisieren. (…) Sie schaffen sich durch Kinder auf dem Podest eine Tabuzone, in der die Positionen des Podestebauers nicht kritisiert werden sollen.“ Das ist die Macht hinter der Infantilisierung. 

Das Kindische schlägt die göttlichsten Kapriolen. Man kann Alexander Kisslers Buch mit seinen unzähligen Beispielen lesen, um sich zu gruseln – oder aber, um sich, auch dank seiner spitzen Anmerkungen, zu amüsieren. Etwa über Berti, den lustigen kleinen Kerl, von Beruf Borkenkäfer, seine Aufgabe: den Fichtenwald zu zerlegen, was Waldbesitzer nicht erbaut. Im Harz aber freut man sich auf ihn und hat ihn neben Lena Luchs und Wolle Wolf als Helden einer Aufklärungskampagne erkoren. Natur ist gut, egal, in welcher Form sie auftritt.

Projektionsfläche erwachsener Sehnsüchte

Überhaupt, der Wolf: Der ist vor allem lieb. Auch das Ehepaar Habeck hat ihm schon mehr als ein literarisches Denkmal gesetzt. Der Wolf muss gerettet werden, koste es, was es wolle – Hühner, Kinder, Lämmer. Nun mag man zur „Rückkehr des Wolfes“ stehen, wie man will. Doch was hinter der Wolfsbegeisterung steckt, ist meist eine Vorstellung von Natur, die nicht nur hoffnungslos verkitscht ist, sondern auch gefährlich naiv. Die Natur ist immer gut? Achwas. Die Menschheit hat nur deshalb überlebt, weil sie gehörig Respekt vor ihrer natürlichen Umgebung hatte. 

Kisslers Analyse der Verherrlichung von Greta Thunberg ist erhellend. Ein ihrer Selbstanalyse zufolge autistischer junger Mensch wird zur Projektionsfläche erwachsener Sehnsüchte. Geradezu rauschhaft wird ihr applaudiert, wenn sie sich in ihre Wut hineinsteigert – panisch sollen sie werden, die Erwachsenen, man wird ihnen nicht verzeihen, wird es ihnen nicht durchgehen lassen, die herbeifantasierte Weltzerstörung. Man wird ihnen gehörig was hinten drauf geben! 

Vor soviel Moralfuror kapituliert offenbar der Verstand vieler ihrer Anhänger – ein Reporter ließ sich zu der Frage hinreißen: „Wie kann der Wandel zu einer CO2-freien Welt gelingen?“ Auf die gleiche Weise, wie man eine genfreie Welt erzeugt – durch sofortiges Indieluftsprengen derselben.

Es sind, darauf weist Kissler immer wieder hin, nicht die Kinder, sondern die Erwachsenen, die heute das denunzieren, was das Erwachsensein ausmacht: Vernunft. Rationalität. Und bei allem, was man tut, an die Folgen denken. 

Nicht jeder Zorn ist heilig, fürwahr. Doch das Kindischsein frisst sich durch alle Bereiche. Ausgerechnet an den Universitäten herrschen die „Schneeflocken“, die „Safe spaces“ und Trigger-Warnungen brauchen, damit sie nichts und niemand erschreckt. Lernen war gestern, Wissen ist doof. Leben unter der Kuscheldecke.

Exemplifiziert am Duktus der Frau Kanzler

Die Politik assistiert mit „leichter Sprache“, die jeder, aber auch jeder verstehen soll. Kissler exemplifiziert das am Duktus der Frau Kanzler, die sich gern in den Grenzbereichen der Leichten Sprache tummelt, mit „haben“ und „sein“ und „Dingen“ und „Maßnahmen“. Das muss man gelesen haben: „Im Ist-Glanz leuchten Plattitüden. Die Erde ist ein Planet, die Sinne ein Stern, die Bundesrepublik ein Staat. Dies ist ein Buch. Sie sind die Leserin.“ Das ist Tyrannei im Namen der Toleranz. Betreutes Denken für Menschen, denen man keine eigenen Gedanken zutraut.

Das Feuchtbiotop für die Verkindlichung der Welt ist Berlin – „die Stadt gewordene Kinderüberraschung“, wo nichts funktioniert, aber alles so schön bunt ist. Nicht zu übertreffen? Doch! Von den christlichen Kirchen. Dort beherrscht man die Sprache der Bibel längst nicht mehr, man spricht das Pidgin der Sozialarbeiter und Werbetreibenden. Man hänge eine Schaukel in die Kirchenkuppel, und schon hat man „eine spannende Intervention, die befreiende und seligmachende Erfahrungen und Begegnungen (…) ermöglicht“. Die Losung: „Selig schaukeln, glauben, hoffen und lieben auf eigene Gefahr!“ 

Gefahr ist das Wort der Stunde, Mut muss man haben, Glauben „wagen“, „schauen wagen“ und, ja, „getragen wagen“, wenn im Kirchenschiff Klettergerüste aufgebaut werden. Zur Belohnung gibt es „Kirchenkuscheln im Adventsstress“ oder, in Thüringen, „Gottesdienst zum Kloßsonntag“. Fürchtet euch nicht, ihr Kinder, alles ist im warmen Kloß. Kuscheln wagen.

Wie verzweifelt muss man in unseren Kirchen sein, dass sie nicht mehr mit ihrer ureigenen Botschaft für sich werben können? Allem wohl, keinem weh – EKD. Wer sein Produkt auf diese schäbige Weise meint verkaufen zu müssen, glaubt nicht mehr daran. 

Und dann kam auch noch Corona – und „keineswegs nur in Deutschland wuchs der Verdacht, die Regierenden nutzten die krisenhafte Situation, um ihre Wähler geistig endgültig in die Kita zu schicken“. Selbst das Händewaschen glaubte man – „Freude, schöner Götterfunken!“ – dem kindischen Bürger beibringen zu müssen. Und da er sich ja nicht selbst schützen könne, fuhr die Regierung vorausschauend das öffentliche Leben und die Wirtschaft an die Wand, als eine Art Lockdownkuscheln. Das ist so kindisch, wie es so gar nicht lustig ist. 

Und was ist die Moral von der Geschichte? Erwachsensein wagen. Denn „der erwachsene Mensch vergisst nicht, dass er Kind war, aber er weiß, dass er es gewesen ist. Er kennt seine Gefühle gut genug, um sie nicht allen Menschen zumuten zu müssen. Er ist souverän genug, zu sich selbst auf Abstand zu gehen, und erträgt darum Distanz zu Anderen. Er weiß um die Unendlichkeit der Gefühle und die Endlichkeit des Lebens und sieht deshalb nicht in jeder Grenze eine Kränkung.“

Kisslers neuestes Werk ist ein Buch für alle, die sich manchmal fragen, ob sie die Irren sind oder vielleicht doch die Anderen. Nach der Lektüre fühlt sich der Zweifelnde nicht mehr ganz so einsam. Und es ist ein perfektes Geschenk für jene, die man noch unter der Kuscheldecke hervorlocken könnte. Ganz klar: ein Buch, das Leben retten kann.

Alexander Kissler, Die infantile Gesellschaft. Wege aus der selbstverschuldeten Unreife, HarperCollins, Hamburg 2020

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Heike Richter / 22.09.2020

“Eine Mutter kann sechs und mehr Kinder ernähren, sechs Kinder oder mehr hingegen, können keine Mutter ernähren.” Warum, weil sie weder die Erfahrung noch den Willen dazu haben. Kindsein/bleiben wird heute zum Privilg erhoben.

Gabriele Klein / 22.09.2020

@ Knake,Wie Sie habe auch ich nichts gegen einen Wolf. Die Frage ist für mich einzig die des Geheges, Sollen wir dieses jetzt um den Wolf oder um den Menschen bauen?. Mein Vorschlag nach Kant(oder d. Goldenen Regel)  Halten Sie sich ihren Wolf im Hundekörbchen ihrer guten Stube und nehmen sie dem Wanderer nicht sein Grillvergnügen…....  Wenn Sie nicht wissen wie gut Grillwürstchen , des Wandrers Socken und sein Hintern riechen, fragen Sie Ihren Pudel… Ansonsten weiß man aber auch ohne Pudel, dass der Wolf ein Prädator ist, so wie Löwe, Tiger und Gepard auch.  Ich lernte das mal in der Schule, Sie eigentlich nicht? Angesichts Ihrer und der NABU letzter Neuigkeiten rege ich an die Wälder Deutschlands zum Safari Gebiet zu erklären, so daß wir sie nicht mehr zu Fuß, Rad, sondern mit einem entsprechend geschützten Geländefahrzeug erschließen dürfen. Kommen Sie mir jetzt ja nicht mit dem Pferd. Die meisten sind viel zu langsam für diesen ihren URFEIND. Jene, die die Flucht auf guter Piste schaffen könnten, sofern es nicht zur Einkesselung durch ein größeres Rudel kommt, werden auf Lehrgängen fürs Begleitpersonal NICHT für den Ausritt empfohlen, schon gar nicht im Tourismus.  Aber ich kann mir vorstellen dass sich 99% der Bevölkerung nichts mehr wünschen als Wölfe zu sichten. Dafür verzichten sie sicher gern aufs Wandern, Radeln und Reiten mit anschließendem Würstchen aufm Grillplatz.

Gabriele Klein / 22.09.2020

Die 1. Funktion von Kindern/Minderjährigen scheint mir die von “Soldaten” zu sein, sei es im Ehe- Medien- oder im tatsächlichen Krieg. Das “Stipendium” für die “Schulung” wird aus Steuer- und ich darf mal ganz vorsichtig vermuten, auch Quetschgeldern bezahlt. Denn,laut Presse finanziert die ARD den Greta AGITPROP Streifen mit.  Die 2. Funktion d. Kindes, ist die des Schutzschilds im Krieg (siehe Gaza) oder auch auf dem Arm oder der Hand männlicher “Mütter” auf der Flucht. just aus Kulturen wo nun Männer eher nicht die Rolle von Kindergärtnern einnehmen . Infos darüber, wie viele Flüchtlingskinder eigentlich tatsächlich, und damit meine ich “genetisch” zu ihren männlichen Müttern gehören, fand ich in der deutschen Presse bis dato so wenig wie über den Menschenhandel der ,wie ich auf englisch las,  in Deutsch eine Hochburg zu haben scheint.  Im trafficking in Persons Report des Department of State 1919 lese ich Folgendes: “The Government of Germany does not fully meet the minimum standards for the elimination of trafficking but is making significant efforts to do so. ” (Das erinnert mich irgendwie an die jahrelangen Bemühungen unserer “DDR” Regierung das Nordkoreanische Konsulat zu schließen, je länger es dauert umso” lobenswerter und signifikanter” werden die Bemühungen…. “Also wer die Zeugnissprache und amerikanische Diplomatie kennt, sollte nach dem ersten Satz des Reports wissen, was im Lande von “Mutti” Sache ist….....

Mathias Rudek / 22.09.2020

Danke Frau Stephan für diesen sehr eingehenden Verweis auf das neue Buch von Alexander Kissler, daß sich mit dieser neuen Infantilisierung der Politik befaßt. Ein wichtiges Thema, denn hinter dieser Verkindlichung steckt der pure, sehr erwachsene Machtwille der links-grünen Khmer und ihrem gefährlich-albernen Fantasia-Land der totalen Kontrolle.

P. Kreiterling / 22.09.2020

Habeck: Kinderbuchautor; Özdemir: gelernter Kindergärtner; Göring-Eckardt: einige Semester evang. Theologie usw., usw. - und jede Menge Sozialpädagogen und sonstige -ogen. Nicht nur bei den Grünen. Und bei den Ö.R.? Dito. Dagegen kommen die Kisslers nicht mehr an. Das Spiel ist gespielt, die Messe gelesen, der Drops gelutscht.

Sirius Bellt / 22.09.2020

@Manfred Knake. Diese infantile Angst (Rotkäppchen Phänomen) vor dem normalerweise sehr scheuen Wolf verstehe ich auch nicht. Ein herrenloser Schäferhund würde mir im Wald deutlich mehr Kopfzerbrechen bereiten als ein Wolf.

Andreas Rochow / 22.09.2020

Antidemokratisch aufgezäumte Kuschel-Lemminge, wo man hinsieht. “Frau Kanzler” - herrlich! Man sollte wahlweise auch “Tante Kanzler” oder “Mutti” gelten lassen - tut so, als kämen die von globalistischen Institutionen gesandten Protestkinder überraschend und gäben ihr, der DEM DEUTSCHEN VOLKE durch Amtseid Verpflichteten, zu denken. Ein konsequentes Abtreibungsland huldigt denen, die dem Todes-Mixer noch einmal glücklich entkommen sind! Wunderbar, dass ein satirischer Blick auf die Schmierenkomödien aus dem Bundeskanzleramt und der EKD noch zu einem galligen Lachen verhelfen kann.  Aber im Grunde genommen ist dieser Trend zum strategischen Affentheater zum Verzweifeln traurig, weil wir durch Infantilisierung konsensverblödet und wehrlos gemacht werden.

Christoph Rosanka / 22.09.2020

Wie es um das geistige Niveau in D bestellt ist zeigt sich täglich auf den Internetseiten der Behörden und Verwaltungen dieses unseres Landes mit der “einfachen Sprache”!! Nicht zu topen sind aber mal wieder unsere Grünen. Nur mal Claudia Roth nach Dummheit kennt keine Grenzen oder nach Jan, Ska & Terry berichten von der Plenarwoche Juli 2014 suchen! Wenn also schon die sogenannte oder sich dafür haltende “Elite dieses Landes” auf solch Geistigem Blindflug unterwegs ist, der kann sich ernsthaft nicht wundern. D schafft sich ab.

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