Vera Lengsfeld / 03.05.2019 / 15:26 / 49 / Seite ausdrucken

Kevin ist nicht allein zu Haus

Die Enteignungsphantasien eines unbedarften Jusochefs, der trotz aller historischen Erfahrung meint, das Heil wieder im Sozialismus suchen zu müssen, sind nicht das Problem. Es ist der erschreckend fruchtbare Boden, auf dem diese Phantasien wuchsen und gediehen sind. Er wurde von der Politik der letzten dreißig Jahre kräftig gedüngt. Mir fällt bei der Debatte das Brecht-Gedicht über den Menschen ein, der sich aus den Kriegstrümmern herausarbeitete, sich schüttelte und sagte: „Nie wieder! Jedenfalls nicht gleich.“

Bei der westlichen Linken galt die sozialistische DDR mehrheitlich als das bessere Deutschland, vor allem, weil sie es nicht selbst aushalten musste. Beim gepflegten Rotwein in der Toskana war gut philosophieren, dass die Teilung Deutschlands die gerechte Strafe für den Weltkrieg und die nationalsozialistischen Verbrechen sei. Die Strafe verbüßten ja allein die Ostdeutschen. Über den Mauerfall war man in diesen Kreisen entsetzt. Erschwerend kam hinzu, dass man dieses Entsetzen angesichts der weltweiten Euphorie, die von der Friedlichen Revolution ausgelöst wurde, nicht adäquat äußern konnte. 

Ein Gutes hatte das Verschwinden des Sozialistischen Lagers für seine Apologeten allerdings dann doch: Sobald die schäbige Realität nicht mehr zu besichtigen war, konnte man ungeprüft behaupten, dass der Sozialismus doch die bessere Alternative sei, er wäre bisher nur noch nicht richtig ausgeführt worden. Die verhungernden Nordkoreaner sind sicher hinter fast undurchdringlichen Grenzen verschlossen, auf Kuba kann man sich durch die Karibik-Romantik von dem Elend der Kubaner ablenken lassen und das vor unseren Augen scheiternde sozialistische Experiment Venezuela wird anscheinend verdrängt.

Kevin Kühnert wuchs auf in einer Umgebung, die, verführt von der SED-PDS-Propaganda und ihrer willigen Westhelfer, erst fand, dass nicht alles schlecht gewesen sei in der DDR. Später war das meiste sogar gut. Man hatte zwar den Kampf gegen die Wiedervereinigung verloren, die von den aufmüpfigen DDRlern auf der Straße durchgesetzt worden war, um so mehr war man entschlossen, den Propagandakrieg um die wirklichen und behaupteten Fehler beim Wiederaufbau der Neuen Länder zu gewinnen. 

Der entscheidende Fehler, die SED nicht zu verbieten

Bürger zweiter Klasse sollten die Ostdeutschen nun angeblich sein, nachdem sie erstmals volle Bürgerrechte und -freiheiten genießen konnten. Von Kolonialisierung war die Rede, von Abbau Ost. Aufbauhelfer wurden gemobbt, Alteigentümer zum Teil zum zweiten Mal enteignet. So wurde die Bodenreform für sakrosankt erklärt. Angeblich hätte es eine Bedingung der Noch-Sowjetunion gegeben, Bodenreformland nicht an die ehemaligen Besitzer zurückzugeben. Auch als Michail Gorbatschow das öffentlich dementierte, wurde an dieser Legende festgehalten. 

Kürzlich hat SED-Linke-Bundestagsfraktionschef Dietmar Bartsch die Unverschämtheit besessen, einen Treuhand-Untersuchungsausschuss zu fordern. „Das Treuhand-Trauma ist nicht überwunden“, behauptet er. Verheerende politische Fehler der Nachwendezeit müssten aufgearbeitet werden, weil der durch die Treuhand angerichtete Schaden bis heute eine wesentliche Ursache für den ökonomischen Rückstand des Ostens sei. Pikanterweise fand er lediglich beim Thüringer AfD-Chef Björn Höcke uneingeschränkte Zustimmung. Sozialisten sind eben Sozialisten, ob national oder international.

Was Bartsch wohlweislich verschwieg und der Öffentlichkeit unbekannt ist: Die Treuhand ist keineswegs eine Erfindung von bösen Kapitalisten, sondern wurde von der SED, genauer dem Noch-Staatschef Hans Modrow, gegründet. Die vergiftete Saat für die in der Tat verhängnisvollen Fehler dieser Anstalt wurde von den in ihr tätigen SED-Genossen gelegt.

Der entscheidende Fehler war übrigens, die SED nicht zu verbieten, sondern ihr unter anderem Namen und mit ihrem zu DDR-Zeiten zusammengerafften Vermögen die Weiterexistenz zu ermöglichen. Wenn es einen Untersuchungsausschuss geben müsste, dann wäre es ein zweiter Untersuchungsausschuss zum verschwundenen DDR-Vermögen. Im Ausschuss, der in der Legislaturperiode 1994 bis1998 tätig war, haben alle vorgeladenen SED-Genossen, an der Spitze Gregor Gysi, die Aussage verweigert mit der identischen Erklärung, sie würden sich der Strafverfolgung aussetzen, wenn sie ihr Wissen preisgeben würden.

Die Aufarbeitung der DDR-Pleite wurde nie richtig durchgeführt 

Sie bezahlten dann ein paar hundert DM Strafe und wurden nie wieder behelligt, obwohl es sich um eine Summe von geschätzten 24 Milliarden DM handelte, denen der Bundestags zum größten Teil vergeblich hinterher recherchierte. Heute würden sich die Genossen nicht mehr strafbar machen, denn die Verjährung ist bereits eingetreten. Sie könnten in einem zweiten Untersuchungsausschuss ihr Wissen offenbaren, ohne strafrechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen. Dabei könnte auch Genosse Bartsch angehört werden, den der erste Untersuchungsausschuss unbegreiflicherweise nicht vorgeladen hatte, obwohl er Bundesschatzmeister der SED-PDS war.

Last not least: Es gab für Kühnert Gegenstimmen aus der SPD. Es war aber gerade die SPD, die den heutigen sozialistischen Phantasien den Weg geebnet hat. Nur vier Jahre, nachdem die SED entmachtet wurde, hat die SPD in Sachsen-Anhalt die SED-PDS wieder an der Macht beteiligt, wenn auch vorerst nur am Katzentisch, als Mehrheitsbeschaffer für die rot-grüne Minderheitsregierung. Nachdem im Deutschen Bundestag 1994 eine SED-PDS-Politikerin als Bundestagsvizepräsidentin gewählt wurde, war die Partei endgültig anschlussfähig. Es dauerte nicht lange, und sie konnte in den Ländern wieder mitregieren. Da ist es kein Wunder, dass die Aufarbeitung der DDR-Pleite nie richtig durchgeführt wurde.

Kevin Kühnert hat sich nur zur Speerspitze der ewiggestrigen Sozialismus-Apologeten gemacht. Wie sich das in zum Teil enthusiastischer Zustimmung, nicht nur im Sturmgeschütz des demokratischen Sozialismus „Spiegel“, zeigt, ist Kevin nicht allein zu Haus. Das Gespenst des Kommunismus ist bei ihm. 

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Leserpost

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A.Kaltenhauser / 03.05.2019

Ein konsequent analytischer und die damaligen Umstände erhellender Artikel. Besten Dank! Zitat von Volker Rühe: “Im Kommunismus saßen die Demokraten im Gefängnis, in der Demokratie sitzen die Kommunisten im Parlament.”

Karla Kuhn / 03.05.2019

“Es ist der erschreckend fruchtbare Boden, der, auf dem diese Phantasien gewachsen und gediehen sind.”  Sie bringen es auf den Punkt, der “fruchtbare” Boden, für mich eine ” fruchtbar furchtbarer”  Boden ! Vielleicht ist es gar nicht so übel, dann lernen die Ewiggestrigen mal, wie es ist, im Sozialismus zu leben, VORBEI mit Schule-Studiumschwänzen, Studium nur in der REGELSTUDIENZEIT. Arbeitsscheu ? =Jugendwerkhof, und noch viele “SCHMANKERLN” für die Phantasten. Demos generell werden brutal mit Polizeigewalt unter EINSATZ von Waffen beendet. Alle die sich dem System andienen, werden sofort vereinnahmt und stehen unter Beobachtung. Heute bei dieser Technik NULL Problem ! Wer allerdings glaubt, OHNE LEISTUNG nach oben zu kommen irrt. Das schöne Leben im Kapitalismus, wie es so viele genießen, ewig lange studieren, schon in jungen Jahren Arbeitslosengeld oder Hartz IV kassieren, einfach mal aus Lust und Laune eine Demo aufmischen, noch nichts geleistet haben aber sich produzieren, daß können sich die KOMMUNISMUSTRÄUMER abschminken. Wer nicht pariert kommt entweder in einen JUGENDWERKHOF ( jeden Morgen 6 UHR fuhren an unserem Haus die Busse mit den Jugendlichen, die zur Arbeit in einen Schwermetallbetrieb gebracht wurden, vorbei) oder schon in JUNGEN Jahren in Knast. Die Alt-Stalinisten haben ihrer Brut genau ihre Methoden vererbt. Aber für viele der “Jungkommunisten” wäre so ein Leben wünschenswert.  Die GUTEN FACHKRÄFTE werden Deutschland verlassen (viele sind ja schon weg) und die Firmen, denen der Kevin und seinesgleichen mit Enteignung drohen, werden SCHNELLSTENS das WEITE suchen, so wie nach 1945 die meisten Firmen, vor allem aus Sachen,  fluchtartig den Osten verlassen haben! SOZIALISMUS PUR, das ist dann VERDIENTE die Strafe !! Tja, wenn es dem Esel zu gut geht…...

Sanne Weisner / 03.05.2019

Der Kevin knüpft hier aber nicht an Ost-Erinnerungen des real existierenden Sozialismus an, denn die älteren Ossis kennen ihren alten Sozialismus ja noch, sondern an die westliche Traumversion davon. Und so scheint zwischen den Kühnertschen Worten auch nicht das alte DDR-Kaderdeutsch der PDS sondern die Karikatur von SJW und analogen Spinnereien aus der USA und GB raus. KK ist somit nicht der legitime Erbe der FDJ sondern ein lauwarmer Bruder von A. Occasio Cortez.

Martin Stumpp / 03.05.2019

Ein Kollege hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass man bei den Phantastereien von Kevin das Wort demokratisch einmal durch völkisch ersetzen sollte. Und in der Tat die Ähnlichkeiten sind unverkennbar. Nationalsozialismus und Internationalsozialismus sind wohl doch nicht so verschieden.

Ludwig Wauer / 03.05.2019

Da bin ich mir aber nicht sicher, ob die Parteienlandschaft heute grundlegend anders aussehen würde, wenn man die SED verboten und ihr Vermögen eingezogen hätte. Ich finde eher, dass die Medien damals versagt haben. Man hätte damals die Chance gehabt, breite Kreis des Volkes davon zu überzeugen, daß am Untergang der DDR nicht unfähige Politiker schuld sind, sondern die marxistische Ideologie weil diese letztlich auf einer illusionären Anthropologie beruht. Stattdessen wurde beispielsweise die nach westlichen Maßstäben eher bescheidene Jagdhütte von Erich Honecker gezeigt, mit der die Korruptheit der kommunistischen Politiker bewiesen werden sollte. Den Schluss, den der unbedarfte Medienkonsument daraus ziehen konnte, war: Der Sozialismus ist per se nicht schlecht, er ist aber gescheitert an der Unfähigkeit von Politikern. Ergo: Mit einer neuen Garnitur von Politikern würde der Sozialismus bestens funktionieren. Und Gysi, der bald zum Medienstar avancierte, verkörperte mit seiner bei DDR-Altkadern nie erlebten Eloquenz genau diesen Typ.

Werner Fett / 03.05.2019

Zum Thema Sozialismus: Albert Einstein wird der Satz zugeschrieben ” Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.” Dann gibt es noch den Witz von dem Chirurgen, der dem Patienten versichert, er habe die Operation schon hundert mal gemacht. Einmal müsse es ja klappen. Laßt doch dem kleinen Kevin sein Vernügen, auf den Putz zu hauen. Mehr hat er nicht zu bieten. Und mehr Wählerstimmen bekommt die SPD durch infantiles Poltern auch nicht. Er müht sich kräftig ab, sich zum “enfant terrible”  - ja wohin - zu stilisieren, doch keiner hat ihm anscheinend je gesagt, wie todlangweilig er ist.

Eleonore Weider / 03.05.2019

Sehr geehrte Frau Lengsfeld, klar, daß mit Ihrem Hintergrundwissen manchem dieser SEDler der Popo auf Grundeis geht. Eine undemokratische SED-PDS-Politikerin als Bundestagsvizepräsidentin ist möglich, andere werden gemauert. Ich weiss nicht, was an diesem Sozialismus so schön sein soll, ausser für die Bonzen. Von wegen Gerechtigkeit - Nach Meinung der Sozialisten ist es ein Laster, Gewinne zu erzielen. Ich bin dagegen der Ansicht, daß es ein Laster ist, Verluste zu machen. Winston Churchill.

Christian Garbe / 03.05.2019

Es ist doch echt schockierend, dass über “Sozialismus” überhaupt nachgedacht wird. “Enteignung”, “Verstaatlichung”, Kollektivierung”...bei den Begriffen dreht sich mir der Magen um! Was ist aus der BRD geworden, nach der wir Ostdeutschen und gesehnt haben? Nur knapp 30 Jahre später soll ich den Sch… nochmal mitmachen? Bitte wartet noch…ich möchte das nicht nochmal haben…

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