Kevin, die nützliche Nebelkerze

Wer es je mit Behörden und behördenartigen Unternehmen zu tun hatte, der kennt dem Namen oder mindestens dem Inhalt nach das "Peter-Prinzip". Die These des Amerikaners Laurence Johnston Peter (1919–1990) ist eigentlich ein pragmatisch-logisches Prinzip: Wenn Angestellte dafür befördert werden, dass sie ihre Aufgabe erfüllen, was ist logischerweise die Endstation jeder Karriere? Richtig. In einer Hierarchie wird im Laufe der Zeit jede Stelle mit einem Angestellten besetzt, der an dieser Position seine maximale Inkompetenz erreicht.

Ich würde gern ein verwandtes, aber in der Sache doch verschiedenes Prinzip für die Politik vorschlagen, und anders als das Peter-Prinzip soll es nicht nach mir, dem Autoren, benannt sein, sondern nach einem der Politiker, der das neue Prinzip lebt – doch zuerst die Nachrichten!

Was haben Gerhard Schröder, Heidemarie Wieczorek-Zeul und Hans-Jürgen Wischnewski gemeinsam? Sie waren mal Vorsitzende der Jusos, der für Jugendliche (und wer sich für "jugendlich" hält) reservierten Vorfeld-Organisation der SPD. Der heutige Juso-Chef ist der pausbäckige Neunundzwanzigjährige Kevin Kühnert. Kevin hat mal ein Fernstudium der Politikwissenschaft an der Fernuni Hagen begonnen. Es "ruht" aktuell (siehe etwa taz.de).

Kevin wurde auf bundesdeutscher Medienbühne bekannt mit seinem "Kampf" gegen die Große Koalition nach der Bundestagswahl 2017. Kevin Kühnert: „Die SPD wird in keine große Koalition gehen“ (zeit.de, 30.11.2017)

Die SPD "ging" in die Große Koalition.

Es ist Mai 2019, der Lärm des Wahlkampfs tobt, und Kevin hat eine neue Idee: Kevin träumt vom "demokratischen Sozialismus" und der "Kollektivierung von BMW" (siehe spiegel.de und andere). Jeder Bürger, sagt Kevin, soll nur noch so viel Immobilien besitzen, wie er selbst bewohnen kann. Kühnert will "genossenschaftliche Lösungen" und einen Sozialismus auf demokratischem Wege; und natürlich sei der richtige Sozialismus noch nie wirklich ausprobiert worden, denn der sei vor allem eine "Methode", et cetera.

Eine Art von (politischem) "Shitposting"

Ich glaube keine Sekunde, dass Kevin den Schund, den er erzählt, ernst meint – Kevin betreibt (darin übrigens in Parallele etwa zum Attentäter von Christchurch, siehe „Das Attentat von Christchurch – und das Manifest Das Attentat von Christchurch – und das Manifest") eine Art von (politischem) "Shitposting".

Die englischsprachige Wikipedia beschreibt „Shitposting" in etwa als das Veröffentlichen einer großen Menge provokanten Inhalts niedriger Qualität, wodurch die Debatte in Online-Foren entgleist oder aus anderem Grund unmöglich wird – das ist in etwa, was Kühnert auch tut: Er wirft schrottwertige Ideen in den politischen Raum, die anderen Politik-Lautsprecher springen dankbar auf, und so wird einen weiteren Tag von der Debatte und der notwendigen Lösung der wirklich kritischen Fragen abgelenkt.

Kevin Kühnert vertritt einen "neuen" latent postdemokratischen Politikertypus, welcher in der von Sozialen Medien und Empörungstriggern beheizten Spätdemokratie besonders gut gedeiht.

Ich nenne Kühnert einen "postdemokratischen" Politiker; im (politischen) Effekt ähnelt er Merkel, Lauterbach oder Stegner, aber auch Publizisten wie Stokowski vom Spiegel (siehe dazu „Wie Gaffer beim Logikunfall"). Kühnert beherrscht die Kunst, die Debatten-Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, etwa indem er irren Nonsens fordert, und während das Publikum damit beschäftigt ist, seine schrägen These zu widerlegen, können "die da oben" weiter "machen, was sie wollen".

Der amerikanische Feuerwehrmann Paul Neal "Red" Adair wurde bekannt durch seine Methode, brennende Ölquellen zu löschen, indem er Sprengstoff explodieren ließ, so dass der Luft in der Umgebung kurzzeitig der Sauerstoff entzogen wurde, was das Feuer zum Erlöschen brachte; ähnlich operieren politische "Shitposter" wie Kevin: Indem er irren Unsinn fordert, entzieht er der demokratischen Debatte kurzzeitig die Vernunft – und damit der Demokratie das Fundament.

Was Kühnert anfasst, das scheitert (oft) – doch das ist kein Manko, das ist sein wahres Erfolgsgeheimnis. Kühnert wird immer weiter aufsteigen, weil er uns, den Plebs, mit Bullshit beschäftigt hält, während im Hintergrund gemacht werden kann, was wohl tatsächlich gemacht werden soll.

Das Kevin-Prinzip

Ich lege hier eine These vor, die ich "Kevin-Prinzip" nenne: Der erfolgreiche postdemokratische Politiker versteht sich darauf, die öffentliche Debatte auf konsequenzlose, geradezu irre oder schlicht unwichtige Themen zu lenken, während hinter den Kulissen, an der demokratischen Debatte vorbei, über die eigentlich wichtigen Fragen entschieden wird.

Ein klassisches und wiederkehrendes Kevin-Thema ist etwa das Tanzverbot am Karfreitag (rp-online.de, 18.4.2019: „Juso-Chef Kühnert fordert Abschaffung von Tanzverbot an Karfreitag"). Nicht immer müssen Kevin-Themen auch von Kevin kommen; die FDP etwa ist bekannt dafür, alljährlich das Kevin-Thema "Zeitumstellung" hervorzukramen (n-tv.de): "FDP scheitert im Bundestag – Winterzeit bleibt erhalten"; welt.de: "FDP will Sommerzeit dauerhaft einführen", und viele Kevin-Meldungen zur Zeitumstellung mehr).

Nach dem Peter-Prinzip ergibt sich logisch, dass in hierarchischen Strukturen nach einer Zeit alle Positionen mit Angestellten besetzt sind, welche die "Stufe ihrer Unfähigkeit" erreicht haben.

Nach dem Kevin-Prinzip ergibt sich logisch, dass in der Erregungs-Demokratie nach einer Zeit alle Posten mit Politikern besetzt sind, welche sich darauf verstehen, maximale Aufmerksamkeit bei minimaler Konsequenz in der diskutierten Sache zu erzeugen – im Volksmund nennt man solche Leute auch "Dummschwätzer".

Sowohl Konzerne als auch die Manager in diesen sind lernfähig, und sie haben durchaus auf die frechen Thesen des Peter-Prinzips reagiert. Einige haben es sich zum neuen Prinzip gemacht, Angestellte, die zu lange nicht aufsteigen, allein dafür zu entlassen. Andere Firmen versuchten, Angestellte in ihrem Rang wieder nach unten zu versetzen.

Wie wollen wir Wähler auf die Herausforderung des Kevin-Prinzips eingehen? Wir könnten (und sollten?) im Alltag darauf achten, Unsinns-Schleudern wie Kevin K. nicht mit Aufmerksamkeit zu belohnen (wogegen dieser Essay natürlich ein Stück weit verstößt, obgleich er auf der "Meta-Ebene" bleibt, ich weiß).

Demokratie beginnt mit uns, demokratisch denkenden Bürgern: Lassen Sie uns nicht über jedes Stöckchen springen! Ist das, was der Kevin-des-Tages von sich gibt, bei welcher Partei, Zeitung oder Sendeanstalt er auch heimisch sein mag, wirklich wichtig, wird es wirklich Konsequenzen haben? Oder lenkt es vielleicht nur ab?

Um das wirklich Wichtige zu debattieren, ist es immer wieder notwendig, das Unwichtige links liegenzulassen – wo sonst?

Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com.

 

Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.

Foto: Raimond Spekking CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Heidi Hronek / 03.05.2019

So locker kann man die Phantasien des kleinen Kevin leider nicht nehmen, wenn man sich die Begeisterung für Klein Greta ansieht. Die Deutschen sind zur Zeit für jede Art der Selbstzerstörung unglaublich empfänglich. Heute lachen wir noch über die Kleinen, aber ich vermute, in gar nicht so ferner Zukunft wird das zur Staatsräson. Die Dementis von Nahles sind ja eher schwach, von Merkel, Steinmeier und Habeck habe ich dazu noch nichts vernommen.

V. Großmann / 03.05.2019

Wenn man die gleichen Maßstäbe für die “Beobachtung durch den Verfassungsschutz” anlegt, wie bei AfD und - der Fairnis halber - PDS/Linke, müsste Kevin mittlerweile eigentlich eine ständige Begleitung durch ein paar MiB aus Köln haben. Trotz des gerne immer zitierten Art. 15 GG - von dem, was Kevin “allein mit Flausen” da herumfabuliert, lässt sich das wenigste mit dem Grundgesetz vereinbaren. Vermietung durch Private kein zulässiges Erwerbsmodell mehr - das widerspricht eklatant Art. 12 und 2 I GG. Mehrfacheigentum an Grund und Boden über das selbst genutzte Haus unzulässig - schon mal Art. 14 gelesen ? Und selbst die Verstaatlichung / “Kollektivierung” etwa von BMW - Art. 15 spricht ja von Produktionsmitteln. BMW ist aber eine Aktiengesellschaft, die bereits jetzt vielen gehört. Die alle zu enteignen, ginge weit über das hinaus, was sich die Erfinder des Grundgesetzes mal vorgestellt haben, und das war schon eher unausgegoren. Ganz abgesehen davon, das der kühne Kevin kein Wort über die notwendigen Entschädigungen verliert; wo sollte der Staat die Billionen (und ich meine das nicht “amerikanisch”) hernehmen, um für alle großen Unternehmen + alle Immobilien über das Einfamilienhäuschen hinaus eine angemessene Entschädigung zu zahlen ? Von Draghi drucken lassen ?? Klar, man kann hinter solchen Absurditäten Methode vermuten, obwohl der Alpha-Kevin heute noch mal nachgelegt hat (“meine das ernst”). Vielleicht nach dem Motto “da bin ich ja froh, dass ich nur 50% CO2-Steuer zusätzlich auf mein Haus zahlen muss, die SPD hätte mir das ja auch alles wegnehmen können”. Hätte sie nicht, aber so weit denkt ja keiner. Oder ?

Fanny Brömmer / 03.05.2019

Ich widerspreche. Schon lange erheitert das Lehrer - Bonmot, dass Kevin kein Name ist, sondern eine Diagnose, die Gemüter. Kevin K hat keinen hintergründigen, ausgebufften Plan - der IST so blöd.

Frank van Rossum / 03.05.2019

@Anton Weigl: Der BMW Betriebsratsvorsitzende macht es kurz und bündig: „Die SPD ist für Arbeiter nicht mehr wählbar“ - zu finden auf SPON

B. Jacob / 03.05.2019

Danke lieber Kevin, dass Du uns darauf aufmerksam gemacht hast, das auf Katharina Barleys und die Wahlkampfplakate der SPD das Wort sozialistisch nicht drauf gepasst hat, sonst würden wir es tatsächlich mit dem Wörtchen sozial verwechseln. Einer muss ja diesen ideologischen Traum finanzieren und wer wird das wohl sein.

P. F. Hilker / 03.05.2019

Wir haben doch schon den Sozialismus in Deutschland. Es wird ein Tabu nach dem anderen gebrochen. Enteignung ist doch schon in aller Munde. Erst beim Sparer, der es schon länger spürt, dann beim Wohnungseigentum, bei der ausufernden Sozialgesetzgebung, etc. Da kommen solche Typen wie Kühnert, hauen was raus und alle lachen zuerst. Dann kommt die bittere Erkenntnis, oh, wir sind ja schon mitten drin in diesem schleichenden Prozess. Tja, das ist das Kühnert-Prinzip. Erst ein dummer Spruch, dann bittere Wahrheit.

Ralf Witthauer / 03.05.2019

Nein, nein, nein, Herr Wegener. Sie unterschätzen Herrn Kühnert, bzw. dessen Strategie und Taktik. Die hieß schon zu Lenins Zeiten: 3 Schritte vor und 2 zurück beim Aufbau des Kommunismus. Das heißt für den konkreten Fall, zunächst wird die Enteignung von BMW und von Wohnungen gefordert und am Schluss ist jeder froh, dass es “nur” zum gesetzlich geregelten Veto des Betriebsrates und der Gewerkschaft gegenüber den Aktionären hinsichtlich Gewinnverwendung und zur Fehlbelegungsabgabe bei Wohnraum gekommen ist (die diskutierte Co2- Steuer ähnelt dem bereits ). Ist dieser Stand erst mal erreicht, wird die nächste 3- Schritte- Sau durchs Dorf getrieben. Den Ossis ist dies aus Theorie und Praxis bestens bekannt, ebenso das fatale Zwischenergebnis und dessen gescheitertes Ende. Deswegen stellen sich dort sehr viel quer und gelten deshalb als rechts. Die meisten Wessis halten dies (Mangels eigener Erfahrung) allerdings immer noch für die notwendige, progressive Erneuerung des Sozialstaates mit notwendiger Einhegung des Kapitalismus.

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