Wolfram Weimer / 05.12.2019 / 12:00 / Foto: Raimond Spekking / 69 / Seite ausdrucken

Kevin, der Defibrillator der Macht

Den größten Verlierer im SPD-Umbruch kennt jeder: Olaf Scholz. Seine Macht ist brutal pulverisiert, seine Autorität wird bereits von Mitleid getragen, seine Karriere wirkt schlagartig wie ein Auslaufmodell. Der Vize-Kanzler und Finanzminister arbeitet nurmehr auf Abruf neuer SPD-Machthaber.

Doch wer hat die neue Macht der SPD wirklich? Wer ist der größte Gewinner im SPD-Drama? Formal Norbert Walter-Borjans. Tatsächlich aber startet Walter-Borjans als schwächster SPD-Vorsitzender aller Zeiten. Die SPD hat im Jahr 2019 ihr eigenes Machtzentrum zerschlagen. Der Parteivorsitz ist in eine Doppelspitze gespalten, die Partei in Lager zerrissen, der Rückhalt in der Bevölkerung auf homöopathische Dosen geschrumpft.

Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken werden in der SPD-Bundestagsfraktion weitgehend skeptisch beäugt, weil beide noch nie ein gewähltes Mandat errungen haben. Eskens höchstes öffentliches Amt war der Vizevorsitz im Landeselternbeirat Baden-Württemberg. Ihren Wahlkreis verlor sie zweimal und erlangte ein Mandat nur über die Landesliste. Walter-Borjans schaffte es zwar zum Posten als Staatssekretär und NRW-Finanzminister – ein gewähltes Mandat hat er jedoch auch noch nie innegehabt.

Die Autorität der beiden ist darum bei den SPD-Abgeordneten überschaubar. Die stolzen Mandatsträger werden sich jedenfalls von ihnen kaum vorschreiben lassen, wie die Legislatur gestaltet werden soll. Die Doppelspitzen sind zwar äußerlich Gewinner im SPD-Machtkampf, die großen Sieger sind sie aber nicht.

Ersatzkandidaten für ihn selbst

Der eigentliche Sieger heißt Kevin Kühnert. Die drögen Kandidaten Esken und Walter-Borjans wären ohne seine Unterstützung niemals Parteichefs geworden. Ohne Kühnert wären die beiden vermutlich nicht mal in die Stichwahl gekommen. Kühnert hatte sich früh und laut für genau diese Doppelspitze ausgesprochen. Sie waren wie Ersatzkandidaten für ihn selbst. Kühnert mobilisierte eifrig die starken Juso-Truppen (mehr als 70.000) und half Esken-Borjans zuerst ganz knapp ins Finale und dann zum ebenfalls knappen 53,06 Prozent-Sieg. Die Juso-Stimmen haben jeweils den Ausschlag gegeben.

Das wissen natürlich auch die neuen Vorsitzenden und sind Kühnert fortan verpflichtet. Sie sind Vorsitzende von seiner Gnade. Der Juso-Chef wächst damit in der Rolle des Ansagers seiner Partei hinein. Er hat die No-GroKo-Bewegung begründet und angeführt. Jetzt hat er seine Kandidaten wie ein geschickter Marionettenspieler ganz vorne auf der Bühne platziert. Der Spiegel kommentiert verblüfft: Wahrscheinlich “gab es in der Geschichte der Bundesrepublik nie einen 30-jährigen Politiker, der so mächtig war, wie es derzeit Kevin Kühnert ist”. Kurzum: Der gefühlte Parteivorsitzende ist ab sofort Kevin Kühnert.

Kühnert verkörpert etwas, was in der SPD seit Gerhard Schröder schmerzlich vermisst wird: Lustvoller Machtwille, rhetorische Offensive und klare Haltung. Wenn Walter-Borjans in den Regionalkonferenzen beamtenhaft vortrug, der Bus SPD sei in die “neoliberale Pampa” abgebogen und müsse da wieder raus, dann wussten alle Genossen, dass das Kevin-Sprech ist. Wo die neuen Vorsitzenden merkwürdig diffuse Sprachsignale senden, weiß Kühnert genau, wo er hinwill. Im ZDF machte er Klartext-Ansagen, wie man nun die CDU mit neuen Forderungen vor sich hertreiben wolle.

Defibrillator der Macht

Wenn Olaf Scholz zuweilen wirkt wie ein Anästhesist der Macht, dann ist Kühnert ihr Defibrillator. Kühnert setzt seine Schockimpulse gezielt und zielt immer genau ins Herz der Sozialdemokatie. Seine Revolte kommt nicht mit Barrikadenbrand und Fahnengeschrei daher, sondern mit dem Notarzt-Köfferchen desjenigen, der jetzt die Seele der Partei lebensretten müsse. Seine Partei müsse den “Teufelskreis der ewigen Großen Koalition” überwinden, diagnostiziert er kühl und gewaltig.

Als Leitspruch für den Neustart in der Opposition hatte er einmal ausgegeben: “Heute einmal ein Zwerg sein, um künftig wieder Riesen sein zu können.” Diese Taktik hat er nun bei seiner eigenen Karriere clever angewandt. Er ist selber nicht angetreten bei der Wahl zum Parteivorsitz, hat sich lieber zwergenklein gemacht und zwei Halbamateure zu Übergangschefs befördert. Damit steht ihm nun eine riesenhafte Perspektive offen. Natürlich werden die Moderaten und GroKo-Verfechter ihm auf dem SPD-Parteitag auch Widerstand leisten, vielleicht sogar Rache nehmen. Das langfristige Momentum der SPD aber liegt bei ihm, dem neuen gefühlten Vorsitzenden der SPD.

Dieser Beitrag erschien zuerst in The European

Foto: Raimond Spekking CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Frank Stricker / 05.12.2019

Ich hatte letzte Woche mal bei Anne Will reingezappt und war schockiert ,mit welch betulicher Hilflosigkeit Frau Esken und Herr Borjan dort von den anderen Gästen vorgeführt wurden. Selbst wenig versierte Zuschauer konnten mühelos erkennen , dass muß das letzte Aufgebot der SPD sein. Kevin Kühnert gilt zwar als Königsmacher der beiden Notlösungen , aber eben nur bis zur nächsten Wahl, dann läutet das Totenglöcklein der Spezialdemokraten noch ein bißchen lauter……..

Dr. René Brunsch / 05.12.2019

Wenn man sich das aktuelle SPD-Personal anschaut fällt mir kein ehrliches Wort zur Beschreibung ein, dass nicht unter die Hate-Speech-Kategorie fallen würde. Die SPD zerlegt sich in atemberaubenden Tempo und mir wäre es lieber gewesen, die Linken würden sich als Leichenfledderer dieser einst ehrwürdigen Partei andienen als die Grünen. Die Umfragen zeigen die SPD näher an der 5 %- Hürde als an einer Position, in der man Kanzlerträume hegen darf und der Trend ist längst nicht gestoppt. Dieser könnte sich frühestens drehen werden, wenn auch der naive Teil der Bevölkerung verstanden hat, dass die Grünen alles andere sind als das kleinere Übel. So vermute ich, dass bei der Redewendung “Kevin allein zu Haus” bald anders belegt sein wird als nur cineastisch.

Max Anders / 05.12.2019

Die Bedeutung und Funktionsweise eines Defibrillator ist Herrn Weimer offensichtlich nicht genau bekannt. Auch wenn sich Wortspielereien zur Scholz Anästhesie anbieten glaube ich kaum, daß gerade Klein Kevin mit einer lebensrettenden Maßnahme für die sich im Hospiz befindlichen SPD auch nur ansatzweise in Verbindung gebracht werden kann. Ungeachtet der verklärten Betrachtung der Ereignisse um die alte Tante vermisse ich das Herausarbeiten des Faktes, daß die erste Amtshandlung von den Borskens und dem Bengel Kevin typisch sozialdemokratisch war: Umfallen und die Aussagen vor der Wahl negieren… Von wegen Groko Ausstieg…

Frank Danton / 05.12.2019

Kühner, Borjan und Esken stehen für Sozialsozialismus und nicht für Sozialdemokratie. Ihre Aussagen sind von einer ideologischer Zwanghaftigkeit und real exitierender Ideenlosigkeit geprägt denen man nur Engstirnigkeit und geistiges Versagen attestieren kann. Die SPD ist das Filtrat ideologischer Unterwanderung und man sollte sich davon verabschieden ernsthaft Inhalte mit dieser zu verbinden. Weder die Linken noch die Grünen haben sich von den kommunistischen Plattformen so okkupieren lassen wie die SPD, was dazu führte das die rote Khmer die JUSOS übernommen hat. Stalinisten, Trotzkisten, Leninisten und Marxsisten dominieren das Gedankengebäude der Neu-SPD. Man sollte sich lieber ernsthaft damit beschäftigen was aus der SPD Vernetzung zu Gewerkschaften, Medien, Verbänden, Stiftungen, NGOs usw wird, jetzt nachdem sich sozialistisch/kommunistische/!antifaschistische! Revolutionäre und Anarchisten diese ehemalige Partei unter sich aufgeteilt haben.

Dr. Joachim Lucas / 05.12.2019

Wenn Leute wie dieser Nichtsleister/-könner Kühnert hochkommen, zeigt das zum x-ten Mal exemplarisch wie krank das politische System im allgemeinen und die Spezialdemokratie im Besonderen ist.

Mathias Anderer / 05.12.2019

Kann ja alles sein. Wäre er aber nicht linksradikal, sondern rational eingestellt, wäre er längst entsorgt worden.

Claudius Pappe / 05.12.2019

Ein Artikel über Klein-Kevin. Aber was Kühnert anstrebt wird ( wissentlich ?) verschwiegen. Was will der bildungsferne und arbeitsscheue Alt-Juso ? Herr Weimer sie wissen doch mehr, oder ?

Florian Bode / 05.12.2019

Der geflochtene Kranz ist ein bisschen groß geraten. Der rutscht dem Kühnert über die Ohren.

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