Neulich habe ich es mal wieder im Autoradio gehört, das alte, schlimme Stück. Sie spielen es nicht mehr sehr oft, zugegeben. Aber ab und zu hört man es noch. Ein Elend ist das.
Der fiese Rocksong gelangte im Herbst 1966 in die Jukeboxes meiner Heimatstadt. Ich war damals noch nicht volljährig und vermute, dass er mich in nicht geringem Maße sozialethisch desorientiert hat. Möglicherweise wären ohne ihn meine späteren Liebesbeziehungen anders verlaufen. Vielleicht wäre aus mir ein wertvollerer Mensch geworden, wenn ich nicht dauernd im Café Heyderich, dem Gymnasiastenjoint nahe der Stader Lehranstalt Athenaeum, abgehangen und die Platte „Under my thumb“ von den Rolling Stones gedrückt hätte.
Das Lied schmiss mich um, wegen der Aggressivität von Jaggers Organ und der Rüdheit des Textes. Mannsgehabe, das in der verzuckerten nachkriegsdeutschen Schlagerwelt nicht vorkam. Der Text, verfasst von Mick Jagger und Keith Richards, handelt von einem Typen, der damit prahlt, wie er seine Freundin schurigelt. Okay, einst war sie ein ziemliches Biest, doch hat er sie nunmehr unter meiner Fuchtel, wie der Songtitel verrät. Was ihr Macker anordnet, befolgt sie sklavisch. Zieht Klamotten an, die er mag, wagt nicht länger, nach fremden Männern zu schielen. Jetzt ist sie das „süßeste Haustier (pet) auf der Welt“, freut sich der Arsch.
Der Machosong sorgte seinerzeit für keine großen Debatten. Die Frauen hatten sich ja noch nicht massenhaft gegen ihre Peiniger erhoben; #metoo lag in ferner Zukunft. Die Alice schaffte als Volontärin bei einem männerdominierten Regionalblatt, wo sie nix zu melden hatte. Und die Laura, Heroine des Dirndlgate, war längst noch nicht geboren. Nicht mal der epochale Tomatenwurf der linken Studentin Sigrid Rüger auf den SDS-Obergenossen Hans-Jürgen Krahl war passiert.
Beileibe nicht das einzige Schandlied aus frühen Tagen
Unwissend waren wir, die Männlein genauso wie die Weiblein. Gefangen in der mittelalterlichen Vorstellung, dass unsere Geschlechterzugehörigkeit im Großen und Ganzen eine natürliche Mitgift sei und nicht ein Konstrukt des Patriarchats, wie Genderforscherinnen später enthüllten.
Finstere Zeiten. Schwamm drüber. Wieso aber muten uns Radiosender immer noch den alten sexistischen Müll zu? Der auch ansonsten frei vertrieben werden darf, etwa bei Amazon? Der Unterdrückersong der Stones ist auch beileibe nicht das einzige Schandlied aus frühen Tagen, das immer noch ins Ohr flutscht.
Im Verkehr sind weiterhin skandalöse Stücke wie „Run for your life“ von den Beatles („Well I’d rather see you dead, little girl, than to be with another man“), Gilbert O’Sullivans „A woman’s place“ („A woman’s place is in the home“), Carlos Santanas „Evil ways“ („When I come home, baby, my house is dark and my pots are cold“), Jan & Deans „Surf City“ („Two girls for every boy“), Ray Charles’ „I got a woman“ („She never grumbles or fusses, always treats me right“), Ella Fitzgeralds „You can have him“ („All I ever wanted to do, mend his underwear and darn his socks“), Dire Straits’ „Money for nothing“ („And the chicks for free“) oder Stings Stalker-Hymne „Every breath you take“ („Every move you make, I’ll be watching you“).
Ganz zu schweigen von „He hit me (and it felt like a kiss)“ von den Chrystals, das in der Sadomaso-Szene Kultstatus genießt und seit 1962 sechsmal gecovert wurde. Noch fein stiller zu schweigen von dem mördermäßig verkauften Klopfer „Delilah“ aus dem Revoluzzerjahr 1968, in dem Tom Jones eine letal endende Liebesaffäre besingt („I felt the knife in my hand and she laughed no more“). Und schließlich wollen wir den riesigen Bereich des Blues und Folk nicht aussparen. Wo es oft darum geht, dass irgendein angeblich armes Schwein von Frauen ausgenommen wird („Matilda she take me money an run Venezuela“).
People of Color und haben Anrecht auf Respekt
Unfassbar, oder? Da haben wir nun so viel erreicht: Den „Negerkönig“ bei Pippi Langstrumpf zum Südseekönig befördert, aus amerikanischen „Schwarzen“ Afro-Amerikaner gemacht, die „Dritte Welt“ in Entwicklungsländer umbenannt. Kein Mensch sagt mehr „Zigeuner“ (abgesehen von manchen „Zigeunern“) und das Diminutiv „Fräulein“ wurde im Behördendeutsch bereits 1972 abgeschafft. „Flüchtlinge“ sind jetzt Schutzsuchende (wer „Asylant“ sagt, kann sich auch gleich das NPD-Parteiabzeichen ans Revers stecken). Aus „Arbeitslosen“ sind Erwerbslose geworden, der „Mohr“ hat seine Schuldigkeit getan und auch die „Schöne Maid“ hat grad keine Zeit.
Nur in der Pop- und Rockmusik läuft noch Gewaltverherrlichendes, Frauenverachtendes, Benachteiligteverhöhnendes den Äther rauf und runter. Das muss aufhören. Vorschlag: Beschweren Sie, liebe Leserinnen und Leser, sich sofort bei Ihrem Haussender, wenn er sexistisches oder anderweitig kontaminiertes Liedgut ausstrahlt. Mailen Sie auch die Musikfirmen an. Drohen Sie mit Kaufboykott!
Bitte beachten Sie aber, dass unter die Kategorie sexistischer Unflat keinesfalls die Darbietungen unserer Rap- und Hip-Hop-Künstler fallen! Die meisten von denen sind People of Color und haben Anrecht auf Respekt. Obwohl, Lyrik wie etwa die von Bushido, Träger des „Bambi für Integration“ aus dem Medienhaus Burda, auf dessen von einer starken Frau getriebenen Erfolgsgeschichte just das Staatsfernsehen gütigst aufmerksam machte – nun ja, solche Schmachtfetzen mögen dem einen oder anderen etwas unbefangen vorkommen. Aber auch fucking authentic! Bushido im O-Ton:
Wie du in deinem Bett sitzt, halbnackt du Dreckstück
Ich wusste dass du so bist, und jeden Dreck fickst
Nur weil du eine Frau bist und man dir in den Bauch fickt
Heißt es nicht, dass ich dich nicht schlage bis du blau bist.
Von derlei Früchten des Kulturschaffens mal abgesehen: Könnten Sie, werte Achse-Leser, im Kommentarbereich ein paar der schön...äh, schlimmsten Songs anzeigen, welche Ihnen als explizit frauenfeindlich aufgefallen sind? Zwecks Mahnung und Warnung an unsere geschätzte Zivilgesellschaft.