Wolfgang Röhl / 11.12.2018 / 06:20 / 69 / Seite ausdrucken

Keinen Fußbreit dem Sexismus

Neulich habe ich es mal wieder im Autoradio gehört, das alte, schlimme Stück. Sie spielen es nicht mehr sehr oft, zugegeben. Aber ab und zu hört man es noch. Ein Elend ist das.

Der fiese Rocksong gelangte im Herbst 1966 in die Jukeboxes meiner Heimatstadt. Ich war damals noch nicht volljährig und vermute, dass er mich in nicht geringem Maße sozialethisch desorientiert hat. Möglicherweise wären ohne ihn meine späteren Liebesbeziehungen anders verlaufen. Vielleicht wäre aus mir ein wertvollerer Mensch geworden, wenn ich nicht dauernd im Café Heyderich, dem Gymnasiastenjoint nahe der Stader Lehranstalt Athenaeum, abgehangen und die Platte „Under my thumb“ von den Rolling Stones gedrückt hätte. 

Das Lied schmiss mich um, wegen der Aggressivität von Jaggers Organ und der Rüdheit des Textes. Mannsgehabe, das in der verzuckerten nachkriegsdeutschen Schlagerwelt nicht vorkam. Der Text, verfasst von Mick Jagger und Keith Richards, handelt von einem Typen, der damit prahlt, wie er seine Freundin schurigelt. Okay, einst war sie ein ziemliches Biest, doch hat er sie nunmehr unter meiner Fuchtel, wie der Songtitel verrät. Was ihr Macker anordnet, befolgt sie sklavisch. Zieht Klamotten an, die er mag, wagt nicht länger, nach fremden Männern zu schielen. Jetzt ist sie das „süßeste Haustier (pet) auf der Welt“, freut sich der Arsch.

Der Machosong sorgte seinerzeit für keine großen Debatten. Die Frauen hatten sich ja noch nicht massenhaft gegen ihre Peiniger erhoben; #metoo lag in ferner Zukunft. Die Alice schaffte als Volontärin bei einem männerdominierten Regionalblatt, wo sie nix zu melden hatte. Und die Laura, Heroine des Dirndlgate, war längst noch nicht geboren. Nicht mal der epochale Tomatenwurf der linken Studentin Sigrid Rüger auf den SDS-Obergenossen Hans-Jürgen Krahl war passiert. 

Beileibe nicht das einzige Schandlied aus frühen Tagen

Unwissend waren wir, die Männlein genauso wie die Weiblein. Gefangen in der mittelalterlichen Vorstellung, dass unsere Geschlechterzugehörigkeit im Großen und Ganzen eine natürliche Mitgift sei und nicht ein Konstrukt des Patriarchats, wie Genderforscherinnen später enthüllten.

Finstere Zeiten. Schwamm drüber. Wieso aber muten uns Radiosender immer noch den alten sexistischen Müll zu? Der auch ansonsten frei vertrieben werden darf, etwa bei Amazon? Der Unterdrückersong der Stones ist auch beileibe nicht das einzige Schandlied aus frühen Tagen, das immer noch ins Ohr flutscht. 

Im Verkehr sind weiterhin skandalöse Stücke wie „Run for your life“ von den Beatles („Well I’d rather see you dead, little girl, than to be with another man“), Gilbert O’Sullivans „A woman’s place“ („A woman’s place is in the home“), Carlos Santanas „Evil ways“ („When I come home, baby, my house is dark and my pots are cold“), Jan & Deans „Surf City“ („Two girls for every boy“), Ray Charles’ „I got a woman“ („She never grumbles or fusses, always treats me right“), Ella Fitzgeralds „You can have him“ („All I ever wanted to do, mend his underwear and darn his socks“), Dire Straits’ „Money for nothing“ („And the chicks for free“) oder Stings Stalker-Hymne „Every breath you take“ („Every move you make, I’ll be watching you“). 

Ganz zu schweigen von „He hit me (and it felt like a kiss)“ von den Chrystals, das in der Sadomaso-Szene Kultstatus genießt und seit 1962 sechsmal gecovert wurde. Noch fein stiller zu schweigen von dem mördermäßig verkauften Klopfer „Delilah“ aus dem Revoluzzerjahr 1968, in dem Tom Jones eine letal endende Liebesaffäre besingt („I felt the knife in my hand and she laughed no more“). Und schließlich wollen wir den riesigen Bereich des Blues und Folk nicht aussparen. Wo es oft darum geht, dass irgendein angeblich armes Schwein von Frauen ausgenommen wird („Matilda she take me money an run Venezuela“).

People of Color und haben Anrecht auf Respekt

Unfassbar, oder? Da haben wir nun so viel erreicht: Den „Negerkönig“ bei Pippi Langstrumpf zum Südseekönig befördert, aus amerikanischen „Schwarzen“ Afro-Amerikaner gemacht, die „Dritte Welt“ in Entwicklungsländer umbenannt. Kein Mensch sagt mehr „Zigeuner“ (abgesehen von manchen „Zigeunern“) und das Diminutiv „Fräulein“ wurde im Behördendeutsch bereits 1972 abgeschafft. „Flüchtlinge“ sind jetzt Schutzsuchende (wer „Asylant“ sagt, kann sich auch gleich das NPD-Parteiabzeichen ans Revers stecken). Aus „Arbeitslosen“ sind Erwerbslose geworden, der „Mohr“ hat seine Schuldigkeit getan und auch die „Schöne Maid“ hat grad keine Zeit.

Nur in der Pop- und Rockmusik läuft noch Gewaltverherrlichendes, Frauenverachtendes, Benachteiligteverhöhnendes den Äther rauf und runter. Das muss aufhören. Vorschlag: Beschweren Sie, liebe Leserinnen und Leser, sich sofort bei Ihrem Haussender, wenn er sexistisches oder anderweitig kontaminiertes Liedgut ausstrahlt. Mailen Sie auch die Musikfirmen an. Drohen Sie mit Kaufboykott!

Bitte beachten Sie aber, dass unter die Kategorie sexistischer Unflat keinesfalls die Darbietungen unserer Rap- und Hip-Hop-Künstler fallen! Die meisten von denen sind People of Color und haben Anrecht auf Respekt. Obwohl, Lyrik wie etwa die von Bushido, Träger des „Bambi für Integration“ aus dem Medienhaus Burda, auf dessen von einer starken Frau getriebenen Erfolgsgeschichte just das Staatsfernsehen gütigst aufmerksam machte – nun ja, solche Schmachtfetzen mögen dem einen oder anderen etwas unbefangen vorkommen. Aber auch fucking authentic! Bushido im O-Ton:

Wie du in deinem Bett sitzt, halbnackt du Dreckstück
Ich wusste dass du so bist, und jeden Dreck fickst
Nur weil du eine Frau bist und man dir in den Bauch fickt
Heißt es nicht, dass ich dich nicht schlage bis du blau bist.

Von derlei Früchten des Kulturschaffens mal abgesehen: Könnten Sie, werte Achse-Leser, im Kommentarbereich ein paar der schön...äh, schlimmsten Songs anzeigen, welche Ihnen als explizit frauenfeindlich aufgefallen sind? Zwecks Mahnung und Warnung an unsere geschätzte Zivilgesellschaft.     

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Thomas Heye / 11.12.2018

Nein, diesem Aufruf schließe ich mich schon deswegen nicht an, weil gerade Frauen es waren, die Männer z.B. zu Trotteln machen, sie mit Hunden auf eine Stufe stellen usw. Und warum bitte schön, sollte man etwas dagegen tun, was Leute über Frauen denken? Frauen sind doch mittlerweile “das bevorzugte Geschlecht”. Also: Lebt damit!

Robert Orosz / 11.12.2018

Nehmt den hier: “Claudia hat nen Schäferhund - Und den hat sie nicht ohne Grund…” Im übrigen hoffe ich, daß Beiträge wie obiger hier auf der Achse nur in hömoopathischen Dosen verabreicht werden.

Gabriele Schulze / 11.12.2018

Ich bin ja eigentlich nicht so gruppenaffin, aber bei der Lektüre dieser köstlichen Kommentare fühle ich mich doch angenehm verbunden (und unterhalten)! Wie öfters “auf Achse”...

F. Jung / 11.12.2018

Peter Maffay war angeblich 16, als er von einer 31-jährigen quasi vergewaltigt wurde ...... haarscharf am Strafrecht vorbei. Oh mein Gott, welche unsittlichen Zeiten .......

Gabriele Schulze / 11.12.2018

Also, wir fuhren einfach auf den groove ab, bei den Steinen zum Beispiel. Man konnte sich prima selbst darstellen beim Hotten und Anmachsignale geben. Attitude! Auf den Text hat man weniger geachtet. Das war dann eher bei den “Protest”-Liedern so - Dylan, Donovan, Baez, Seeger. “It’s only rock ‘n roll, but I like it”. Sollte irgend jemand hier irgendwas verbieten wollen, hätte er aber gut zu tun. Ich bin dann an vorderster Front.

Georg Dobler / 11.12.2018

Herr Röhl, konnte aus Zeitgründen den Artikel nur überfliegen, habe nicht verstanden ob es Satire ist oder ob Sie ernsthaft zur Meldung von Titeln aufrufen. Das ist jetzt nicht Ihr Ernst, oder?  Seit Bauhaus-ZDF-Fischfilet wissen wir doch dass Kunstfreiheit alles erlaubt. In Ihrem Text steht “Was ihr Macker anordnet, befolgt sie sklavisch”. Die Kultur in der das grundsätzlich so ist importieren wir doch gerade unter dem Jubel aller grünen und roten Feministinnen. Tickt eigentlich noch irgendwer normal?

M. Haumann / 11.12.2018

“You could be mine” von Guns n´Roses… von ihrem legendären Debütalbum “Appetite for Destruction” aus 1987, das damals viele Plattenläden wegen der Abbildung von Gewalt gegen eine Frau auf dem Cover nicht verkaufen wollten. Es wurde deshalb zügig durch ein anderes Cover ersetzt und für die Version mit dem Original zahlt man heute Höchstpreise. Ich hab noch eins und muss gestehen, dass mich das als Heranwachsende damals überhaupt nicht schockiert hat. War halt Kunst und man durfte noch ganz frei denken und fühlen, was man so wollte. Goldene Zeiten…

Jan-Hendrik Schmidt / 11.12.2018

@ Dr. Norbert Czech Frank Zappa war ein offener Anti-Feminist und Sexist. Für die “Women’s Liberation”-Bewegung hatte er nur Hohn und Spott übrig. Den idealen Platz für Frauen sah er überwiegend im Schlafzimmer. So ähnlich kam das mal in einem Interview rüber, was ich im Musikexpress/Sounds gelesen hatte. Es gibt neben “Bobby Brown” noch einige weitere Skandal-Texte. Krass finde ich die Darstellung des Rock-Groupies “Mary” über mehrere Songs auf dem Konzept-Album “Joe’s Garage” (1979). In dem Song “Crew Slut” beschreibt Zappa zynisch und ironisch, wie Mary sich selbst erniedrigt und es sogar mit der ganzen Road Crew treibt, nur um zum begehrten Musiker in der Band zu gelangen und dass sie das sowieso irgendwann lieben wird. Ich glaube nicht, dass jemand wie Zappa in jung heute noch geduldet werden würde, zumindest nicht als weißer bzw. europäischstämmiger Mann. Solchen derben Sexismus lässt man nur bei dunkelhäutigen Rappern durchgehen, vermutlich weil man Rassismus-Vorwürfe scheut.

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