Wolfgang Mayr, Gastautor / 23.11.2017 / 13:00 / Foto: Ben.83 / 3 / Seite ausdrucken

Keine katalanische Rebellion

Von Wolfgang Mayr. 

Wissenschaftliche Schützenhilfe für die katalanischen Träumer: Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München hat eine Forschungsarbeit zur politischen Ökonomie von Sezessionen veröffentlicht. Die Autoren plädieren ausdrücklich für ein in der Verfassung verankertes Sezessionrecht, da seine bloße Existenz die Übervorteilung von Regionen verhindern könne.

„Legalisten mögen sich, wie im Falle Spaniens geschehen, hinter der Verfassung verstecken, die keine Abspaltung einzelner Landesteile vorsieht. So notwendig Rechtspositivismus für den demokratischen Rechtsstaat sein mag, geht er hier an der Wirklichkeit vorbei. Hätten die Legalisten ihrer Zeit immer Recht behalten, wäre die Schweiz heute noch deutsch, die Niederlande spanisch (beide Abspaltungen 1648), Polen nicht existent, und die USA befänden sich noch im Kolonialbesitz des British Empire. Die Geschichte selbst führt den Rechtspositivismus somit ad absurdum und beweist die Existenz einer normativen Kraft des Faktischen“,  schreiben die Verfasser der Studie.

Der Rechtswissenschaftler Matthew Parish findet, dass die katalanische Krise eine spanische und eine EU-Krise ist. Und, ein Signal für die Rückkehr des Autoritären. Dem stimmen auch spanische Strafrechtler zu.

Spanische Strafrechtler gegen spanische Justiz

Mehr als hundert StrafrechtprofessorInnen spanischer Universitäten kritisieren in einem Manifest die Generalstaatsanwaltschaft und Richterin Carmen Lamela vom nationalen Gerichtshof (Audiencia Nacional). Das von der katalanischen Regierung und den Mitgliedern des Parlamentspräsidiums initiierte Unabhängigkeitsreferendum und die damit verbundene Unabhängigkeitserklärung erfüllen laut den Strafrechtlern weder den Straftatbestand des Aufruhrs noch den der Rebellion. Sie weisen darauf hin, dass Gewalt als »strukturelles Element« Voraussetzung für eine Anklage wegen Rebellion sei — beim Referendum und bei der Erklärung der Unabhängigkeit gab es keine Gewalttätigkeiten (nur am Tag des Referendums sorgten die Militärpolizisten der Guardia Civil für Prügelorgien). Und selbst der mit deutlich geringerem Strafmaß belegte Aufruhr sei nicht gegeben, da die Angeklagten nicht an Tumulten teilgenommen oder verursacht haben.

Auch wenn es die Straftat der Rebellion und des Aufruhrs geben würde, schreiben die Strafrechtler, wäre der nationale Gerichtshof dafür nicht zuständig. Die Angelegenheit gehöre vor ein ordentliches Gericht in Barcelona. Die Audiencia Nacional habe in Vergangenheit schon öfter darauf hingewiesen, dass sie für derartige Delikte nicht zuständig ist. Im Manifest wird auch noch die „unverhältnismäßige“ Verhängung von Untersuchungshaft kritisiert.

Intellektuelle und andere Zweifler

Mehr als 180 europäische Intellektuelle und Akademiker kritisieren in einem Offenen Brief an die EU-Führungsspitze das Verhalten der EU in der Katalonien-Frage, sie verweigerte zugunsten der stockkonservativen spanischen Regierung eine Vermittlung im Streit. Ein Versagen, dokumentiert auf der Internet-Plattform opendemocracy. Intellektuelle und Politiker werfen Juncker und Timmermans vor, staatlichen Rechtsbruch zu tolerieren. Die Kritik zielt auf die Vorgangsweise des spanischen Staates gegen das katalanische Unabhängigkeitsreferendum ab.

Die Kritik von open democracy ist klar und deutlich: Der Einsatz der Militärpolizei Guardia Civil gegen wählende Bürger am 1. Oktober, die gewaltsame Auflösung von friedlichen Versammlungen und Kundgebungen sowie das Abschalten von pro-separatistischen Internet-Seiten stellt ebenfalls eine Verletzung von spanischem Recht dar, nämlich des Rechts auf Demokratie. Die Herstellung einer verfassungsmäßigen Ordnung darf nicht über die Verletzung anderer demokratische Rechte erfolgen.

Die Verhaftung katalanischer Aktivisten und Politiker sorgt auch in der katalanischen Organisation von amnesty international für Unruhe. Mitglieder kündigen die Mitgliedschaft auf. Viele wenden sich von der Organisation ab, weil sie sich zu verhalten zu den Verhaftungen geäußert habe. Aber nicht nur amnesty spürt das Beben in Katalonien.

Sozialisten in Krise

Die Verhängung der Untersuchungshaft durch den nationalen Gerichtshofs gegen die Mitglieder der katalanischen Regierung hat in Katalonien Folgen. Der Bürgermeister der Provinzhauptstadt Terrassa, Jordi Ballart, trat aus der sozialistischen Partei (PSC) aus und von seinem Amt zurück.

Miquel Lupiáñez, der sozialistische Bürgermeister der Stadt Blanes (40.000 Einwohner in der Provinz Girona) äußerte sich enttäuscht über den politischen Kurs seiner Partei. Er bemängelte, dass die PSC sich nicht eindeutig gegen die Polizeigewalt vom 1. Oktober gewandt hatte, er sei aber auch damit nicht einverstanden, dass die katalanische PSC und ihre spanische Mutterpartei PSOE die Anwendung von Verfassungsartikel 155 mittragen. Über seinen Rücktritt, so Lupiáñez, sei er nach 20 Jahren Mitgliedschaft „sehr traurig“.

Barcelona ohne Sozialisten

In Barcelona haben die Mitglieder des linken Bündnisses "Barcelona en Comu" der Podemus-Bürgermeisterin Ada Colau für den Rauswurf der Sozialisten aus dem Bündnis gestimmt. Die Bürgermeisterin entließ die sozialistischen Stadträte. Anlass dafür ist die Unterstützung der sozialistischen Partei PSOE für den harten antikatalanischen Kurs der konservativen spanischen Regierung.

"Barcelona en Comu" lehnt zwar den Unabhängigkeitskurs der abgesetzten katalanischen Regionalregierung ab, aber auch die kommissarische Verwaltung der katalanischen Region durch Madrid als Fernsteuerung. Die Verhaftung von katalanischen Politiker und Unabhängigkeitsaktivisten wird als politisch motiviert verurteilt.

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Wolfgang Kaufmann / 23.11.2017

Bei der Unabhängigkeit der Balten und der jugoslawischen Teilstaaten waren Deutschland und Brüssel ganz vorn dabei. Die rigorose Ablehnung von Sezessionen im EU-Gebilde weist auf den Zwangscharakter dieses Konstrukts hin, wie er sich bekanntlich auch bei der Vendetta gegen London zeigt. Asselborn, Timmermanns und Juncker sind im Herzen ebenso absolutistische Sonnenkönige wie die ältere Dame aus der Uckermark, an deren Namen ich mich nicht erinnern will. Ein typisches Rückzugsgefecht; in weltgeschichtlicher Sicht hat die Regierung Puigdemont längst gewonnen.

otto sundt / 23.11.2017

“Hätten die Legalisten ihrer Zeit immer Recht behalten, wäre die Schweiz heute noch deutsch…” Ein wirklich absurder Vergleich. Achgut zählt fast täglich Fälle auf wie in Deutschland der Rechtsstaat erodiert und geltendes Recht nicht angewendet wird und wie sogar europäisches Recht missachtet wird und dann erklärt der Autor praktisch den Rechtsstaat für obsolet. Für ihn gibt es keinen Unterschied zwischen positiven Recht im 17. Jhd. und den Verfassungsrecht im 20. und 21. Jhd.. Es gibt für ihn wohl auch keinen Unterschied zwischen dem “Heiligen römischen Reich” Frankreich und England vor fast 400 Jahren und den heutigen Staaten. Außerdem ist es doch sehr befremdlich, wenn man sich hier über die von den ÖR und anderen Medien produzierten fake news ereifert aber sich im Falle Kataloniens nur aus den von den Separatisten kontrollierten und zu Propagandazwecken benutzten, aber vom spanischen Staat bezahlten Medien manipulieren lässt.

otto sundt / 23.11.2017

Sicher, die Unabhängigkeitserklärung Puigdemonts war nur ein symbolischer Akt. Um das dem Rajoy zu erklären musste er erst nach Flandern in die Obhut des Flamse Blok fliehen. Wieder wird die Lüge von der Guardia Civil als brutale “Militärpolizei” aufgetischt, die einem “stockkonservativen” Regime unterstellt ist. Die weitere Lüge von dem brutalen Einsatz mit 800 Verletzten am 1. Oktober wird auch wiederholt. Kein Wort zu den 4 simulierten Krankenhausbehandlungen, keine Erwähnung der Angriffe auf die Nationalpolizei und GC durch die fanatisierte CUP Jugend. Kein link und kein Beleg zu den Stellungnahmen spanischen Strafrechtsprofessoren und sonstigen Intellektuellen. Warum sind nur die PSC - Bürgermeister aus der Partei ausgetreten und warum hat Frau Colau, die übrigens nicht Podemos angehört, die Sozialisten aus ihrem Bündnis ausgeschlossen? Warum hat der Podemos Anführer seinerseits Radikalseparatisten aus der Bewegung ausgeschlossen. Die wirtschaftlichen Vorteile liegen natürlich klar auf der Hand.: Über 2000 Unternehmen haben wegen der Rechtsunsicherheit und der Überregulierung in Katalonien ihren Sitz in andere CCAA Spanien verlagert. Welch ein Pech das Abraham Lincoln nicht die Forschungsarbeit des Leibniz Institutes an der Münchener Uni kannte. Sinnvoll wäre es wahrscheinlich mal den Widerspruch aufzuklären weshalb katalanische Separatisten den den spanischen Staat der CCAA verlassen wollen und Mitglied der EU, deren Ambitionen deutlich in Richtung eines Zentralstaates gehen, sein wollen.

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