Persönliche Erinnerungen und Gedanken zum Tod von Papst Franziskus, dessen sterbliche Hülle heute zu Grabe getragen wird. Dann beginnt die Zeit der Vatikan-Astrologen.
Als mich die Nachricht vom Tod des Papstes erreichte, war meine erste Reaktion: Ach, jetzt doch so schnell? Gerade hatte der Pontifex noch US-Vizepräsident J. D. Vance empfangen, der erst 2019 zum katholischen Glauben übergetreten war, sich in einer Gemeinde in Cincinnati taufen ließ und dort die erste Heilige Kommunion empfing. Am Ostersonntag erteilte er auf dem Petersplatz, wenn auch sichtlich geschwächt, den Segen „Urbi et Orbi“; bei der Ostermesse ließ er sich von einem italienischen Kardinal vertreten. Die Übertragung des Ostersegens „an die Stadt (Rom) und den Weltkreis“ hatte ich mir unter seinen Vorgängern selten entgehen lassen. Oft war mir dabei ein heiliger Schauer über den Rücken gelaufen. Bei Franziskus schauerte nichts.
Als Jorge Mario Bergoglio vor zwölf Jahren zum Nachfolger des überraschend zurückgetretenen Papstes Benedikt XVI. gewählt worden war und erstmals auf dem Balkon des Apostolischen Palastes zu den Gläubigen sprach, war ich entsetzt. Als wäre er gerade vom Einkaufen nach Hause gekommen, begrüßte er die Menge mit den Worten: „Brüder und Schwestern, guten Abend.“ Prosaischer ging es nicht, doch das war Programm beim Papst aus Argentinien, der sich immer so nahbar gab. Im persönlichen Umgang schien er weniger nahbar gewesen zu sein. Er galt als autoritär, zuweilen brutal, vor allem gegenüber den eigenen Leuten, während er Gruppen „am Rande der Gesellschaft“ öffentlichkeitswirksam hofierte. Wie ein Vater, der seine eigenen Kinder hasst“, sagte mir ein konservativer Priester, für den der Tod des Papstes beinahe ein Freudentag war.
Dagegen war der erste Auftritt von Joseph Ratzinger ein Moment, der mir immer im Gedächtnis haften wird. Als er in seinem roten Ornat dort oben stand auf der Loggia des Petersdomes, hoch über der jubelnden Menge, wirkte der zierliche Mann aus Bayern mit dem schlohweißen Haar fast verlassen: „Nach dem großen Papst Johannes Paul II. haben die Herren Kardinäle mich, einen bescheidenen Arbeiter im Weinberg des Herrn, gewählt.“ Doch er vertraue dem Herrn, der wisse, „wie man auch mit unzureichenden Mitteln“ handeln könne. Das war gewiss untertrieben, aber es kam aus tiefstem Herzen, man nahm es ihm ab. Franziskus zelebrierte Demut, schon mit der Namenswahl, Benedikt lebte sie.
Der Papst derer, die dem Glauben fernstehen
Franziskus habe ich jetzt schon vergessen, wenn ich ihn als katholisches Kirchenoberhaupt überhaupt jemals wahrgenommen habe. Der Jesuit „vom anderen Ende der Welt“ punktete vor allem bei jenen, die dem Glauben fernstehen, weil er sich gab wie Du und Ich. „Der Karneval ist vorbei“, verkündete er gleich zu Anfang seines Pontifikates, eine Klatsche für seinen Vorgänger, dem man fälschlicherweise einen Hang zu Prunk und Pomp nachsagte.
Benedikt stellte sich auch äußerlich in die ehrwürdige Tradition seines Amtes, während Franziskus dieses Amt dem Habitus eines Bettelordens anglich und damit radikal umdefinierte. Statt in roten Pantoffeln als Zeichen der Passion Christi lief Franziskus in schwarzen Straßentretern herum, vertauschte die päpstlichen Gemächer im Apostolischen Palast mit einer Suite im vatikanischen Gästehaus. Bei einem Besuch auf den Philippinen, wo ihn ein Taifun überraschte, trug er ein scheußliches Plastikregencape. So etwas kommt an bei Menschen, die auf Äußerlichkeiten fixiert sind. Je weniger priesterlich ein Priester, je weniger päpstlich ein Papst auftritt, umso besser.
Joseph Ratzinger wurde oft missverstanden, man wollte ihn missverstehen wie in seiner Regensburger Vorlesung, wo er den Islam verunglimpft haben soll – eine glatte Lüge. Allerdings hofierte er auch nicht die Hamas, was als Reminiszenz an den den christlichen Antijudaismus gedeutet werden konnte. Doch es passte eben so schön ins Bild des „Panzerkardinals“. Franziskus dagegen wurde, genauso absichtsvoll, wohlverstanden, obwohl er keinesfalls der Neuerer war, als den man ihn sehen wollte. Er wandte sich strikt gegen Abtreibung und Leihmutterschaft, nahm Missbrauchstäter in Schutz, lehnte den synodalen Weg der deutschen Bischöfe ab. Frauen im Klerus waren für ihn kein Thema, obwohl er eine Ordensschwester zur Gouverneurin des Vatikanstaates ernannte.
Ein Fußtritt von Franziskus
Auch sein Verhältnis zu Homosexuellen war zwiespältig. Während er italienische Bischöfe anwies, keine „Schwuchteln“ zu Priestern zu weihen, erließ er ein Dekret, dass es ermöglichte, homosexuelle Partnerschaften zu segnen – außerhalb des Gottesdienstes wohlgemerkt. Trotzdem wurde er dafür gefeiert. Dagegen gab es keine Proteste gegen das unbarmherzige Corona-Regime der Amtskirche, ein Skandal, der bis heute nur ansatzweise aufgearbeitet ist. Und dass er sich seine vor zehn Jahren veröffentlichte Umweltenzyklika „Laudato si“ großenteils von dem Klima-Ideologen Hans Joachim Schellnhuber diktieren ließ, wirft kein allzu gutes Licht auf sein analytisches Niveau und seine Kritikfähigkeit. Gott kam darin nur noch am Rande vor, linkspopulistisch-antikapitalistische Konzepte dafür umso mehr.
Ganz besonders verüble ich diesem Papst, dass er ein Kernanliegen Benedikt XVI., die Annäherung an die Anhänger der alten, vorkonziliären Liturgie genauso gefühllos rückabwickelte, wie er die einstigen Vertrauten des emeritierten Papstes, Kardinal Gerhard Ludwig Müller und Erzbischof Georg Gänswein kalt stellte. Benedikt hatte erkannt, dass die wenigen jungen Männer, die sich zumindest in großen Teilen des säkularen Westens heute noch für ein Priesteramt entscheiden, konservativ denken. Viele zieht es gleich zur Pius- oder Petrusbruderschaft, deren Ausbildungsstätten aus allen Nähten platzen, anstatt in die verwaisten Priesterseminare der Amtskirche.
Mir wird es immer ganz kalt ums Herz, wenn ich in der Georgenstraße in München-Schwabing am Seminar der Erzdiözese München-Freising vorbeikomme, wo abends immer nur wenige oder gar keine Fenster erleuchtet sind. Vergangenes Jahr wurde in der bedeutenden süddeutschen Kirchenprovinz ein einziger Priester geweiht.
Während Benedikt die besondere Spiritualität und Glaubensfestigkeit der katholischen Traditionalisten für die Gesamtkirche nutzbar machen wollte, gab ihnen Franziskus einen Fußtritt. Überhaupt sagte man ihm nach, dass er mit liturgischen Fragen nichts am Hut hatte. In dieser Hinsicht ähnelte Bergoglio jenen im Geist der siebziger und achtziger Jahre stehen gebliebenen Konzilspriestern, denen man anzusehen meint, dass ihnen das Feiern der Eucharistie fast peinlich ist. Gewiss, der Ritus ist nicht alles, doch ohne ihn ist alles nichts, ist die Kirche nur eine x-beliebige NGO. In Deutschland zumal eine NGO von Gnaden des Staates, weniger der Gnade Gottes.
Kardinäle von den geographischen Rändern
Franziskus war Jesuit, der erste Vertreter der im Zuge der Gegenreformation gegründeten Societas Jesu im höchsten Amt, das die katholische Kirche zu vergeben hat. Jesuiten sagte man stets nach, dass sie zwar sehr effiziente Missionare seien und damit wirkungsvoll zur Verbreitung des Glaubens beitrügen. Doch wurde ihnen zugleich vorgehalten, sie identifizierten sich dabei oft so sehr mit den zu bekehrenden Nicht-Gläubigen, dass sie selbst Häretiker und kaum noch als überzeugte Christen erkennbar seien. Immer wieder kam der Jesuitenorden nicht zuletzt aus diesen Gründen mit dem Vatikan in Konflikt. Doch nun saß einer der ihren selbst auf dem Papstthron.
Als Verdienst mag man es Franziskus anrechnen, dass er, nicht zuletzt aus dem internationalen Geist des Jesuitentums heraus, die Kirche noch mehr zur Weltkirche machte. Er ließ viele traditionelle Kardinalssitze außen vor und berief dafür Purpurträger von den geographischen Rändern, die bislang im Kardinalskollegium nicht vorkamen oder unterrepräsentiert waren. Dieser Umstand macht es nun so schwer, vorherzusagen, in welche Richtung das Pendel nach seinem Tod ausschlagen wird. Am heutigen Samstag wird die sterbliche Hülle von Papst Franziskus zu Grabe getragen. Dann beginnt die große Zeit der Vatikanastrologen.
Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag wurde am 26. April 2025 aktualisiert.
Georg Etscheit ist Autor und Journalist in München. Fast zehn Jahre arbeitete er für die Agentur dpa, schreibt seit 2000 aber lieber „frei“ über Umweltthemen sowie über Wirtschaft, Feinschmeckerei, Oper und klassische Musik. Er schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss, und auf Achgut.com eine kulinarische Kolumne.