Keine Fragen an den Präsidenten?

Der Beistand für den Angegriffenen ist wichtig, aber ein schneller EU- und NATO-Beitritt? Wann schätzt Deutschland Präsident Selenskyj und seine Regierung realistisch ein?

Da das ukrainische Parlament alle drei Monate den Kriegszustand erneut feststellt, ist der ukrainische Präsident Selenskyj, der vor mehr als fünf Jahren erstmals in sein Amt kam, von der demokratischen Pflicht der Wiederwahl dispensiert. Er kann weiter durch das westliche Ausland touren und mit eindringlichen Worten für Waffenlieferungen und Aufbauhilfe zugunsten seines geschundenen Landes werben. Die westliche Öffentlichkeit lauscht ihm andächtig und vergibt ihm sogar seine verbalen Ausfälle gegen seine wichtigsten finanziellen Unterstützer wie Deutschland. Nun kam ihm sogar das Privileg zu, im Bundestag zu sprechen und eine Wiederaufbaukonferenz in Berlin mit Bundeskanzler Scholz zu eröffnen.

Der vor mehr als fünf Jahren erstmals gewählte Selenskyj trat mit dem Versprechen an, die Herrschaft der Oligarchen zu beenden und die Korruption im Land zu beseitigen. Diese Ziele sind angesichts des russischen Angriffskriegs anscheinend in den Hintergrund getreten. Der Nimbus des leidgeprüften, angegriffenen Landes kommt Selenskyj zugute. Er scheint alle kritischen Reflexe westlicher Staaten ausgeschaltet zu haben. Gewiss, Selenskyj hat im Februar 2022 persönlichen Mut unter Beweis gestellt, als er im Land verblieb und die Ukrainer, insbesondere die Streitkräfte, zum Widerstand gegen die russischen Aggressoren aufrief.

Seitdem steht man in dem Verdacht, ein Russlandversteher oder gar Putin-Freund zu sein, wenn man sich kritisch zu den Regierungsverhältnissen in der Ukraine äußert. Wer angreift, muss der Böse sein und wer angegriffen wird, gehört zwangsläufig auf die gute Seite der Geschichte, so lautet das unpolitisch-moralisierende Räsonieren bundesdeutscher Medien. So wird in Dauerschleife kolportiert, dass Parteien wie AfD und BSW, denen der Verfasser dieser Zeilen fernsteht, russlandhörig seien, um ihre gegenüber Selenskyj skeptische Haltung a priori in Misskredit zu bringen.

Die Partei früherer militärischer Zurückhaltung, FDP, lässt seit zwei Jahren eine bellizistische Verteidigungspolitikerin agieren. Die Grünen sind zu Sponsoren von Kampfpanzereinsätzen mutiert. Und der Oberst a.D. Kiesewetter (MdB) will mit immer mehr Waffen für die Ukraine Frieden schaffen.

Korrupte Strukturen in Ukraine tief verwurzelt

Die Notwendigkeit, Putins Russland bei seinen völkerrechtswidrigen Versuchen, Grenzen zu revidieren und gegebenenfalls weitere imperiale Gelüste auszuleben, zu stoppen, steht außer Zweifel. Würde Russland diesen Krieg gewinnen, wäre die Glaubwürdigkeit des Westens dahin. Getreu der Domino-Theorie würden weitere Staaten unter das neosowjetische Joch Russlands fallen, um „Sicherheitsbedürfnisse“ des flächengrößten Staates zu befriedigen.

Die Problematik besteht indessen darin, nüchtern und vorausschauend die Frage aufzuwerfen, ob die Ukraine ein strategisch geeignetes EU-Mitgliedsland und gar ein Mitglied der NATO werden sollte. Trotz der angeblichen Fortschrittserfolge, die die EU-Kommissionspräsidentin ihrem Freund Selenskyj regelmäßig attestiert, dürften die tief verwurzelten, der EU bekannten korrupten Strukturen nicht in den nächsten Jahren beseitigt werden können.

Und was soll man von einem Land als NATO-Mitglied denken, das es nicht schafft, die vielen 100.000 im Ausland lebenden Männer zu mobilisieren, um das Vaterland zu verteidigen? Wenn die ukrainischen wehrfähigen Männer schon nicht bereit sind, ihr eigenes Land zu verteidigen, was folgt daraus für ihre Einsatzbereitschaft bei Angriffen Russlands auf das Gebiet des NATO-Bündnisses? Dass die Bundesregierung diesen Ukrainern den Aufenthalt in Deutschland mit Bürgergeld versüßt, fördert die Fahnenflucht. Wer soll das verstehen?

Obschon diese Fragen nicht von der Hand zu weisen sind, fährt die Bundesregierung weiter den Kurs, allen gefallen zu wollen. Die militärpolitischen Entscheidungen trifft Monsieur Macron, die Waffenlieferungen und Unterstützungen kommen wesentlich aus Deutschland, und bei der Geberkonferenz in Berlin tut Herr Scholz so, als ob es nur eine Frage der Zeit sei, wann das deutsche Scheckbuch gezückt wird. Die Frage ist indessen, ob in der gegenwärtigen Situation und in Unkenntnis der Regierungsstrukturen in der Ukraine Vorentscheidungen über Mitgliedschaften in der NATO und EU getroffen werden können. Deutschland hat in dieser Frage keinerlei Kompass und zeigt einmal mehr, dass es ein Land ohne Strategie ist.

 

Dr. jur. Markus C. Kerber ist Professor für Finanzwissenschaft und Wirtschaftspolitik an der Technischen Universität Berlin. Er gründete das Institut für Verteidigungstechnologie, Militärökonomik und Geopolitik (www.ivsg.de) und den Thinktank Europolis.

Der Verfasser ist Autor der Schrift „Führung und Verantwortung: Das Strategiedefizit Deutschlands und seine Überwindung“, die hier im Achgut-Shop erworben werden kann.

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Foto: President.gov.ua, CC BY 4.0, Link

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Leserpost

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Heinrich Bleichrodt / 14.06.2024

Fundierte Darstellung. Fast genauso ist es. G 7 - überwiegend kranke, fast kranke, strafrechtlich belastete und irgendwie wirre, falsche Schlangen nicht zu vergessen, Figuren jonglieren: Viele Milliarden haben nichts gebracht, also müssen es noch mehr Milliarden bringen. Nehmen wir an Putin ist waidwund, dreht durch und radiert eine beliebige Hauptstadt aus. Können die G 7er sich dann freuen? Und ist es klug, einen korrupten Staat wie die Ukraine dann am Bein zu haben? Wollen Sie die umerziehen? Und hunderttausende erbärmliche Feiglinge? Mit adäquatem weiblichem Anhang. Und Erdogan wird das Ergebnis nicht gefallen. Nach dem Sieg wird die Welt gefährlicher.

B. Endres / 14.06.2024

Ein Vernichtungskrieg, in dem Deutschland “Russland noch einmal so niederringen“ will, “wie wir das im Kalten Krieg mit der Sowjetunion gemacht haben“ (S. Gabriel) als “Beistand für den Angegriffenen“? Genau so fluffig klang das auch, als man 1941 das erste mal die Sowjetunion, genauer gesagt “Muskovy”, niederringen wollte, zum Glück mit weniger Erfolg. Die Idee, “mit Hilfe amerikanischen Geldes Russland als Erwerbsgebiet organisieren und den Gewinn 50:50 teilen“ zu wollen, hatte ein windiger Geschäftemacher beim Auswärtigen Amt, Hans-Wolfgang von Herwarth, allerdings schon im September 1918. Der Grössenwahn ist vor dem Fall immer am Allergrössten.

Else Schrammen / 14.06.2024

Natürioch hätten Fragen an den “Präsidenten” der Ukraone gestellt werden müssem. Zum Beispiel:Wohin, lieber Woöodymyr sind all die Milliarden geflossen, die dir in den Schoß geschüttet wurden? Oder: Wann du, lieber Präsident, jetzt, da deine Präsideentschaft eigentlichh schon geendet hat, darf das ukrainische Volk wählen? So viele Fragen sind offen geblieben. Aber wer sollte das nach seiner mitreißenden Rede tun? Wer von den Klatschhasen? Die Grünen? Never ever. Oder vielleicht doch eine mutig in den Ring steigende Chatterbox-Lena? Geht nicht, die müßte dann ja die Orden zurückgeben. Von der FDP die zartfühlende Marie-Agnes? Merzens Fritz? Geht auch nicht (incl. Söder). Die Ampel spielt auf und Fritze tamzt. Unser schweigsamer Bundeskamzler? Das würde aber zu großeÜberwindung kosten. Die Linkien sind so gut wie weg vom Fenster und die schöne Sahra hängt ein bisserl arg am Wlad. Die AfD hätte gekonnt, war aber nicht im Saal. Schade, die Diskussion hätte ich gerne verfolgt. In meinen Augen eine vertane Chamce, AfD!.

Stefan Riedel / 14.06.2024

Die Kriegstreiber sind natürlich schuld? Der Angriffskrieg Betreiber, wer wohl, ist natürlich unschuldig? Krieg der verbrannten ukrainischen Erde. Verdammt noch mal, fragen wir die Bürger (nicht die korrupten Oligarchen und Politiker, 5. Kolonne Putins) der Ukraine!

CKrull / 14.06.2024

Zitat: “Der Beistand für den Angegriffenen ist wichtig…” Na so was aber auch! Wo war denn der Beistand für den Donbas, als er seit 2014 von den Ukro-Nazis täglich beschossen wurde. Und immer noch wird. Täglich. Über 14000 Tote des angeblich eigenen Volkes, nur weil sie weitestgehend russischstämmig sind und den Maidan verurteilten. Bis dann der böse Russe kam, um das Massaker zu beenden, was schwierig ist angesichts des Beistandes unseres guten Roderich und seiner Kumpane. Apropos “Beistand”, worum geht es denn wirklich? Uns Roderich der Gute “will was für die Ukraine tun”, wow! So uneigennützig?? Da war doch noch was : O-Ton Roderich Kiesewetter von der CDU: “Wenn Europa die Energiewende vollziehen will, braucht es eigene Lithium-Vorkommen. Die größten Lithium-Vorkommen in Europa liegen im Donezk-Lugansk-Gebiet. (…) Also wir haben hier auch ganz andere Ziele noch im Hintergrund. Und deshalb brauchen wir eine vereinte Anstrengung der Bürgerinnen und Bürger, damit unsere Politik die Rückendeckung hat, mehr für die Ukraine zu tun. Dabei führt sie (die Ukraine) einen Stellvertreterkrieg.” Dazu Douglas Bandow, ehemaliger Berater von Ronald Reagan: „Washington wird Russland bis zum letzten Ukrainer bekämpfen”.

Ingo Minos / 14.06.2024

@Dr. med. Jesko Matthes Artikel BERLINER ZEITUNG 10.6.24 WIR SUCHEN MÄNNER, DIE BEREIT SIND, MIT EINER WAFFE IN DER HAND BERLIN ZU VERTEIDIGEN Interview mit dem Brigadegeneral der Bundeswehr Uchtmann. Leider jetzt hinter Bezahlschranke. 50 Cent für Probe Abo lohnt sich allerdings nur für diesen Artikel, der kein Aprilscherz ist, sondern Bundeswehr 2024.

Ingo Minos / 14.06.2024

Neuste Meldungen im Internet EUROPÄISCHER GERICHTSHOF STÄRKT FLÜCHTLINGSSCHUTZ FÜR PALÄSTINENSER. Der Umsiedlung von Millionen Palästinensern nach Deutschland aus Gaza steht nun nichts mehr im Wege. Die Hilfen für die Ukraine sind dagegen wohl nun Kleinigkeiten.

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