Vor 25 Jahren wurde der Euro geboren. Ein einschneidender Schritt, doch gefeiert wurde dieses Jubiläum kaum. Warum? Weil er kaum noch populär ist? Ein Geburtstagsschreiben der EU-Spitze lässt ahnen, dass den Bürgern bei der geplanten Fortschreibung der Euro-Geschichte noch so einiges bevorsteht.
Sie haben diesmal doch hoffentlich nicht einfach nur banal Silvester gefeiert? Bestimmt waren Sie sich der Besonderheit des Jahreswechsels bewusst: Schließlich erblickte der Euro vor genau 25 Jahren das Licht der Welt! Oder haben Sie vielleicht sogar eine Party zum 30-jährigen Bestehen des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) ausgerichtet?
Wie auch immer. Diese beiden Anlässe inspirierten jedenfalls Vertreter der EU-Institutionen zu Stellungnahmen, die jedoch erstaunlich knapp ausfielen. So veröffentlichten Charles Michel (Präsident des Europäischen Rates), Paschal Donohoe (Präsident der Euro-Gruppe), Christine Lagarde (Präsidentin der Europäischen Zentralbank), Roberta Metsola (Präsidentin des Europäischen Parlaments) und Ursula von der Leyen (Präsidentin der Europäischen Kommission) gemeinsam unter der Schlagzeile „25 Jahre Euro: Der Wert von Einheit in einer sich verändernden Welt“ eine Erklärung, in der sie zunächst feststellten: „Vor 25 Jahren, am 1. Januar 1999, führten elf Mitgliedstaaten der EU den Euro als ihre gemeinsame Währung ein. Heute steht der Euro im Dienst der Wirtschaft und macht das Leben von 350 Millionen Menschen in 20 Ländern einfacher.“
Bereits nach dem Zweiten Weltkrieg seien sich „vorausschauende Staats- und Regierungschefs“ einig gewesen, dass der Frieden auf dem europäischen Kontinent nur durch den Zusammenschluss der Volkswirtschaften gesichert werden könne. Der Traum einer gemeinsamen Währung sei schließlich wahr geworden. Der Euro als „zweitwichtigste Währung der Welt“ gebe nun „Stabilität und Souveränität“ und habe „Wachstum sowie Arbeitsplätze gesichert“. Daher überrasche es nicht, dass der Euro-Raum seit seiner Gründung von elf auf 20 Länder gewachsen ist. Bescheiden geben die Verfasser zu: „Im Laufe der Jahre standen wir vor enormen Herausforderungen. Auch die Zukunft des Euro selbst wurde mitunter infrage gestellt. Doch wir haben jedes Mal die richtigen Antworten gefunden.“
Beispielsweise seien als Reaktion auf die globale Finanz- und Staatsschuldenkrise eine harmonisierte Bankenaufsicht und Bankenabwicklung eingeführt sowie der Europäische Stabilitätsmechanismus errichtet worden. Etwas verklausuliert heißt es weiter: „Heute liegt die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger des Euro-Raums für die einheitliche Währung in der Nähe der bisherigen Rekordwerte.“ Die Arbeit sei jedoch noch nicht getan. Die hochrangigen EU-Vertreter sind sich nämlich sicher: „Es warten neue Herausforderungen auf uns, die die Länder nicht allein bewältigen können – und die Menschen erwarten Antworten von Europa.“
Der grüne Wandel
Neben den geopolitischen Spannungen etwa durch den „ungerechtfertigten Krieg Russlands gegen die Ukraine“, der „mutige gemeinsame Entscheidungen“ erfordere, müsse eine „sich immer schneller zuspitzenden Klimakrise“ bewältigt werden. O-Ton: „Denn CO₂-Emissionen kennen keine Ländergrenzen.“ Außerdem stehe die Wettbewerbsfähigkeit der EU „aufgrund von energie- und industriepolitischen Maßnahmen in anderen Teilen der Welt“ vor noch nie dagewesenen Herausforderungen.
Demnach sind es in der Sichtweise der EU-Häupter also ausschließlich energie- und industriepolitische Maßnahmen außerhalb der EU, die Probleme bereiten, keineswegs eigene Entscheidungen. Der von den EU-Organen verabschiedete europäische Industrieplan für den Grünen Deal etwa oder die neue EU-Lieferkettenrichtlinie spielen bei den „noch nie dagewesenen Herausforderungen“ keinerlei Rolle? Tatsächlich folgt sofort der Hinweis, dass „der grüne und digitale Wandel“ zu einer „dringlichen Angelegenheit von gemeinsamem Interesse“ geworden sei. Das Gleiche gelte für die Finanzierung der „enormen Investitionen“, die für die „Dekarbonisierung unserer Volkswirtschaften, sicherere Lieferketten und die Modernisierung unserer Technologien“ getätigt werden müssen. Allein für den grünen Wandel in der EU werden nämlich bis 2030 jährlich Investitionen in Höhe von 620 Milliarden Euro nötig sein. Damit wird der Green Deal, durch den Europa bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent der Welt werden soll, von den EU-Repräsentanten wie ein unausweichliches Naturgesetz behandelt. Das jedoch ist er gerade nicht.
Die Lösungen müssten sich nun auf alles stützen, was durch die Zusammenarbeit in Europa möglich sei. Dazu zählen etwa der Aufbau einer Kapitalmarktunion, mit der auch private Finanzmittel mobilisiert werden können (also Public-Private-Partnership, kurz: PPP), überarbeitete Haushaltsregeln und eine robustere Bankenunion. Dafür müsse jedoch die gemeinsame Währung „fit für das digitale Zeitalter“ gemacht werden. Ausdrücklich wird betont, dass „die Grundlagen für einen potenziellen digitalen Euro“ geschaffen werden müssten. Die Problematik von PPPs wird wie selbstverständlich ausgeblendet: Öffentlich-private Partnerschaften bedeuten letztlich nichts anderes als die Zusammenarbeit der öffentlichen Hand mit Unternehmen der Privatwirtschaft, wobei die öffentliche Instanz die Verantwortung übernimmt.
Außerdem könne die geplante EU-Erweiterung Änderungen ihrer Organisationsstruktur nötig machen. Bedeutet im Klartext: eine weitere Entmachtung der Mitgliedstaaten. Doch von der Leyen & Co berufen sich darauf, dass etwa zwei Drittel der Europäerinnen und Europäer davon überzeugt seien, dass die EU ein Anker der Stabilität ist. Wie diese Umfragewerte im sogenannten Eurobarometer tatsächlich zustande kamen, haben wir hier gezeigt. Fast beschwörend endet die gemeinsame Erklärung zum 25. Euro-Geburtstag: „Zeigen wir ihnen also, dass Europa diese Veränderungen gestalten und ihre Erwartungen erfüllen kann. Dies erfordert Ehrgeiz und Beharrlichkeit – dieselben Eigenschaften, die auch die Gründungsväter der europäischen Integration besaßen.“
Wo sind die Gründungsmütter
Hier ist den Textverfassern ein offensichtlicher Fauxpas unterlaufen: Wie konnte es nur passieren, dass ausschließlich von „Gründungsvätern“ und nicht auch von Gründungsmüttern die Rede ist? Inhaltlich stellt sich natürlich die Frage, ob die herbeizitierten Gründungsväter sich nicht vielmehr im Grab herumdrehen würden, wenn sie die derzeitige Entwicklung der EU mitverfolgen könnten. Schließlich wird noch ein Bonmot des französischen Schriftstellers Anatole France hinterher geschoben: „Um große Dinge zu erreichen, müssen wir nicht nur handeln, sondern auch träumen. Wir müssen nicht nur planen, sondern auch glauben.“ Und dass es der EU letztlich um nichts weniger als um die Rettung der Welt geht, macht der allerletzte Satz deutlich: „Die ersten 25 Jahre des Euro haben gezeigt, wie erfolgreich ein Traum sein kann. Aber die Welt rund um uns verändert sich, und unsere Maßnahmen zeigen, dass ein vereintes Europa die Antworten liefern kann, die Europa und die restliche Welt brauchen.“
Auch die gemeinsame Erklärung von Exekutiv-Vizepräsident Maroš Šefčovič und dem Hohen Vertreter Josep Borrell zum 30-jährigen Bestehen des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) enthält viele schöne leere Floskeln. Sie beginnt mit der Aussage: „Heute vor 30 Jahren ist das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) in Kraft getreten. Der Europäische Wirtschaftsraum bildet einen einzigartigen Rahmen für 30 Staaten und eine halbe Milliarde Menschen im größten Binnenmarkt der Welt. Er beruht auf gemeinsamen Werten und Grundsätzen und stärkt die politische und wirtschaftliche Stabilität sowie den Wohlstand und die Sicherheit auf dem europäischen Kontinent.“ Und es wird hervorgehoben: „Unsere Errungenschaften sind das Ergebnis einer gemeinsamen Vision, eines starken Engagements und gegenseitigen Respekts.“
Allerdings gehören ja nicht alle Mitgliedstaaten des EWR auch gleichzeitig zur EU. Und so muss auch in der Erklärung differenziert werden: „Zusammen mit Island, Liechtenstein und Norwegen hat die Europäische Union in den letzten 30 Jahren kontinuierlich am Aufbau eines besseren Europas zum Nutzen der Bürgerinnen und Bürger sowie der Unternehmen gearbeitet. Rückblickend können wir stolz auf das sein, was wir erreicht haben.“ Der EWR vereine die EU-Mitgliedstaaten sowie Island, Liechtenstein und Norwegen zu einem gemeinsamen Binnenmarkt, in dem der freie Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen gewährleistet sei. Er sorge für gleiche Wettbewerbsbedingungen durch die Anwendung einheitlicher Vorschriften und begleitender Maßnahmen in den Bereichen Wettbewerb, Umwelt, Klimaschutz und Sozialpolitik.
Darüber hinaus ermögliche der EWR die Zusammenarbeit in den Bereichen Forschung, technologische Entwicklung, Umwelt, Kultur, Bildung, Gesundheit und Katastrophenschutz. Hier wird nun betont, dass die EWR-EFTA-Staaten umfassend an EU-Programmen teilnehmen. Zur Europäischen Freihandelszone (EFTA) gehören Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz, wobei die Schweiz allerdings kein Mitglied des EWR ist. Und so wird weiter beteuert: „Der EWR stellt ein Vermächtnis für künftige Generationen dar. Im derzeitigen geopolitischen Kontext ist das EWR-Abkommen ein Vorbild für die Zusammenarbeit zwischen engen Partnern. Wir freuen uns darauf, unsere Beziehungen zu Island, Liechtenstein und Norwegen in den nächsten 30 Jahren und darüber hinaus weiter zu vertiefen.“
Da drängt sich unwillkürlich die Frage auf, ob das Leben in den europäischen Ländern, die nicht zur EU, sondern nur zu EWR oder gar wie die Schweiz nur zur EFTA gehören, so viel schlechter ist als das Leben in den EU-Mitgliedstaaten. Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz stehen doch gar nicht so schlecht da, oder irre ich mich?
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