Archi W. Bechlenberg / 22.09.2019 / 06:15 / Foto: A.Bechlenberg / 45 / Seite ausdrucken

Kein Zwarte Piet mehr

Seit Monaten warne ich, wo immer mir jemand zuhört: „Bald ist Weihnachten!“ Der Applaus für diesen wichtigen Rat ist endenwollend; stattdessen schallt es mir „Schnüss!“, „Hör' bloß auf!“ oder gar „Defätist!“ entgegen. Dass niemand „Nazi“  sagt, liegt einzig daran, dass ich mich nur mit Nazis unterhalte. Gut, dann sage ich eben nichts und behalte für mich, dass nur wenige Tage später Silvester ist und davor ein paar Wochen lang Weihnachtsmarkt. Und kalt wird es sein und matschig und rutschig, und das morgendliche Fahren zur Arbeit per Fahrrad oder mit öffentlich-rechtlichen Bazillenschleudern wird... Nein. Ich sage nicht mehr.

Dabei sollte seit spätestens Mitte August auch dem sonnigsten Gemüt klar sein: Der Stinkstiefel hatte mal wieder recht. Mitte August trudelten die ersten Werbemails ein („Rechtzeitig an Weihnachten denken!“ „Vorweihnachtsrabatte jetzt abgreifen!“ Wohin wollen Sie Weihnachten entfliehen?“), und seit gut zwei Wochen beobachte ich, wie sich Geschäfte nach und nach mit Weihnachtszeuch füllen. Wo gestern noch Gartenzwerge mit LED Beleuchtung, Springbrünnlein mit sonnenenergiebetriebenen Pumpen und Gartenliegenauflagen mit Flamingo- und Hibiskusmuster feilgeboten wurden, warten auf einmal Elche mit LED Beleuchtung, mit Äthanol betriebene Wohnzimmerfeuer und Kuscheldecken mit Katzen- und Schneeflockenmuster und dazu natürlich jede Menge weihnachtlich dekoriertes Süßzeuch darauf, heim ins Heim geholt zu werden.

Da ich vor ein paar Tagen die ersten Adventskalender sichtete, fuhr ich heute Morgen zu einem nahe gelegenen Discounter. Es gibt nämlich etwas, das ich jedes Jahr kaufe, um den Schreibtisch dekorativ zu veredeln. Dabei handelt es sich eigentlich um eine Süßware, doch gegessen wird die, wenn überhaupt, erst lange Zeit später.

Es handelt sich dabei um eine in den Niederlanden und in Belgien populäre, in buntes Stanniolpapier gehüllte Schokoladen-Hohlfigur, die den Zwarte Piet darstellt. Der Zwarte Piet hat ein lustiges, farbenfrohes Kostüm mit Pluderhosen und Pludermütze und begleitet Sinterklaas (aka Nikolaus) bei seinen Umzügen und beim Geschenkeverteilen. So einen Zwarten Piet kaufte ich jedes Jahr und stellte ihn neben den Monitor. Es gab ihn in verschiedenen Varianten, als große Figur von 100 Gramm Melkschokolade und auch als Mini-Hohlkörper, und in besagtem Geschäft gab es ein Sortiment, in dem paritätisch abwechselnd je ein Sinterklaas und ein Zwarter Piet, insgesamt sechs Figuren, in einer hübschen Schachtel angeboten wurden.

Wie Aktivisten für politische Schönheit

Bis heute. Das Sortiment fand ich sofort im Regal, nur entdeckt man darin jetzt drei Sinterklaase und drei Stiefel! Ich durchwühlte das ganze Fach, an die 50 Schachteln. Nur Stiefel, kein Zwarte Piet mehr. Das gleiche Ergebnis beim Sichten der 100-Gramm-Figuren. Nur noch Sinterklaase. Und in den Tüten mit jeweils zehn kleinen Männchen ebenfalls.

Ein harter Schlag. Den Zwarte Piet vom letzten Jahr hatte ich, trotz gegenteiliger Vorsätze, irgendwann im Februar in einem Anfall von Schokoladen-Jeeper verzehrt; natürlich war ich davon ausgegangen, dieses Jahr einen neuen kaufen zu können. Und nun das!

Ob der gleich nebenan handelnde Konkurrenzdiscounter vielleicht...? Ich hatte keine Hoffnung und verzichtete auf die Suche. Wer geht schon gerne am Samstagvormittag in einen Discounter, erst recht in zwei? Ich fuhr stattdessen nach Hause und ging der Sache online nach.

„De laatste Zwarte Piet is verdwenen“ lese ich im flämischen Standard. „Der letzte Zwarte Piet ist verschwunden“. Warum? „Deze stap is de uitkomst van een geleidelijke ontwikkeling die een aantal jaren nodig heeft gehad.“ „Dieser Schritt ist das Ergebnis einer schrittweisen Entwicklung, die mehrere Jahre gedauert hat.“

Nun kann man Zwarte Pieten nicht einfach in den Ruhestand schicken, alleine in Amsterdam sind in der Vorweihnachtszeit 400 der Gesellen offiziell unterwegs, von Amateur-Pieten ganz zu schweigen.

Daher – die Entwicklung hat ja „mehrere Jahre gedauert“ – wurden sie, wenn auch nicht als Süßigkeit, quasi relaunched. Wo bisher schwarze Haut zu sehen war, ist nun ein gescheckertes Äußeres vorhanden, Zwarte Pieten sehen daher heute eher so aus wie Aktivisten für politische Schönheit. Für (im Original) weiße Zwarte Pieten wird das mit brauner Schuhcreme erreicht, für (im Original) schwarze Zwarte Pieten vermutlich mit weißer. Außerdem wurden ihnen sehr lange, blonde Haare verpasst, aber wenigstens keine Dreadlocks. Ihre Kostüme hingegen sind im Grunde gleich geblieben, schon immer waren Zwarte Pieten elegant und vornehm gewandet; nur Details haben sich jetzt geändert.

Der Zentralrat der Zwarten Pieten ist empört

Völlig verschwunden, so erfahre ich aus dem Standard, ist der Zwarte Piet aus niederländischen Malbüchern für Kinder. Auch das ein Ergebnis des im vergangenen Jahr beschlossenen „Piet Pact“, eine Vereinbarung, die nicht nur auf Zustimmung stößt. Den einen geht es nicht weit genug, die anderen halten die dahinter stehende politische Korrektheit für reichlich hysterisch. Aus welcher Motivation auch immer: Der Zentralrat der Zwarten Pieten ist empört.

Ich fand schon als Kind den Zwarten Piet ausgesprochen sympathisch. Es ging ganz und gar nichts Bedrohliches von ihm aus, so wie von seinem deutschen Pendant Knecht Ruprecht. Mit dem wurde mir das ganze Jahr über gedroht, schließlich stammte ich aus einem guten christlichen Haus, und Drohen und Angst sind im Christentum eine der wesentlichsten Kernkompetenzen. Ich sage nur Fegefeuer und Hölle. Es gehört zu meinen frühesten Erinnerungen, dass mir bei einer familiären Weihnachtsfeier ein solcher Kerl damit drohte, er würde mich in seinem Sack mitnehmen, da ihm zu Ohren gekommen sei, dass ich ein böser Bube wäre. Mein Geschrei hallt mir noch heute in den Ohren; der Sack war nämlich groß genug, um mich tatsächlich darin verschwinden zu lassen. Ich schwor damals Rache. Letztendlich hat das Erlebnis auch sein Gutes gehabt. Ein Heiliger Nikolaus, der einen solchen Begleiter mit sich führte, konnte kein Vertreter von Nächstenliebe und Kinderfreundlichkeit sein, und wenn ich einmal groß wäre, würde ich beide Gestalten locker in den Sack stecken.

Heute tut mir der Nikolaus (aka Sinterklaas) hingegen leid. Während der Zwarte Piet – dem ich ob seiner eleganten Aufmachung ohnehin nie zugetraut habe, seinem Chef viel zur Hand zu gehen – umhätschelt und -tätschelt wird, ist es natürlich wieder mal der alte weiße Mann, an dem alles hängen bleibt. Bedauert jemand den Nikolaus? Sagt jemand „Dem Alten kann man doch wohl nicht mehr zumuten, die ganzen Geschenke zu transportieren, damit durch Kamine zu rutschen und sich permanent mit Tierschützern rumzuschlagen, die das Führen von Rentierschlittengespannen verurteilen und verbieten lassen wollen?“ Ich habe so etwas jedenfalls bisher nicht zu Ohren bekommen.

Woher auch? Alte weiße Männer sind gut, wenn sie arbeiten und Steuern zahlen, und sie eignen sich hervorragend als Hass-Projektionsfläche für jeden geistigen und materiellen Habenichts. Gibt es etwa einen Nikolaus-Pakt, in dem seine Rechte und Pflichten neu definiert wurden? Der ihn davon befreit, einen fusseligen, unbequemen, viel zu langen Bart tragen zu müssen? Der es ihm endlich abnimmt, mit unfassbarer Geschwindigkeit unterwegs sein zu müssen, damit jedes Blag, selbst die, die bei FFF mit aufmarschieren, ein neues Smartphone unterm Weihnachtsbaum vorfindet? 

Kein Mitleid hingegen habe ich mit Knecht Ruprecht. Anstatt dass er für alle Zeit in den Ruhestand geschickt wird, postet er ständig bizarre Dinge bei Facebook oder Twitter. Aber das wäre eine andere Geschichte.

Foto: A.Bechlenberg

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Leserpost

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Karsten Dörre / 22.09.2019

Rassistisch motivierte Schokolade wird abgeschafft werden. Weisse Schokolade gibt es schon.

Th.F. Brommelcamp / 22.09.2019

Für jeden Niederländer und Vlaamen eine Tragödie. Was hat man im Grünliinken A -dam nicht schon alles probiert. Rot, grün, lila oder blau mussten sie sein, Hauptsache nicht Schwarz. Der Political Correctness zerstört hatmloseTradition. Zerstört die Zerstörer.

Markus Schmidt / 22.09.2019

Der Zwarte Piet ist nicht Bunt genug für die selbsternannten Bunten. Der muss weg, der ist zu braun.

herbert binder / 22.09.2019

Gibt es eigentlich den Mohrenkopf noch, oder den sarottinen? Diese und vergleichbare Kultur-Güter firmieren heutzutage vermutlich nur noch als Vollmilch- resp. Zartbitter-Leckerli mit Migrationshintergrund. Mir fiel bei der Lektüre Ihres “Vorweihnachtstextes” sofort der Monostatos ein, lieber Herr Bechlenberg: “Alles fühlt der Liebe Freuden, schnäbelt, tändelt, herzt und küßt; und ich soll die Liebe meiden, weil ein Schwarzer häßlich ist…” Und es geht weiter: “Weiß ist schön! Ich muß sie küssen…sollt es dich [lieber guter Mond] zu sehr verdrießen, oh, so mach die Augen zu!” Das alles getragen von den Klängen eines der wunderbarsten Notenmaler der Musikgeschichte. Aber auch ein Monostatos kommt auf heutigen Bühnen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr als Expressis-Verbis-Schwarzer vor. Weg"rass"istiert.

J.G.R. Benthien / 22.09.2019

Negerküsse gibt es auch nicht mehr. Trotzdem bekomme ich bei älteren Mitarbeitern in den Bäckereien immer noch den Negerkuss, weil wir den gleichen Wortschatz haben. Die Jüngeren müssen meist beim Chef nachfragen. Kommunikation ad absurdum geführt in diesem total bescheuerten Land…

Frank Mertes / 22.09.2019

Verstehe ich richtig: Alle Schwarzen müssen also weg, sollen ausradiert werden und aus Geschäften und Straßen verschwinden? Ist das nicht Rassismus? Und wenn der Mainstream keine Schwarzen mehr will, warum kommen dann immer mehr? So viele Fragen! Wer ist als nächstes dran?

Mathias Bieler / 22.09.2019

Was für ein Glück, dass der Schwarzwald grün ist und die Schwarzwurzel gelb. Aber jetzt mal was ganz anderes,sehr geehrter Herr Bechlenberg.Warum tätowieren sich dunkelhäutige Menschen mit schwarzer Farbe?

armin_ulrich / 22.09.2019

Man/frau/div könnte schon einen Ersatz für den Swarten Piet finden. Es bietet sich der “Feldgraue Fritz” an. Dieser führt die vom Santa Klaas im Kasernenhofton gebrüllten Befehle aus: “Liiinnks ummmm.” Der “Feldgraue Fritz” nimmt den unartigen Kindern das Fahrrad weg. Den artigen auch. So lernen die Kinder, daß es trotz der EU immer noch Konfliktpotential mit dem großen Nachbarn im Osten gibt. Um die Kontinuität aufrecht zu erhalten, verteilt der Feldgraue Fritz Broschüren mit gendergerechter Sprache auf Holländisch und das “Rote Buch der Klimaweisheiten” der jungen wassermelonenhaften Aktivist*Innen.

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