Johannes Eisleben / 10.02.2020 / 06:15 / Foto: P. Lindgren / 174 / Seite ausdrucken

Kein Weimar, kein Putsch, aber der Geruch der Veränderung

Dieser Tage wird über die politischen Ereignisse in Thüringen mit sehr viel Erregung und Empörung gesprochen. Was ist geschehen? Da der bisherige Ministerpräsident (MP) Ramelow im Parlament mit seiner SED-Nachfolgepartei und deren Kolalitionspartnern seit den letzten Wahlen keine absolute Mehrheit hat, wurde letzte Woche im dritten Wahlgang der FDP-Kandidat Kemmerich mit den Stimmen von AfD, CDU und FDP (Reihenfolge nach Anteil der Sitze im Parlament) zum Ministerpräsidenten gewählt. Nun hat er dem Druck der politischen Öffentlichkeit und seiner Parteifreunde nachgegeben und ist zurückgetreten. Wahrscheinlich wird bald wieder Ramelow zum MP gewählt, der dafür beim nächsten Wahlgang nur eine einfache Mehrheit benötigt, über die er im Parlament verfügt.

Auf der Seite der öffentlichen und der privaten etablierten Massenmedien (zusammen: die Leitmedien) verstieg man sich zu Vergleichen mit der Wahl Adolf Hilters zum Reichskanzler, Frau Merkel hat erfolgreich gefordert, das Wahlergebnis rückgängig zu machen. Dies ist nun geschehen. Sie hat auch Kritiker ihres Vorgehens degradiert oder gerügt, was ihr ihre Position einwandfrei und im Einklang mit den Regeln des Rechtsstaats ermöglicht.

Auf der anderen Seite wird von einem “Dammbruch”, der nun zum “Putsch gegen die Demokratie gemündet” sei, gesprochen. Diese Aussagen sind ebenso übertrieben und unzutreffend wie die Vergleiche mit der NS-Zeit. Warum? Eine auf dem rechtsstaatlichen Nationalstaat gegründete Demokratie – das ist das derzeit im Westen gültige Legitimitätsparadigma, welches das monarchische Paradigma abgelöst hat – bewältigt das Paradoxon der Gewaltbegrenzung mit folgenden Machtkontrollmechanismen:

Strukturen der Staatlichkeit, Rechtsstaatlichkeit, Prozeduren zur Gewaltkontrolle und Gewaltenteilung, Isonomie (Gleichheit vor dem Gesetz), Grundrechten, Besetzungsnormen für Staatsämter, Verfahrensnormen der Ausübung von staatlicher Gewalt sowie Öffentlichkeitsnormen (Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Pluralismus). Viele dieser Mechanismen sind in Deutschland noch intakt. 

Andere sind beschädigt: Am meisten wohl die Öffentlichkeitsnormen – durch die Reduktion des in den Leitmedien abgebildeten Meinungsspektrums. Und die Prozeduren zur Gewaltenteilung – durch das Versagen von Parlament und Verfassungsgericht bei der Kontrolle der Regierungstätigkeit, die sich in vielen wichtigen Fragen weit von Ethos und Normen der Verfassung entfernt hat.

Mit den Verfahrensnormen des Parlamentarismus konform

Doch in Erfurt ist nichts davon zu sehen. Vielmehr wurden sämtliche Normen zur Wahl des Ministerpräsidenten eingehalten. Auch der Rücktritt des neuen MP und die zu erwartende Wiederwahl Ramelows sind mit den Verfahrensnormen des Parlamentarismus konform. Frau Merkels Agieren ist ebenfalls durch demokratische Normen gedeckt – ihre Aussage zur Rückgängigmachung der MP-Wahl sind als Äußerungen des politischen Willens eines prominenten Parteimitglieds zu sehen, sie werden allerdings dadurch, dass sie auch Bundeskanzlerin ist, besonders intensiv öffentlich verbreitet. 

Frau Merkel nutzt also ihr Staatsamt, um den politischen Willen eines Flügels der CDU prominent zu äußern – das haben alle Kanzler der BRD vor ihr auch getan. Frau Merkel hat nicht dazu aufgefordert, die Wahl des Thüringer Landtages rückgängig zu machen, sondern eine MP-Wahl. Dieser Wunsch scheint der absoluten Mehrheit der Parlamentarier in Thüringen zu entsprechen, nachdem man es sich noch einmal angesichts der Lage der öffentlichen Meinung überlegt hat. Man glaubt, damit politisch besser zu fahren. Das nun gewählte Prozedere, Kemmerich zum Rücktritt zu bewegen, erspart der CDU, im Gegensatz zum Misstrauensvotum im Parlament für Ramelow zu stimmen und mag manchem daher als “Mauschelei” erscheinen. Doch ist auch dieser Vorgang normenkonform.

Die Leitmedien haben in den letzten Tagen durch ihr Verhalten erneut unter Beweis gestellt, dass die demokratische Öffentlichkeit in Deutschland schwer beschädigt ist. Ansonsten ist festzustellen: normenkonforme Politik. Von einem “Putsch” oder einer “offenen Gesinnungsdiktatur” kann jedenfalls keine Rede sein. Weder haben staatliche Ordnungskräfte mit Waffengewalt ein Parlament aufgelöst oder Rundfunkstationen eingenommen noch werden wir Zeugen einer Gesinnungsdiktatur, die die Grundrechte direkt verletzt.

Sicher, wir haben einen Gesinnungsstaat, weil die Amtsträger des Staates im Sinne einer deutlich vorgetragenen Gesinnung handeln. Doch solange unsere Gerichte noch in den allermeisten Fällen nüchtern Recht sprechen (über 99 Prozent der seit 2015 von Migranten gestellten Asylanträge wurden abgelehnt) und die meisten Institutionen des Staates normengerecht agieren, haben wir keine Diktatur. Vielmehr glauben die Politiker, ihr politisches Gesinnungsverhalten verschaffe ihnen einen politischen Vorteil.

Die Probleme bleiben

Doch darin täuschen sie sich. Denn Merkel und tausende andere, mehr oder weniger bekannter Politiker, haben offensichtlich nicht mehr ausreichend Urteilskraft, um den politischen Willen der großen Mehrheit der Bürger zu verstehen: Sie agieren für eine in den Leitmedien verzerrt-vergrößert dargestellte radikale Minderheit. Doch die meisten Bürger wollen die alte Bundesrepublik mit intakten Institutionen, einem sicheren öffentlichen Raum, guter Infrastruktur, vorsichtig austarierten Ausgleichen zwischen Interessenvertretern und soliden Staatsfinanzen. Denn in diesem Rahmen können sie sich am besten selbst verwirklichen, tüchtig arbeiten und in ihrer Freizeit einem milden Hedonismus frönen. Doch der Gesinnungsstaat erschüttert durch seine gesinnungsethisch getriebenen politischen Entscheidungen bei Themen wie Euro, Staatsgrenzen/Ausländerpolitik, Rentenpolitik, EU-Politik oder Energieversorgung die etablierten Strukturen so stark, dass die Bürger es immer mehr zu spüren bekommen.

Dagegen werden die Bürger an der Wahlurne zunehmend aufbegehren, durch Wahl der AfD oder weiterer konservativer oder konservativ-liberaler politischer Parteien, die sich zweifelsohne nach dem Gesetz von Nachfrage und Angebot bilden werden. Beispielsweise könnte sich eine national-liberale Partei bilden, die die heutige, vollkommen von liberalen Werten entkernte, nutzlose FDP ersetzt, oder die CDU sich spalten, wenn der Druck immer schlechterer Wahlergebnisse zunimmt. Offensichtlich geht es weder der AfD noch anderen zu erwartenden konservativen oder liberalen Parteien darum, die demokratisch-rechtsstaatliche freiheitliche Ordnung zu zerstören.  Daher werden sie früher oder später auch die Mehrheit bekommen. Wenn dann beispielsweise die abgewählte Regierung die Wahlen nicht anerkennt, nicht aus dem Amt weicht und die Notstandsgesetze aktiviert, um die Ergebnisse freier demokratischer Wahlen durch Einsatz staatlicher Ordnungskräfte zu annullieren – erst dann haben wir Putsch und Gesinnungsdiktatur.

Doch man sollte lieber cool bleiben und zusehen, wie sich das pseudo-liberale linke politische Establishment selbst demoliert, indem es gegen die Interessen der großen Mehrheit der Wähler regiert. Dass währenddessen das Land Schaden nimmt, ist leider im historischen Vergleich ganz normal: Wenn ein Land schlecht regiert wird, nimmt es solange Schaden, bis es sich auflöst oder sich von der schlechten Regierung erlöst. Von einer Auflösung sind wir noch sehr weit entfernt. Die Wertesubstanz, die Normenverinnerlichung und die Fertigkeiten der Menschen unseres Landes sind nach wie vor im internationalen Vergleich gut bis sehr gut. Irgendwann erwachen Michel und Micheline und ändern ihr Wahlverhalten. Gehen wir also davon aus, dass wir uns nicht auf- sondern erlösen werden.

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Stefan Hofmeister / 10.02.2020

„Gehen wir also davon aus, dass wir uns nicht auf- sondern erlösen werden.“ - tja dann … Ich habe das beste Deutschland aller Zeiten beizeiten verlassen, genau weil ich diesen Murks erwartet hatte. Viel Spaß und viel Erfolg noch beim Beschwichtigen und Leben im besten Deutschland aller Zeiten.

Sannw Weisner / 10.02.2020

So ganz gechillt würde ich nicht in die Zukunft des Landes blicken. Die angesprochenen Fähigkeiten und Zivilisationstreue der Mehrheit der hiesigen Bewohner sind vor allem Rentner- und Boomer-gestützt. Das Zeitfenster für unser Land sich von diesem bleiernen Merkel-“Die Partei hat immer recht und die Partei bin ich”-Revival zu erholen ist daher begrenzt. Mit Generation Weiß-nix, Kann-nix und Mir-doch-egal plus all den angeschleppten (Un)fachkräften ist kein Wiederaufbau zu stemmen zumal die Zeit in anderen Ländern weitergeht während wir hier gerade nochmal die Breschnjew-Ära der SU samt infrastrukturellem und wirtschaftlichen Verfall und innerer Erstarrung aufleben lassen.

Horst Lange / 10.02.2020

Ich sehe es etwas anders. Merkel ist Kanzlerin des Bundes, hier ging es um eine Wahl eines Ministerpräsidenten eines Landes innerhalb der Föderation. Das politische Gewicht Merkels erfuhr durch die Abstrafung Hirtes eine besondere Note, auch das Gebaren gegenüber innerparteilicher Opposition, WerteUnion, hat den Anschein einer aufziehenden politischen Aufräumarbeit. Säuberung haben wir noch nicht. Zudem habe ich kaum Stimmen vernommen, die dem Treiben der Antifa-Terroristen Paroli geboten hätten. Das Klima in Deutschland ist vergiftet, die Demokratie in einer Krise.

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