Oft neigen wir Deutschen aufgrund unserer Vergangenheit dazu, zu glauben, dass wir, wenn es um vorauseilenden Gehorsam und Toleranz bis zur Selbstaufgabe geht, den unangefochtenen Spitzenplatz in der ewigen Rangliste der Bekloppten einnehmen. Dass dem nicht so ist und der Nationalsozialismus längst keine ausreichende Erklärung mehr für den sich vollziehenden Wahnsinn darstellt, wird deutlich, wenn man einmal einen Blick auf das europäische Ausland wirft.
Gut ein halbes Jahr liegt der islamistische Anschlag von Carcassonne und Trèbes, bei dem der 26-jährige Täter Radouane Lakdim vier Menschen tötete und mindestens 12 weitere verletzte, nun zurück. Unter den Getöteten befand sich auch der Gendarmerie-Offizier Arnaud Beltrame, der sich freiwillig gegen die letzte Geisel austauschen ließ und kurz darauf vom Attentäter getötet wurde. Beltrame, der seine Ehefrau im Juni noch kirchlich heiraten wollte, verstarb am 24. März an den Folgen massiver Schnittverletzungen im Bereich der Kehle.
Nun wurde ein Antrag auf Umbenennung eines Platzes zu Ehren von Beltrame im Stadtrat der südfranzösischen Metropole Marseille abgelehnt. Als Grund gab man an, dass sich die Bevölkerung Marseilles in den Jahren verändert hätte und ein solcher Platz die Einwohner „provozieren könnte“.
Welche Art von Einwohner sich an der Ehrung eines Nationalhelden, der von einem islamistischen Attentäter ermordet wurde, stören könnten, ließ man dabei offen. Vermutlich handelt es sich aber um dieselbe Klientel, die auch die Mehrheit der Einwohner im Stadtteil Molenbeek der belgischen Hauptstadt Brüssel stellt und über Wochen einen der Attentäter von Paris versteckte.
Es trifft wohl doch zu, was der Schriftsteller und Journalist Jean-Claude Izzo einst über Marseille schrieb:
„Marseille ist keine Stadt für Touristen. Es gibt dort nichts zu sehen. Seine Schönheit lässt sich nicht fotografieren. Sie teilt sich mit. Hier muss man Partei ergreifen. Sich engagieren. Dafür oder dagegen sein. Leidenschaftlich sein. Erst dann wird sichtbar, was es zu sehen gibt. Und dann ist man, wenn auch zu spät, mitten in einem Drama. Einem antiken Drama, in dem der Held der Tod ist. In Marseille muss man sogar kämpfen, um zu verlieren.”