Von Martin Toden.
Kein Mensch will zur Bundeswehr. Wie man ein Rekrutierungsproblem auch unter Beibehaltung einer Freiwilligenarmee lösen könnte, kann Boris Pistorius in den USA studieren.
Der 3. Juni 2025 war ein bemerkenswertes Datum. Zwei Meldungen, die unterschiedlicher nicht hätten sein können, verdienen unsere Aufmerksamkeit. Von den Qualitätsmedien in weitgehend spröden Berichten nur knapp gewürdigt wurde ein Interview mit dem Kommandeur der Heimatschutzdivision, Generalmajor Andreas Henne. Er ließ sich im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) über die Heimatschutzkräfte der Bundeswehr hinsichtlich ihrer erforderlichen Personalstärke aus.
In deutschen Leitmedien überhaupt nicht erwähnt wurde der Sachstand zum gleichen Thema in den USA, der sich zur Situation in Deutschland, nun, sagen wir mal: deutlich unterscheidet. Dazu weiter unten mehr; werfen wir unseren Blick zunächst ins Inland.
Herr General muss zugeben, was Achse-Leser schon lange wissen
Der geneigte Leser weiß, dass ich zum Thema Wehrfähigkeit bereits mehrfach meinen flecktarnfarbenen Senf abgegeben habe (z. B. hier, hier und hier). Im Gespräch mit dem RND ließ GM Henne verlauten: „(…) Je mehr Soldatinnen und Soldaten wir brauchen, desto wahrscheinlicher wird es, dass man an die Grenzen der Freiwilligkeit stößt“. Dies ist ein Euphemismus für die Erkenntnis, dass die Bundeswehr keine Chance hat, auch nur annähernd so viele Freiwillige rekrutieren zu können, wie sie in den Endplanungen für die Heimatschutzdivision benötigt, deren geplante sechs Regimenter als Teil der Territorialen Reserve bis 2026 aufgestellt werden sollen. Wir lassen die mindestens ebenso wichtigen Aspekte wie die Ausrüstung und die Befähigung solcher Heimatschutzkräfte einmal außen vor – die eklatante Lücke von mehreren 10.000 Soldaten, die GM Henne gefüllt sehen will, ist schon dramatisch genug.
Es ist nun also auch dem letzten Zweifler klar geworden, dass es in Deutschland nie und nimmer genug Freiwillige geben wird, die sich zum Dienst im Heimatschutz (oder überhaupt bei der Truppe) melden werden. Der geplante Rückgriff auf Millionen von wehrfähigen Reservisten ist ja unlängst ebenfalls als Vollkatastrophe aufgeflogen. GM Henne deutet an, worauf es hinauslaufen wird, wenn diese Erkenntnis in der Politik Konsequenzen zeitigt: das Ende der Aufhebung der Wehrpflicht (die natürlich nicht abgeschafft wurde, wie es immer wieder in den Qualitätsmedien zu lesen ist).
Henne ist einer der wenigen „No-Bullshit-Generäle“ der Bundeswehr, und einer, den ich persönlich kennenlernte. Ich kann mir gut vorstellen, dass er sich beim Interview mehrfach auf die Zunge gebissen haben wird, um nicht Klartext zu reden (im direkten Gespräch tut er das). Er weiß, dass er seine Soldaten niemals bekommen wird, wenn es so weitergeht wie bisher.
Rekrutierung von Soldaten als Gradmesser nationaler Selbstverortung
Es gibt viele Gründe, sich heutzutage einer Wehrpflicht zu widersetzen. Zuvörderst sei hier eine libertäre Grundhaltung genannt. Ein staatlich erzwungener Dienst, wie Wehrpflicht oder Zivildienst, stellt demnach einen unzulässigen Eingriff in die Rechte der Souveränität des Individuums auf seinen Körper, seine Zeit und seine Arbeit dar und wird als Form der Zwangsarbeit betrachtet. Eine Gemeinschaft souveräner Menschen, Gemeinden, Städte oder Regionen kann sich freiwillig gegen äußere Bedrohungen wappnen und dazu Streitkräfte aufstellen, wenn das erforderlich scheint.
Das liest sich natürlich sehr theoretisch und in der derzeitigen Weltlage utopisch, es hat aber einen wichtigen, wahren Kern. Ein Gemeinwesen, für das sich eine hinreichend große Anzahl von Freiwilligen finden soll, um dieses notfalls mit Waffengewalt zu verteidigen, muss schon einen sehr hohen intrinsischen Wert besitzen, der die erforderliche Motivation hervorruft, für sie zu kämpfen. Von diesem hohen Wert (moralisch, ethisch, kulturell…) wurde bekanntlich nicht nur mein Wunsch genährt, Soldat der Bundeswehr werden zu wollen. Dieser Wert ist in den letzten 40 Jahren drastisch gesunken und inzwischen bei unter Null angekommen.
Denn abgesehen von der grundsätzlichen Ablehnung staatlicher Zwangsverpflichtung steht heutzutage natürlich der weiße (oder bunte?) Elefant im Raum, den niemand sehen, geschweige denn benennen will: Für ein Land, dessen Führung immer noch dem woken Wahnsinn anhängt und der weiterhin tausende potenzielle Gefährder per Regierungscharter nach Deutschland holen will, lässt man sich erst recht nicht heranziehen. (Zum Aufnahmeprogramm von Afghanen nach Deutschland ist hinzuzufügen, dass Außenminister Wadephul die bestehenden Zusagen einhalten will, Innenminister Dobrindt die Umsetzung dieser Aufnahmen aber vorläufig ausgesetzt hat. Es gibt derzeit keine endgültige Entscheidung, und die Spannungen zwischen den Ministern spiegeln eine uneinheitliche Linie wider, was niemanden ernsthaft verwundern dürfte.)
Die auf unser Land zurollende Welle an sozialen Spannungen und innerem Widerstand gegen eine so umwälzende Richtungsentscheidung wie die Wiederscharfstellung der Wehrpflicht dürfte niemandem so richtig klar sein. Da kann der Russe noch so drohen. Aus der selbstgewählten Lähmung, die die Erschöpfung der Friedensdividende hervorgerufen hat, kommen wir so schnell nicht mehr heraus.
Tu felix America, nube.
Nun schauen wir wie angekündigt auf die USA, wo sich zum exakt gleichen Thema ein gänzlich anderes Bild bietet. Auch bei unseren Freunden jenseits des großen Teichs (bei denen der Bundeskanzler unlängst Gast von Präsident Trump war, um seinen Antrittsbesuch abzustatten und dabei eine erfreulich gute Figur machte) waren die beständig sinkenden Rekrutenzahlen ein Dauerthema, vor allem unter Biden, wie ich ebenfalls hier auf der Achse schon berichtete.
Was sich das Verteidigungsministerium an bunt-diversen Grotesken leistete, schreckte so viele potenzielle Rekruten ab, dass die Armed Forces in ernste Schwierigkeiten zu kommen drohten. Das Blatt hat sich mit der Wiederwahl von Donald Trump ins Präsidentenamt auf geradezu dramatische Weise gewendet. Das angepeilte Jahresziel 2025 für die Rekrutierung zukünftiger Soldaten des Heeres lag bei 61.000. Es wurde jetzt, Anfang Juni, bereits erfüllt; ein Vorgang, der in den letzten Jahrzehnten seinesgleichen sucht. Woran liegt das?
Führen durch Vorbild
Mit Pete Hegseth hat Präsident Trump einen hochdekorierten Veteranen ins Amt des Verteidigungsministers gehoben. Dessen Habitus als aufrechter, konservativer Mann und Soldat, der Werte wie Freiheit, Ehre, Verantwortungsbewusstsein und Kampfbereitschaft glaubhaft verkörpert, ist das, was man in der militärischen Führungslehre gemeinhin als „Führen durch Vorbild“ bezeichnet. Und es ist der diametrale Gegensatz zu dem, was unter Biden als soldatische Tugenden verkauft wurde (und bei uns immer noch wird). Die Macht der Bilder ist auch für Hegseth ein Mittel der Wahl, und so ließ er sich bei seinem Besuch in Sindelfingen Anfang Februar dieses Jahres dabei fotografieren, wie er mit den Soldaten des dort stationierten 1st Battalion, 10th Special Forces Group, am morgendlichen Sport teilnahm.
Darüber hinaus machte sein zuständiger Heeres-Staatssekretär in einem Interview zum Erreichen des Rekrutierungsziels deutlich, worum es gehen wird: „Diese zukünftigen Soldaten werden unsere Tradition von Ehre, Mut und Dienstbereitschaft vorantreiben. Ihre Bedeutung an vorderste Stelle zu stellen, hat konkrete Auswirkungen und zeigt, dass junge Menschen in unserem Land Teil der tödlichsten Landkampfkraft sein wollen, die die Welt je gesehen hat.“
Wer ein solches Beispiel gibt, braucht sich um Rekrutenzahlen keine Sorgen zu machen.
Gegenrede aus Washingtoner Think Tanks
Es gab zu den selbstbewussten Verlautbarungen aus dem Pentagon natürlich auch Gegenstimmen, so etwa ein „Faktencheck“ der Associated Press-Journalistin Melissa Goldin, die in ihrem Artikel, der bereits vom 26. April datiert, das Narrativ der US-Regierung zu widerlegen versucht. Sie behauptet, es gebe andere Gründe für den Rückgang bis 2025 (etwa die „COVID-Pandemie“) und führt einige Stimmen ins Feld, von denen sie sich wahrscheinlich erhofft hatte, sie mögen die Auswirkungen der neuausgerichteten Politik unter Trump marginalisieren, etwa Mark Cancian, einen Berater des Center for Strategic and International Studies in Washington, DC. Doch kommt Frau Goldin nicht umhin, das Fazit ihres „Faktenchecks“ ziemlich vage ausfallen zu lassen.
Sie zitiert Cancian mit den Worten: "Ich denke man muss ehrlicherweise sagen, dass Hegseth einen gewissen Teil der amerikanischen Gesellschaft begeistert hat." Er habe angemerkt, dass die Datenlage letztendlich noch zu dünn sei, um die Auswirkungen von Trump und Hegseth auf die Rekrutierungszahlen beurteilen zu können.
Das kann man nun interpretieren wie man will – meiner Auffassung nach drehen sich die (recht dünnen) von Melissa Goldin geäußerten Zweifel um den gleichen heißen Brei, den beim Namen zu nennen sich auch US-amerikanische Think Tanks scheuen und der in meinen Ausführungen die zentrale Rolle spielt: Das Selbstverständnis des Soldaten ist in erster Linie abhängig davon, ob er sich mit seinem Land (und somit auch seiner Regierung) identifizieren kann oder nicht.
Der für das Thema Personal zuständige Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium Nils Hilmer war übrigens nie Soldat und hat Zivildienst geleistet.
Martin Toden (60) ist studierter Personalentwickler, Reserveoffizier der Bundeswehr und blickt auf 40 Jahre zivile und militärische Führungserfahrung zurück. Er schreibt hier unter Pseudonym.