Peter Grimm / 20.11.2019 / 06:09 / Foto: Bundesarchiv / 35 / Seite ausdrucken

Kein Genius Loci für Tesla

Für alle Freunde des gegenwärtigen Regierungskurses in Sachen Energie- und Verkehrswende war es das stärkende Zeichen gegen all die stärker werdenden Zweifel, ob die einseitige Fixierung auf das Elektroauto wirklich der richtige Weg ist oder ob sie nicht am Ende eher die Zerstörung des Wirtschaftsstandorts Deutschland befördert: Elon Musk will ein Riesen-Werk in Deutschland, am Rande Berlins bauen. Natürlich verstummen die Zweifler nicht ganz und unterstellen Musk, die Standortwahl wegen der leichten Erreichbarkeit von Fördergeldern getroffen zu haben. Gern würde er Luftschlösser versprechen, und die nach guten Verkehrs- und Energiewende-Nachrichten gierenden deutschen Politiker wären ebenso gern bereit, dafür zu zahlen. Da ist es wichtig, zu zeigen, welch guter Geist hinter dem Tesla-Werk steckt, auch wenn das Produkt bislang für den Produzenten nicht gewinnbringend ist.

Höhere Weihen für das gute Werk sind sicher hoch willkommen. Und etliche Meinungsbildner sind willig und sehen sich in der Lage, diese zu finden. Naheliegend wäre vielleicht ein geeigneter Genius Loci, ein Geist des Ortes, mit dem man das Elektromobilitätswerk noch ein wenig schmücken könnte. Standort, so meldeten die Agenturen, sei Grünheide bei Berlin. Und einem engagierten Autor der Berliner Zeitung fiel dank seines soliden zeithistorischen Wissens zu Grünheide sofort etwas ein:

„Vielleicht wird der Name Grünheide in ein paar Jahren vor allem mit Elektroautos verbunden sein – wenn Tesla hier die neue Autofabrik betreibt. Immerhin will der US-Elektroauto-Hersteller hier bis zu vier Milliarden Euro in die geplante „Gigafactory“ investieren und Grünheide damit zum Automobilstandort ausbauen. Noch aber lässt der Ort im Südosten von Berlin bei älteren, vornehmlich Ost-Deutschen ganz andere Assoziationen aufscheinen. Robert Havemann lebte hier, einer der klügsten und mutigsten Oppositionellen, die es in der DDR je gab. Sein kleines Haus am Möllensee steht bis heute fast unverändert in der Burgwallstraße.“

Schon die Überschrift stellt einen wohlklingenden Zusammenhang her: „Tesla-Fabrik entsteht am Haus eines DDR-Oppositionellen“. Unbestritten ist es richtig und wichtig, Robert Havemann zu würdigen, wenn sich die Gelegenheit bietet. Und dass die Versuchung für den wohlmeinenden Autor groß gewesen sein muss, Havemann – zu seinem Spätwerk zählt schließlich auch eine „reale Utopie“ – als Genius Loci in Verbindung zum Tesla-Werk zu setzen, kann man gut nachvollziehen. Ein wenig Recherche hätte ihn davor bewahrt, sich beim Genius Loci für Tesla so gründlich zu vergaloppieren.

Neugierige unerwünscht

Denn das neue Mekka deutscher Elektromobilität entsteht zwar in zeitgeschichtlich interessanter Nachbarschaft, nur nicht in der eines aufrechten DDR-Oppositionellen, sondern der Stasi. Beim Lesen der Meldungen über die Tesla-Ansiedlung wird der Standort genauer beschrieben: Es ist die zu Grünheide gehörende, aber außerhalb des Ortes gelegene Gemarkung Freienbrink. Das muss – zugegebenermaßen – den Unbeteiligten wirklich nichts sagen. Aber ein kurzer Blick ins Internet gibt erhellende Auskünfte. Die frühere Nutzung dieser Einöde mit guter Verkehrsanbindung beschreibt beispielsweise der Spiegel schon im Februar 1990 so:

„Im Forst von Freienbrink sind Neugierige immer noch unerwünscht. Männer in der Uniform des DDR-Zolls verwehren die Durchfahrt. Das große Tor wird für ein- und ausfahrende Lastwagen und für "Befugte" geöffnet.

Das etwa vier Quadratkilometer große Waldstück, gleich neben der Autobahn, acht Kilometer südöstlich der Stadtgrenze von Ost-Berlin, ist gesichert wie früher die deutsch-deutsche Grenze: Wachtürme und hohe Zäune mit Stacheldraht, dahinter der obligate Todesstreifen, sauber geharkt.

Als "Militärisches Sperrgebiet" war das Gelände jahrelang für DDR-Bürger tabu. Soldaten des Wachregiments Feliks Dzierzynski sicherten das Areal mit scharfer Waffe rund um die Uhr. Die Vorsicht war berechtigt und ist es immer noch. Auch nach der Wende besteht Geheimhaltungsbedarf. Denn das "Objekt Freienbrink" zählte zu den heikelsten und geheimsten Adressen im Reich von SED und Stasi. Hier verbarg sich das anrüchigste Warenlager des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) - Erich Mielkes Räuberhöhle.

Hier wurde gehortet und verschoben, was geflohene oder inhaftierte Bürger hatten zurücklassen müssen: Möbel und Hausrat, Familien- und Modeschmuck, Schuhe und Kleider, Radios, Bandgeräte, Plattenspieler, Fernseher.

Hier wusch eine Hand die andere: Aus dem Stasi-Fundus durfte sich jeder bedienen, der mit dem Chef der Abteilung konnte - Spitzen-Genossen aus Wandlitz sowieso, aber auch die Kollegen aus den anderen Abteilungen, sofern man sie als Verbündete und Mitwisser brauchte.

Hier drehte die Stasi, mitten im Wald, das dreisteste deutsch-deutsche Ding: Seit 1984 wurde jedes Paket der Bundespost, das irrtümlich irgendwo in der DDR landete, nicht zurückgeschickt, sondern nach Freienbrink geschafft und ausgeplündert - der größte staatlich organisierte Postraub aller Zeiten.“

Ein Ort staatlich organisierten Raubes passt nun wirklich nicht zur Tesla-Ansiedlung. Dieser Investor wird in Freienbrink bestimmt nicht vom Staat ausgeraubt, stattdessen wird dieser Staat die neue Ansiedlung sicher fördern. Wenn kein passender Genius Loci da ist, dann sollte man eben auch keinen zu suggerieren versuchen.

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Anders Dairie / 20.11.2019

Wurden bei Grünheide/Freienbrink auch die Inventare von DDR-Museen und Bibliotheken eingelagert, bevor sie StaSi-Oberst Schalck-Golodkowski in den Top-Auktionen gegen Devisen im Ausland verscherbelte?  Jede Menge Bilder der Holländer und Italiener, Skulpturen der Ägypter, Römer und Griechen und Bücher (Lutherbibeln) usw..  Die Kunstgüter standen im Volkseigentum.  Die monetäre Hinterlassenschaft war folglich an DDR-Bürger aufzuteilen, oder an die BRD zu übergeben—und nicht für den Fortbestand der untergetauchten StaSi zu verwenden. Die StaSi hat den gemeinen DDR-Bürger noch bis zum letzten Moment bestohlen.  Warum sind die Schätze nicht gegen die Androhung eines Partei-Verbotes der SED/PDS vom Staat eingefordert worden, um im Inland zu verbleiben?  Schalck soll > 30 Milliarden DEM auf Extra-Konten gehortet haben, die er sogar dem Zugriff der DDR-Oberen verwehrt hat.  Auch von der ehem. DDR-Staatsbank sind 324 Mio. DEM in Bar verschwunden, hier hatte die KPÖ mit einem Firmenkonstrukt Beihilfe geleistet.  Wer LINKE wählt ist nicht informiert, ahnungslos oder dumm geblieben.

W.Draeger / 20.11.2019

Warten wir doch erst einmal ab wie das E-Geschäft bei VW “brummen” wird, bevor mit Häme über Tesla hergezogen wird, was gern getan wird. Immerhin fuhr Tesla bereits elektrisch, weit bevor VW unter Druck geriet, ebenfalls Batterieautos zu liefern.  Was Grünheide betrifft, das Werk kommt nicht nach Grünheide, sondern an den Rand des Verwaltungsgebietes von Grünheide, an den Autobahnanschluß Freienbrink (A10), weit weg vom schönen Ort Grünheide, der mir noch vom Camping in der Jugendzeit am Möllensee ein Begriff ist und nur ganz am Rande eine Verbindung zu Havemann ins Gedächtnis ruft .  Jedenfalls sieht man zahlreiche Tesla in Österreich fahren, und man hat nicht den Eindruck unzufriedener Fahrer.

Adi Kiescher / 20.11.2019

Ich freue mich schon auf den Tag, an dem die Damen und Herren PolitikerInnen zwischen den Pressekonferenzen der erneuten Verschiebung der Eröffnung BER und der Bekanntgabe der Tesla-Pleite hin- und herschwirren, um ihre Unschuld an den jeweiligen Super-Gaus zu beteuern.

Helmut Driesel / 20.11.2019

  “Kleines Haus am See” und “oppositionell” wollen sich in meinem Kopf nicht so recht miteinander vertragen. Laut dem intimen Kenner Wolf Biermann war Havemann ein Kommunist dicksten Kalibers, wieso soll er nun auch noch genial gewesen sein? Wo werden denn seine Thesen heute gelehrt? In China? Klug waren in der DDR Leute, die sich mit dem Staat arrangieren konnten, auch wenn sie unter der Haut seine schlimmsten Feinde waren. Dazu gehörten viele Kirchenleute. Havemann war definitiv keiner davon. Er gehörte als Opfer des Nationalsozialismus einer besonders geschützten und versorgten Kaste an. Nun gibt es wahrscheinlich auch eine Genialität ohne Klugheit. Die kann man erkennen an dem, was nach dem Tode bleibt. Ein Haus am See. Keine Zitate? Sollen seine späten Freunde doch froh sein, dass keine Chemiefabrik dort entsteht, so eine Giftbude hätte man historisch korrekt nach ihm benennen können.

W.Mayer / 20.11.2019

Da werden dem Altmaier jetzt Tag und Nacht die Ohren klingeln. Erst Batteriestandort,  jetzt Brennstoffzelle und dann wieder retour?? Wenn er jetzt nochmal auf die Birne fällt, was kommt als nächstes? Tretautos? Hütet euch vor den Gezeichneten!!!

Heiko Engel / 20.11.2019

Um den staatlich durchsanktionierten Raub aktuellen Ausmaßes voll zu erfassen, reicht mir heute morgen mal wieder der Bericht in der Traumland - Presse über die Besteuerung deutscher Renten. Vermutlich auch, wie in der DDR, um sich den Staatsdiener, also denjenigen, die diesen Dreck hier vollwissend mittragen, gewogen zu halten. Da wird dann nicht Omas Westpaket geplündert, sondern der Systemträger wird über Gebühr finanziell versorgt. Ergebnis: DDR 2.0 Aber auch dieses wird dann irgendwann substantiiert zu diskutieren sein.

Wolfgang Häusler / 20.11.2019

Tesla geht nicht nach Brandenburg wegen der wunderschönen Natur. Musk liefert das richtige “Narrativ” für die klimabesoffenen Volksvertreter Brandenburgs, die vermutlich meistbietend den Zuschlag bekommen haben. “Stupid European Money”, mit dem Musks Kapitalvernichtungsmaschine weiter rollieren kann.

A. Nöhren / 20.11.2019

Welchen Unsinn Journalisten schreiben, um zu begründen, weshalb Elon Musk eine Fabrik in Brandenburg errichten will, hier zwei Beispiele: SPIEGELs manager magazin: wegen hochqualifizierter und erfahrener Fachkräfte aus dem Osten NZZ: Die Bauhaus-Geschichte hat Musk wohl dazu inspiriert.

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