Giorgia Meloni, ihre „Brüder Italiens“ und zwei inzwischen vergleichsweise kleine Parteien im Gefolge haben nun bekanntlich die Wahlen in Italien gewonnen. In der EU gibt es viele Verlierer, allen voran vielleicht Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Ob sie aus dieser Niederlage etwas lernen? Es sieht aktuell nicht danach aus.
Eigentlich kam nichts unerwartet beim Wahlsieg Giorgia Melonis. Das politische Wehklagen darüber in Berlin und Brüssel war ebenso erwartbar wie das Wahlergebnis selbst. Dennoch mutet es mitunter etwas kurios an, insbesondere wenn man sich daran erinnert, welche Rolle einige deutsche Parteien früher in der seinerzeit im Parteiensystem abgebildeten Breite des politischen Spektrums spielten. Gemessen daran ist es schon bemerkenswert, wie schnell heutzutage auch Vertreter der CSU verbal beim Faschismus ankommen. Alexander Dobrindt, Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag wird beispielsweise von bild.de mit der Erklärung zitiert: „Nachfolger von Postfaschisten können und dürfen nicht unser Partner sein.“ (Wären Nachfolger von Postfaschisten nicht Post-Postfaschisten?) Sein Parteifreund und Fraktionskollege Florian Hahn sekundierte: „Was für uns zentral ist, dass wir keine Partei unterstützen, die Postfaschisten oder Rechtsradikalen Mehrheiten verschafft.“ Und Parteichef Markus Söder gab vor: „Wir müssen eine Brandmauer nach rechts ziehen.“
Natürlich, denn es darf nicht falsch sein, was man bisher daheim gemacht hat. Die AfD wurde eben nicht durch gute Politik oder bessere Argumente im fairen politischen Streit entzaubert, sondern sie sollte durch möglichst konsequentes Ausgrenzen um ihre Wirkungsmacht gebracht werden. Begünstigt wurde damit vor allem die Radikalisierung. Das hat die Partei zwar für manche, die sich nirgends im Parteienangebot politisch wiederfinden, vorerst unwählbar erscheinen lassen, aber aus den Parlamenten konnte man sie auf diese Weise dennoch nicht drängen. Dass die AfD nun Frau Meloni feiert, ist für viele andere deutsche Partei-Akteure nur ein Motiv mehr dafür, diesen Wahlsieg als etwas anzuerkennen, was in einer funktionierenden Demokratie vorkommen darf und nun auch vorkommt.
Nur wenige fassen das Ergebnis so nüchtern zusammen wie Matthias Rüb in der FAZ:
„Alle Welt trauert Mario Draghi als italienischem Ministerpräsidenten nach. Ein Teil der Welt dämonisiert dessen mutmaßliche Amtsnachfolgerin Giorgia Meloni. Beides ist Unfug: Draghi war nicht der Messias, und Meloni ist nicht die Teufelin. Mit den Wahlen vom Sonntag ist Italien zur politischen Normalität zurückgekehrt. Es hat einen Rechtsruck gegeben, aber keine politische Erdbebenkatastrophe, welche die Demokratie in Italien erschüttern und die Zukunft Europas gefährden würde.“
Richtungsänderung als Angriff
Aber dass es in den Ländern, deren Regierungen nun schon lange Zeit immer mehr nach links oder besser in den Bereich einer grün schillernden und von politisch korrekten Scheuklappen eingeengten Weltsicht gerückt sind, irgendwann auch einmal in eine andere Richtung gehen könnte, empfinden Anhänger dieser Weltsicht als existenziellen Angriff. Immerhin waren sie gerade in Deutschland ideologisch dermaßen erfolgreich, dass ihnen bis auf die Schmuddelkinder in den Parlamenten all die Parteien großteils gefolgt sind, die früher eher links und sozialdemokratisch, eher konservativ oder bürgerlich liberal waren. Und auch etliche Grüne waren einst weitaus freieren Geistes als es heutzutage grün dekorierte Heilslehrer einer besseren Welt sind, in der sich dann sogar das Klima politisch steuern lässt.
Aber in Teilen der westlichen Welt, insbesondere in Kreisen, die sich gern als Eliten bezeichnen lassen, ist dieser Eintopf aus verschiedenen wohlklingenden Ideologiefragmenten als eine Art Leitlinie akzeptiert. Die einen haben erkannt, wie leicht sich vormundschaftliche Strukturen im Namen des Fortschritts etablieren lassen, und viele andere ziehen daraus in unterschiedlichster Weise ihren Profit, manche mehr pekuniär und manche mehr ideell. Skeptikern, die die Vereinbarkeit eines Lebens in Wohlstand und Freiheit mit zentralen Denkfiguren dieses Weltbildes – wie ungesteuerte Einwanderung in die Sozialsysteme, der Verzicht auf sichere Energieversorgung, auf verschiedene Industriezweige oder eine effektive Landwirtschaft – bezweifelten, wurde immer schneller und häufiger vorgeworfen, irgendwie „rechts“ und damit doch eigentlich mindestens rechtsradikal zu sein.
Nein, keine Angst, hier kommen jetzt keine verkürzten Diktaturvergleiche. Aber der verstärkte Trend zur Bevormundung des Bürgers hat einfach verheerende Folgen für Demokratie und Freiheit. Die Verengung des Diskurses in vielen Bereichen, in denen er in einer Demokratie unerlässlich ist, unter dem Vorwand, das würde den Falschen nützen, nutzt am Ende tatsächlich den Falschen.
Der Effekt der Drohung
EU- Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte bekanntlich vor der Wahl in Italien: „Wenn sich die Dinge in eine schwierige Richtung entwickeln – ich habe von Ungarn und Polen gesprochen –, dann verfügen wir über Instrumente.“ Was, wenn nicht der Versuch der Brüsseler Spitzenkraft, die Italiener mittels Drohung mit dem Entzug von EU-Geldern zu einem EU-genehmen Wahlverhalten zu drängen, konnte Meloni eigentlich besser helfen? Vielleicht stimmt es ja, dass sie die Bemerkung in ihrer Wirkung nicht richtig bedachte. Der Effekt bleibt der gleiche. In dem EU-kritischen Blog lostineu.eu heißt es:
„Von der Leyens Chefsprecher versuchte zwar, die umstrittene Bemerkung zu relativieren. ‚Es ist absolut klar, dass sich die Präsidentin nicht in die italienischen Wahlen eingemischt hat‘, sagte er. Doch das glaubt ihm keiner, nicht einmal der ehemalige Präsident des Europaparlaments.
Wenn man bedenkt, dass von der Leyen bei der letzten Europawahl gar nicht zur Wahl stand, jetzt aber über Wahlen in Mitgliedsländern urteilen will, ist das Mißtrauen eigentlich nicht erstaunlich.
Die CDU-Politikerin offenbart ein merkwürdiges Demokratie-Verständnis. Das muß man selbst dann festhalten, wenn man von den italienischen Kandidaten wenig hält…“
Das alles ist weder neu noch überraschend. Leider auch nicht, dass die jetzt so an Melonis Wahlsieg leidenden europäischen und deutschen Politiker nicht bereit zu sein scheinen, über die Wirksamkeit ihrer Art der Politik gegen rechts nachzudenken. Die schwedischen Parteien haben es versucht, die „Schwedendemokraten“ als unberührbare Rechte auszugrenzen und so kleinzuhalten. Sie wurden stärker und könnten eventuell mitregieren. Die „Brüder Italiens“ wurden unter der Führung von Schwester Meloni so stark, dass sie nun die Regierung anführen werden. Im Unterschied zur AfD haben sich beide nicht radikalisiert, sondern im Gegenteil erfolgreich den Kontakt zu breiteren Bevölkerungs- und damit Wählerschichten gesucht.
Doch gleich ist der steigende Frust der krisen- und abstiegsbedrohten Bürger über eine Politik, die sich um Klima- und Weltenrettung in Jahrzehnten kümmert, aber zum wirtschaftlichen Überleben des nächsten Winters auf mildes Wetter hoffen muss. Ähnlich ist der zunehmende Verdruss über die aufdringliche Verbreitung woker Weltbilder, die obrigkeitliche Verfremdung der eigenen Sprache und die vielen bevormundenden Regeln, mit denen sich die Regierenden in der Corona-Zeit als autoritäre Obrigkeit aufspielten.
Kein Verlass auf gemäßigte Wähler
Doch viele Regierende hierzulande und wahrscheinlich auch Ursula von der Leyen scheinen zu glauben, dass sich ihr Kurs mit noch mehr Abgrenzung und noch mehr guten Worten vor zunehmendem Wähler-Unwillen verteidigen lässt. Doch wenn sich – wie in Deutschland – die relevanten politischen Parteien weigern, mit tatsächlich unterschiedlichen politischen Angeboten in den Wettbewerb zu treten und sich Protestparteien als einzige Option anbieten, um seiner Regierung zu signalisieren, dass man ihren Kurs nicht mitträgt, dann werden sie auch von denen gewählt, die sich doch nur wieder rationale, pragmatische Politik wünschen, die sich an den ganz praktischen Interessen der Bürger ausrichtet. Dann könnten unter Umständen auch Parteien dramatisch zulegen, obwohl sie sich nicht deradikalisieren. Das ist dann eine Folge falscher Politik und nicht von zu wenig Ausgrenzung, wie die Protagonisten dieses Kurses in diesem Fall vielleicht behaupten werden.
Die Regierungsparteien der letzten Jahre haben bekanntlich eine Praxis etabliert, die einer Demokratie unwürdig ist, nämlich sich mit Steuergeld über den Umweg von Fördermitteln ein dichtes Netz an Vereinen, Verbänden und Organisationen zu finanzieren, die sich als „Nichtregierungsorganisationen“ und „Zivilgesellschaft“ letztlich an der Unterstützung zentraler Inhalte der Regierungspolitik beteiligen. Vielleicht sollten sie sich davon wenigstens verabschieden. Zum einen gaukelt man sich so selbst ein verzerrtes Bild der Bevölkerung vor, aber ein solches Instrumentarium, einmal etabliert, können dann auch andere unter anderen Vorzeichen nutzen.
All das hat mit Italien und seinem Wahlergebnis nur noch wenig zu tun. Doch jetzt nur darauf zu setzen, dass deutsche Wähler im Unterschied zu Italienern auch in einer existenziellen Krise mehrheitlich immer noch gemäßigt wählen, ist einigermaßen naiv. Italiens Wahlergebnis mag für diesbezügliche Aussagen argumentativ nur schwer heranzuziehen sein. Aber hier reicht ja auch die Erinnerung an das Ergebnis der letzten Thüringer Landtagswahl im Herbst des vergleichsweise harmlosen Jahres 2019. Alle Parteien der alten Bundesrepublik zusammen haben im dortigen Landtag keine Mehrheit. Eine Regierung konnte nur mit Links- oder Rechtspopulisten gebildet werden und die Parteien der Bundesrepublik haben sich bekanntlich nach Intervention der damaligen Bundeskanzlerin für die Linkspopulisten entschieden. Den Wählern hatten alle diese Parteien eine baldige Neuwahl versprochen, aber ihre Angst davor war bislang größer. Irgendwann lässt es nicht mehr vermeiden.