Peter Grimm / 12.01.2018 / 12:33 / Foto: Doenertier82 / 38 / Seite ausdrucken

Kein Ende mit Schrecken. Ein Schrecken ohne Ende

Es ist keine acht Wochen her, da twitterte der SPD-Vorsitzende Martin Schulz: „Wir stehen für den Eintritt in eine Große Koalition nicht zur Verfügung – diese Konstellation wurde abgewählt. Wir scheuen Neuwahlen nicht.“ Es sei dahingestellt, ob der Vorsitzende an seinen kraftmeierischen letzten Satz wirklich geglaubt hatte. Jetzt jedenfalls diktierte nur die Angst vor Neuwahlen das Papier, auf das sich die Verlierer der letzten Wahl als Grundlage für neue Koalitionsverhandlungen geeinigt haben.

Es wird also nun an einer Koalition der ängstlichen Abgewählten gebastelt. Die Punkte, auf die sie sich geeinigt haben, verdecken nicht einmal notdürftig, dass es ein „Weiter so wie bisher“-Programm ist. Nicht nur inhaltlich, auch personell schafft es die mutmaßlich künftige Regierung nicht einmal, den Anschein eines Neuanfangs, einer Veränderung zu erwecken.

Wenn eine vom Wähler drastisch abgestrafte Regierung so kaltschnäuzig ihr „weiter so“ beschließt, dann verhöhnt sie die Bürger in einer bis dato noch nicht gekannten Intensität. Was hier aus der Angst vor Neuwahlen geboren wird, muss bei den Akteuren die Angst vor den nächsten Wahlen nur noch steigern. Aber egal, jetzt gibt es noch einmal vier Jahre.

Und worauf hat man sich geeinigt? Es gibt ein bisschen Familiennachzug und eine wachsweiche Obergrenze für die Zuwanderung, die allein für die nächste Legislaturperiode mindestens ein Netto-Migranten-Plus von ungefähr einer Million Menschen garantiert. Ansonsten finden die rasant wachsenden Probleme mit bestimmten Zuwanderergruppen keine Erwähnung.

Dafür hat Martin Schulz zur Gesichtswahrung noch einen tollen sozialpolitischen Erfolg erzielt: Die paritätische Finanzierung der Krankenkassenbeiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern wird wieder eingeführt. Hier nur zur Erinnerung: Abgeschafft wurde sie 2005 von einer SPD-Regierung. Die Korrektur eines eigenen Beschlusses nun als gesichtswahrenden Verhandlungserfolg verkaufen zu wollen, ist wirklich lächerlich.

Zustimmung im Fördermittel-Soziotop

Die SPD, die ja immerhin über die Koalitionsverhandlungen abstimmen darf, müsste eine solch dürftige Grundlage eigentlich ablehnen. Aber wenn sich ein Parteitag, wie letztens, von Martin Schulz durch die Rede über die Vereinigten Staaten von Europa begeistern lässt, dann klappt es vielleicht auch mit dem Verhandlungsbeginn.

Später lässt sich vielleicht der eine oder andere Genosse zur Zustimmung überzeugen, weil die Beteiligung an einer Bundesregierung immerhin auch den Zugriff auf den einen oder anderen Posten und außerdem viele gut gefüllte Fördertöpfe ermöglicht. Das sind Argumente, die insbesondere in den fördermittelabhängigen Bereichen, in denen ja auch das eine oder andere SPD-Mitglied sein Auskommen findet, nicht ungehört bleiben.

Die Wahlverlierer marschieren also wieder in Richtung gemeinsamer Regierung. Die Angst vor einem erneuten Wählervotum schweißt sie zusammen. Nur was passiert dann 2021? Da muss man die Bürger ja wieder an die Wahlurne lassen, oder? Wie schön wäre es doch, heute einmal den nicht mehr in Gebrauch befindlichen Martin-Schulz-Satz zu hören „Wir scheuen Neuwahlen nicht.“.

Dieser Beitrag erschien auch hier auf sichtplatz.de

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Leserpost

netiquette:

Andreas Balmert / 12.01.2018

“Aber egal, jetzt gibt es noch einmal vier Jahre.” Stimmt nicht so ganz. Die innerhalb der kommenden Jahren anstehenden Landtagswahlen bieten bei Unzufriedenheit mit den politischen Verhältnissen durchaus Korrekturmöglichkeiten. Auch wenn der Einfluss auf die Bundesebene nur ein indirekter ist.

Elmar Schürscheid / 12.01.2018

Ohne Bewährung! Mehr gibt es nicht zu sagen.

Dietmar Schmidt / 12.01.2018

Lieber Herr Grimm, schade und die große Chance zur “Politikwende” wurde vertan. Meine Hoffnungen dazu ist nun der SPD-Parteitag der diesen “Schrecken” noch verhindern kann. Aber allzu hoffnungsfroh bin ich nicht. Leider. Gruß D. Schmidt

Rudolf George / 12.01.2018

Ich schätze, dass bei der AfD die Korken knallen, denn die immer dauerhaftere Verschmelzung der CDU und SPD zur CSPDU dürfte 20%+ im Bund für die “Rechtspopulisten” in greifbare Nähe bringen, ebenso wie 40%- für die neue Einheitspartei. Und indem Frau Merkel ihre eigene Alternativlosigkeit zelebriert, kann man noch mit einem AfD-Bonus von 5%+ rechnen. Die CSPDU baut der AfD damit eine Autobahn zur Volkspartei.

Bernd Matzkowski / 12.01.2018

Nur noch eine Frage ist zu klären, nämlich… Jetzt ist das Boulevardstück (oder doch eher Schmierenkomödie?) mit dem Titel „Sondierungen“ endlich beendet, das uns seit Tagen vorgeführt worden ist. Ein Stück, bei dem es von Anfang an darum ging, dem Volk zu zeigen, dass die Sondierer nahezu bis zur körperlichen und geistigen Selbstaufgabe in stundenlangem Ringen, das Wohl der Untertanen immer im Auge, um ein tragfähiges Ergebnis bemüht waren. Und dieses Ergebnis haben sie jetzt vorgestellt, auf fast 30, die Unterpunkte und Detailabsprachen zu allen möglichen Politikbereichen (Migration, Europa, Bildung etc.)enthalten, deren entscheidender Aspekt aber ganz zum Schluss kommt. Da geht es um die Arbeitsweise der GroKo und wir können lesen: 28 Arbeitsweise Wir wollen das Vertrauen in die Demokratie und in unsere staatlichen Institutionen stärken. Im Fall einer Koalitionsbildung werden wir durch unsere Arbeitsweise in der Regierung und zwischen den Fraktionen deutlich machen, dass wir uns als Bündnis der Demokratie für die Menschen in unserem Land verstehen. Und worin findet dieses „Bündnis der Demokratie“ seinen vornehmsten Ausdruck? Da heißt es: Im Bundestag und in allen von ihm beschickten Gremien stimmen die Koalitionsfraktionen einheitlich ab. Das gilt auch für Fragen, die nicht Gegenstand der vereinbarten Politik sind. Wechselnde Mehrheiten sind ausgeschlossen. (Ergebnis der Sondierungsgespräche von CDU,CSU und SPD, Finale Fassung vom 12.1.2018) Da schafft dieses „Bündnis der Demokratie“, eine Klingelingeling-Phrase, mal eben so im Vorbeigehen den Abgeordneten ab, der nur seinem Gewissen verpflichtet ist und geht sogar über den Fraktionszwang hinaus. Da ist im Grunde die Basis für eine Einheitspartei gelegt, in der abweichende Meinungen per Vertrag verboten sind, denn es heißt ganz imperativisch: „Wechselnde Mehrheiten sind ausgeschlossen.“ Was wohl so zu lesen ist, das Abweichler, Opponenten- kurz: Abgeordnete mit eigener Meinung auch ganz schnell ausgeschlossen werden können aus dieser Einheitspartei. Was fehlt, ist eigentlich nur noch der passende Name für diese Einheitspartei, in der CDU, CSU und SPD von heute an aufgehen.

W.R. Weichselgärtner / 12.01.2018

Lieber Herr Grimm, auch Sie machen den Fehler der meisten anderen: Ihre Kritik richtet sich an Politiker, an Menschen also, die sich der Polis verpflichtet fühlen und mit aller Kraft das Wohl der Polis befördern wollen. Diejenigen, die Sie ansprechen, denken aber nicht im Traum an die Polis. Sie denken nur an sich, sich, sich, ..... Leider wirkt da Kritik solcher Art gar nicht, sie wird noch nicht einmal wahrgenommen.

Heiko Stadler / 12.01.2018

Deutschland hat eine neue Staatsform: die Antidemokratie. Die abgewählten Parteien haben sich zu einer abgewählten Koalition vereinigt, die keiner haben will. Laut Focus-Online-Umfrage wollen 92% der Leser keine große Koalition mehr - und das, obwohl sie alternativlos ist!

Oliver Groh / 12.01.2018

Man sollte immer daran denken, dass für die Politik in Deutschland das deutsche Volk verantwortlich ist und nicht irgendein Martin. Die “Kleiko ” entspricht leider dem Wahlergebnis.

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