Von Helmuth Frauendorfer
Nun steht es wieder, das Marx-Relief, auf dem Campus der Leipziger Universität in der Jahn-Allee. Studenten gehen seit vorgestern täglich daran vorbei, unterwegs zur Mensa, „Guten Appetit“ raunt es nicht und ein Häppchen ist es auch nicht, denn es wiegt 33 Tonnen, grau, protzig, massiv, und hat eine unappetitliche Geschichte und eine umstrittene Gegenwart…
Die traditionsreiche Leipziger Universität wurde 1953 vom SED-Regime in „Karl-Marx-Universität“ umbenannt. Zu dieser Einrichtung gehörte auf dem Augustusplatz auch die Universitätskirche Sankt Pauli. Die war den Kommunisten ein Dorn im Auge. So ließen sie 1968 die intakte noch aus dem Mittelalter stammende Kirche einfach sprengen. Die Reste wurden auf einen Hügel vor die Stadt gebracht. Es gab Proteste und daraufhin Verhaftungen.
Sechs Jahre später, 1974 setzten die Machthaber ein gewaltiges Stück sozialistischen Realismus vor die Uni, 14 Meter lang, sechs Meter hoch, drei Meter tief, genannt: „Karl Marx und das revolutionäre, weltverändernde Wesen seiner Lehre” oder, kurz, „Aufbruch“. In diesem Kontext ein eindeutiges Symbol von Gewaltherrschaft.
Vor zwei Jahren begann die Umgestaltung des gesamten Uni-Geländes im Stadtzentrum, und so mußte das Marx-Relief abmontiert werden. Da entstand ein heftiger Streit. Bürgerrechtler wollten es definitiv aus dem Stadtbild verbannen, forderten, es einzulagern oder gar einzuschmelzen. Der Schriftsteller und ehemalige Bautzen-Häftling Erich Loest sprach sich dafür aus, den Koloß dahin zu bringen, wo die Reste der Paulinerkirche liegen, möge Gras drüber wachsen und mögen spätere Generationen damit anfangen, was sie wollten.
Doch der Universitätsrektor ließ sofort öffentlich verlautbaren, daß er nicht daran denke, dieses Werk zu zerstören. Seither bewegt sich die Uni in ihrer Argumentation zwischen Ideologie Ost und Opportunismus West. Karl Marx könne nicht verantwortlich gemacht werden für alle Verbrechen der Kommunisten.
Die Gegenseite argumentiert damit, daß aus dem Relief süffisant auch Lenin durchschimmert, und dem könne man die Verbrechen nachweisen. Auch erwarte man von einer Universität heute, liberal zu sein und Symbole des Totalitarismus nicht weiter zu pflegen. Eine Debatte, in der es einerseits um die Freiheit des Geistes geht und andererseits um sozialistisches Gedankengut, ja, Reminiszenzen einer Diktatur. Die Stadtverwaltung hinkte dem Streit hinterher, änderte immer wieder ihre Position, ein Lavieren.
Nun wird die sozialistische Monumentalskulptur für 300.000 Euro auf dem Campus wieder aufgebaut.
Erich Loest, eine moralische Instanz in dieser Stadt, ist enttäuscht. Der Rektor meint, dessen Meinung „kann kein Maßstab sein“. Für solche Aussagen erhält der Rektor Applaus, vor allem vom Chef der Leipziger Linkspartei, einem Ex-Stasi-Spitzel. Den hat Loest in sein neuestes Theaterstück mit eingearbeitet, unschwer zu erkennen. Doch das ist Literatur.
Gesendet am 16.8.2008 auf SWR 2 Journal