Georg Keckl
Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hat die FAO ihre Berechnungsmethode zur Abschätzung der Zahl der Hungernden sehr stark verändert.Die bisherige Methode wichtete manche Agrarpreise zu stark. Die Armen essen vielfach Eigenproduziertes, z.B. Reis, Maniok, Produkte ihrer Tiere, was statistisch schwer zu messen ist. Mit dem Anstieg der Agrarpreise ab 2008 ging der FAO deshalb die Zahl der Hungernden durch die Decke, ohne dass konkret davon was zu merken war, in keiner Klinik, in keiner Gewichtsmessung, sei es für Kinder oder Erwachsene, so auftauchte, wie dies nach FAO-Zahlen hätte sein müssen. Nun wurde offensichtlich, dass die Berechnungsmethode korrigiert werden mußte.
Der vermeintliche Anstieg der Zahl der Hungernden wurde insbesondere als Argument gegen die Bioenergie verwendet. Die Methode stand schon lange in der Kritik (z.B. 2001: „Undernutrition Overestimated“ von Prof. Peter Svedberg, Uni Stockholm). Es traut sich fast keiner zu sagen, die Zahl der Hungernden wird überschätzt, das ist so was wie „politisch nicht korrekt“. Während noch in den 60er Jahren Bilder von riesigen Hungerkatastrophen fast jährlich durch die Presse gingen (z.B. aus Indien, aus dem Sahel, aus Biafra), ist dies heute nicht mehr der Fall. Der Hunger als Zahl der Hungertoten hat sich eindeutig reduziert! Es weiß aber niemand auch nur annähernd gewiss, wieviele Menschen länger hungern, gehungert haben. Dass die FAO-Hungerzahl nur ein Hilfskonstrukt ist, wissen viele nicht. Das schützt die Zahl nicht vor Missbrauch für andere Ziele. Dass heute – so ist die Annahme - ungefähr 6 von 7 Milliarden Menschen gut satt werden, ist ein großer Erfolg der Menschheit gegenüber 1960, wo nur 2 von 3 Milliarden Menschen satt wurden. Dieser riesige Erfolg wird von Besserwissern nach der Methode schlechtgeredet: Es hungert immer noch eine Milliarde Menschen, es ist nichts besser geworden seit 1960, hättet ihr das so gemacht wie wir immer wollten, wäre jetzt alles viel besser und es wird alles noch viel schlimmer, wenn ihr nicht gleicht tut, was wir für klug halten.
Die FAO hat versäumt, bei der Zahlenrevision die Öffentlichkeit über den Charakter der Zahl aufzuklären. Sie hat das eher als „zusätzliche neue Erkenntnisse eingeflossen“ versteckt, hätte klar sagen müssen, was bis 2012 falsch war, warum ihnen die Zahl der Hungernden ab 2008 so explodiert ist, dass der Trend jetzt völlig anders aussieht, wie schwach die Verteilung des Hungers nach Gruppen immer noch abgesichert ist und dass diese Zahl halt schon von der Methode her immer einen riesigen Definitionsbereich hat. Bei der Aufmerksamkeit und dem Glauben an diese Zahl wäre das wichtig gewesen. Nun werfen der FAO manche vor, dass sie die Zahl schönrechnet, um das UN-Millenniumsziel (Hunger halbieren) zu erreichen. Dabei hat das Millenniumsziel sowieso den Charakter einer planwirtschaftlichen Buchführung, wir machen ein Planziel und haben mehr oder weniger keine Ahnung, wie es zu erfüllen ist und auch die Erfolgskontrollmethode („Controling“) ist extrem wackelig. Wasch mir den Pelz aber mach mich nicht nass wird zur allgemeinen Geisteshaltung. Forderungen aufstellen wird zur neuen Ablasswährung wenn einem das Gewissen plagt, es gehe einem auch unmoralisch gut.
Auch bei der neuen Methode der Hungerzahlberechnung kann man nur sagen, unter den angenommenen Zusammenhängen würde sich die daraus angenommene Zahl der Hungernden so entwickeln. Sie wird schon praxisfreundlicher geworden sein, nehme ich an. Dass es auch in der entwickelten Welt 16 Mio. Hungernde geben soll, zeigt aber wieder den kraftmeierischen Quatsch, den der FAO-Generaldirektor erzählt: „Für uns als FAO ist die einzig akzeptable Zahl Null.“. Mit Moralapellen oder Planzielen lässt sich die „Zahl“ der Hungernden praktisch nicht vermindern. Der meiner Meinung nach wichtigste Grund für den Hunger auf der Welt, den Unwillen vieler Wohlmeinender wirksame Agrarreformen durchzuführen, erkennt die FAO nicht. Ohne gesichertes Privateigentum der Bauern, ohne Kataster, ohne sichere Wege, ohne ländliche Handels- und Bankgeschäfte, Landbauschulen, gibt es zu wenig Motivation, auf Stammes- oder Gemeindeland mehr anzubauen, hat keine Bank eine Sicherheit. Es investiert doch niemand in Bodenverbesserungen, wenn der Grund allen gehört oder der Besitz unsicher, unbeleihbar ist. Die Produktionsexplosion nach der Verkoppelung der deutschen Agrarflächen im 19. Jahrhundert, als der Grundstein für eine bäuerliche Privatbesitz- Landwirtschaft gelegt wurde, haben viele nicht mehr in ihrem Erfahrungsschatz. Die Produktionssteigerung der Landwirtschaft paßte mit der der Industrie zusammen, die ständig überschüssig werdende Arbeitskräfte aus der effektiveren Landwirtschaft aufnahmen und insgesamt immer mehr Geld für die Volksbildung aufgebracht werden konnte. Alles sich vielfältig gegenseitig verstärkende Effekte.
Mit gemeinschaftlichen Eigentumsformen die Ernährung bei dem Menschenzuwachs zu sichern, ist und war immer ein Plan von Verwirrten mit dem Effekt der Menschenreduzierung wo er umgesetzt wurde oder beibehalten wird. Auch das UN-Jahr der bäuerlichen Familienbetriebe geht an dem Kernproblem in vielen Regionen vorbei, den mangelnden Eigentumsformen und Agrarstrukturen. Wenn man Australien in ein Stammeseigentumsland für einzelne Nomaden mit Viehherden oder ackerbaulichen Dorfgemeinschaftsflächen verwandeln würde, wäre das Land als Nahrungsmittelproduzent weg.
Der Autor ist Agrarstatistiker.