Jesko Matthes / 08.03.2019 / 16:00 / 11 / Seite ausdrucken

Katzen sind wie Kanzlerinnen

Tiere dürfen bei mir alles. Wohlgemerkt bin ich ein bereits leidlich alter, kinderloser weißer Mann. Mithin gehöre ich zum Gefährlichsten, was Deutschland derzeit zu bieten hat und trete hiermit den Beweis dafür an. Dabei begann alles so harmlos. Ungefähr am Ende der Midlife-Crisis fühlte ich mich wie am Anfang der Pubertät. Meine Idole waren tot oder starben. Beispielsweise meine Eltern. Also hängte ich ihre Fotos an die Wand, so wie früher Luther, Adenauer und Chef Guevara. Ich hatte schon immer einen etwas seltsamen Geschmack. Die Phase mit der zu jungen Freundin und dem zu dicken Auto, einem Cheryl Blazer K5 Silberader – beide waren laut, wenn ich Gas gab, und fühlten sich gut an wie beim ersten Mal, und ich bin ihnen dankbar, obwohl ich sie verkauft habe oder sie mich – war auch schon zu Ende. Ich zweifelte an mir. Ich zweifelte an allem, selbst an Angela Merkel. Also beschloss ich zu heiraten.

Auch das half nur begrenzt. An den meisten Dingen zweifle ich noch immer, außer natürlich an Tina, meiner Frau. Obwohl die späte Ehe kinderlos blieb. Immerhin stießen auch zu mir dadurch eine unverhofft große Familie, ferner ein gebrauchter Hund und eine neue Katze. Seither habe ich meine Karriere als Koch und als Butler deutlich beschleunigen dürfen. Hundchen, ein rührender Jack-Russell-Terrier, ist schwarzweiß wie meine Gesinnung, ein alternder, lendenlahmer Herr von annähernd siebzehn Jahren, der Friedrich dem Großen in seinen Gesichtszügen als Alter Fritz immer ähnlicher wird. Weil er – also der Hund, nicht der Alte Fritz – sich in seinem Sessel gern auf Haufen von Kissen bettet, nennen wir ihn schon lange den König. Seine gottseidank wenigen braunen Flecken, denn er war einst ein Trikolor, haben längst einem mittleren Grau weichen müssen, das dem meiner Schläfen verblüffend ähnelt. So wie ich langsam die Kontrolle über meine politischen Ansichten verlor, so büßte Linus jene über seine Ausscheidungen ein, und nun – auch darin mir ähnlich – bewegt er sich zuerst lange im Kreis, wenn es ihn drückt, wozu auch immer. Also ist auch die Reinigung der Wohnung eine neue Aufgabe für seinen getreuen Diener, der nachts an seiner Seite schläft, stets halb wach und in Bereitschaft, auf jeder seiner Zuckungen den Dienst behände wieder aufzunehmen. Auch darin, an der Wand hängen schon eine ganze Zeit lang Stiche von Chodowiecki, ähnelt meine Wohnung immer mehr dem Schlosse Sanssouci im Jahre 1786. Lang lebe der König!

Unsäglich, auch die Katze ist schwarzweiß. Sie heißt Mimí nach der tragischen Gestalt einer französischen Oper, hat ihren Accent aber schon lange eingebüßt und lässt sich also rufen wie eine Wiener Putzmacherin, ist anhänglich wie ein Hund, und wenn sie isst, dann darf man sie ungestraft am Schwanz anheben mitsamt der Hinterhand. Sie ist die liebste Katze der Welt. Das weiß auch die gesamte Nachbarschaft, in deren Ehebetten sie zuweilen nächtigt, wenn es bei uns zuhause mal wieder zu konservativ zugeht.

„Jetzt ist es nur noch die Beißhemmung“

Apropos konservativ: Unlängst kam meine Schwiegermutter ins Seniorenheim. Dies stellte das gemischte Säugetierrudel aus zwei degenerierten Primaten und zwei degenerierten Raubtieren vor gänzlich neue Aufgaben, denn auch Schwiegermutter hat eine Katze, die allerdings im Seniorenheim nicht willkommen ist. Inzwischen weiß auch ich, warum. Zunächst war das häusliche Kennenlernen von allseitigem Knurren gekennzeichnet. Mir war unklar, in welch wohlklingendem Bass Katzen knurren können. Von meinem Hund wusste ich das schon länger, denn früher ärgerte ich ihn gern, und zum Schluss begann er vor lauter Knurren zu husten. „Jetzt ist es nur noch die Beißhemmung“, sagte B., die Hundezüchterin und Freundin meiner Frau. Es hinderte uns, Linus und mich, nicht an der gemeinsamen Übernachtung. Männerfreundschaft. Doch nun läuft es anders. Während der Hund sich altersweise von jeglicher Gesellschaft zurückzieht wie weiland der Preußenkönig, pflegen die Katzen eine Distanz von ca. siebzig Zentimetern, begleitet von intensivem Jaulen und Fauchen.

Minki, unser neues Familienmitglied, hält viel auf ihre adlige Abkunft aus Albion und verhält sich auch so. Sie ist eine „Britisch Kurzhaar“ in drei Farben, dunkelbraun, hellbraun und beige. Sie verleitet mich zu sexistischen Betrachtungen. Beispielsweise hat sie auf der Hinterhand entsetzliche X-Beine und geht wie ein Mädchen ähnlichen Körperbaus zu seinem ersten Date. Außerdem ist Minki bis auf die Eckzähne völlig zahnlos, denn sie litt unter chronischer Faucitis, jener Entzündung des Schlunds, die auch mich nach Reden Angela Merkels oder Frank-Walter Steinmeiers befällt. Die Arme. Sie muss entsetzliche Zahnschmerzen gehabt haben, bis man ihr nicht nur den einen Zahn zog, für immer. Ich wusste damals noch nicht, wie man Zahnschmerzen schätzen lernt.

In vieler Hinsicht erinnert mich Minki an Zarah Leander, Greta Garbo oder Marlene Dietrich. Und an Julia, meine letzte Freundin vor der Ehe. Verführerisch schön, zuweilen schmusig, dabei von lasziver Erotik, also mordsgefährlich und völlig unberechenbar. Es kann sein, dass sie beschließt, gestreichelt werden zu wollen, und es plötzlich, an guten Tagen, mit einem Laut namens „Ääk!“ quittiert, der anzeigt, nun sei es aber genug, abgesehen von jenen Tagen, an denen ich gleich eine gezogen bekomme. Auch das hindert Minki nicht, anschließend an meinem Fußende zu schlafen, als Deckenbeschwerer. Kann es sein, dass ich mir von den Muschis, die ich gewählt habe, zu viel gefallen lasse?

Die Gefährlichen faszinieren mich

Aber auch da ist es wie mit der Politik. Ich halte es also wie John Malkovich in „Gefährliche Liebschaften“: Dagegen bin ich machtlos – maliziös lächelnd und stets das katastrophale Ende einkalkulierend. Es kommt unweigerlich. Nachts um halb vier weckt mich das sogenannte „Pumpen“, der Milchtritt. Minki fordert Zärtlichkeiten ein, bis mich nach geschlagenen zwanzig Minuten intensiven Katzenkörperkontakts ein plötzliches „Ääk!“ deutlich vor weiteren Sympathiebekundungen warnt. Dann schlafe ich wieder ein. Und wenn ich schreibe, dann latscht immer irgendeine Katze über die Tastatur. Das sind gar keine Tippfehler!

Ich muss gestehen, und auch das ist kein Tippfehler: Katzen sind wie Kanzlerinnen. Alle gefährlichen Frauen faszinieren mich. Aber eins habe ich gelernt: Ich streichle nicht mehr jede.

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klaus blankenhagel / 08.03.2019

Einfach koestlich, Herr Matthes. nice day..

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