Spät kommt sie, die Einsicht der Wirtschaft: unverhofft, unfassbar, unerhört für die Politik. Die Kanzlerin rang vergebens um Fassung. Wie der Blitz aus heiterem Himmel traf es sie Anfang der Woche auf dem Tag der Deutschen Industrie in Berlin. Als Ehrengast in der ersten Reihe musste sie sich die Leviten lesen lassen. BDI-Präsident Dieter Kempf mochte aus seinem Herzen keine Mördergrube mehr machen. „Die Regierungspolitik“, zog er vom Leder, „schadet den Unternehmen“.
Die Koalition habe „einen großen Teil des in sie gesetzten Vertrauens verspielt“. Ohne einen „klaren wirtschaftspolitischen Kurs“ vertue sie die Zeit mit dem „mutlosen Abarbeiten kleinteiliger Sozialpolitik“. Die Wähler würden sich abwenden, weil sie „das Feilschen wie auf dem Basar“ durchschauen, während „das fehlende Management der Energiewende deutsche Unternehmen aus dem Land zu vertreiben“ drohe: eine Steuerlast höher als in den meisten EU-Ländern, nicht zu reden vom weltweiten Vergleich, und dazu „die höchsten Energiekosten Europas“.
Als der Boss der Bosse dann auch noch resümierte, „die wirtschaftliche Lage wird zunehmend zum Risiko“, platzte Merkel der Kragen. So genau wollte es die Allwissende nun wirklich nicht wissen. Beleidigte Leberwurst durch und durch, keilte sie zurück. Da man „offenbar den Tag der offenen Aussprache“ habe, solle doch nicht vergessen werden, welche Zeit sie „damit verbracht habe“, sich „mit dem Vertrauensverlust der deutschen Automobilindustrie auseinanderzusetzen und den Regelverletzungen“.
Undank ist der Welten Lohn
Wo sie recht hat, hat sogar die Frau Bundeskanzlerin recht. Nur, Undank ist nun mal der Welt Lohn, erstens. Zweitens aber und vor allem, wer hat sie, halten zu Gnaden, aufgefordert, sich bei diesem wie in anderen Fällen in die Belange der Wirtschaft einzumischen? Oder wollte sie einfach medienwirksam mitmischen, wie der „Schraubenkönig“ Reinhold Würth vermutete, als er dieser Tage sagte, „Macht zu erhalten“, sei ihr oft wichtiger gewesen, „als Fortschritte in der Politik zu erzielen“.
Glaubte sie, mehr vom Geschäft zu verstehen als die Unternehmer? Wollte sie in die Fußstapfen von Gerhard Schröder treten, der sich seinerzeit als Retter der Holzmann AG aufspielte, bis der Konzern 2002 endgültig über die Wupper ging? Welche wirtschaftlichen Erfolge gehen auf ihr Konto, auf das der Politik überhaupt? War es nicht ihr einstiger Finanzminister Peer Steinbrück, der die Finanzkrise, als deren Krisenmanagerin sie gemeinsam mit ihm 2008 vor die Kameras trat, war er es nicht, der das Debakel befeuerte, indem er den Handel mit dubiosen Finanzprodukten freigab?
Die Probleme, durch die sich die Politik ermächtigt glaubt, die Wirtschaft an die Leine zu nehmen, hat sie bisher noch immer selbst geschaffen, mit ideologischem Eifer sowie mit dilettantischer Selbstüberschätzung. Der grün-rot-schwarz angezettelte Glaubenskrieg gegen den Diesel verschlingt Milliarden, die, hätten sie die Hersteller in eine Weiterentwicklung der Technologie investieren können, zu einer wesentlich besseren Klimabilanz beitragen würden als die Produktion untauglicher E-Autos. Populistischer Schwindel ist seit jeher die politische Basis dirigistischer Wirtschaftspolitik, nicht besser als der Abgasbetrug der Industrie.
Die Bosse bei Hofe
Wer aber im Glashaus sitzt, sollte sich bekanntlich hüten, mit Steinen zu werfen, was freilich ebenso für die Wirtschaft gilt. Dass sich der BDI-Präsident jetzt ermannte, der Kanzlerin die Meinung zu geigen, ändert nichts daran, dass es Manager und Unternehmer lange, zu lange an der gebotenen Distanz haben fehlen lassen. Katzbuckelnd machten sie über Jahre hin im Kanzleramt ihre Aufwartung.
2009 ließ sich Josef Ackermann, damals noch Vorstandssprecher der Deutschen Bank, dort sogar eine Feier zu seinem 60. Geburtstag ausrichten. Der VW-Chef Martin Winterkorn drängte sich bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit an Merkels Seite. Die Kanzlerin und Joe Kaeser, Herr im Hause Siemens, galten als ein „eingespieltes Team“. Lieber als dass sie Kritik übten, antichambrierten die Bosse bei Hofe.
Das Gefühl, mit der Macht auf Du und Du zu stehen, schmeichelte den Unterwürfigen. Für die Aussicht auf staatliche Beihilfen krochen sie zu Kreuze, schluckten runter, was ihnen wirtschaftlich gegen den Strich ging. Wenn die einstigen Duckmäuser jetzt auf den Tisch hauen, weil sie plötzlich feststellen, die Freiheit der Unternehmer könne in Merkel-Land gefährdet sein, ist das einerseits erfreulich.
Anderseits fragt man sich schon, wie ernst es angesichts der langjährigen Kumpanei zwischen Wirtschaft und Politik zu nehmen ist. Katzbucklers Erwachen beim Tag der Deutschen Industrie mag Hoffnung wecken auf einen Befreiungsschlag der Wirtschaft. Ob es soweit kommt, bleibt abzuwarten.