Thomas Rietzschel / 08.06.2019 / 12:00 / Foto: Fabian Nicolay / 54 / Seite ausdrucken

Katzbucklers Erwachen

Spät kommt sie, die Einsicht der Wirtschaft: unverhofft, unfassbar, unerhört für die Politik. Die Kanzlerin rang vergebens um Fassung. Wie der Blitz aus heiterem Himmel traf es sie Anfang der Woche auf dem Tag der Deutschen Industrie in Berlin. Als Ehrengast in der ersten Reihe musste sie sich die Leviten lesen lassen. BDI-Präsident Dieter Kempf mochte aus seinem Herzen keine Mördergrube mehr machen. „Die Regierungspolitik“, zog er vom Leder, „schadet den Unternehmen“. 

Die Koalition habe „einen großen Teil des in sie gesetzten Vertrauens verspielt“. Ohne einen „klaren wirtschaftspolitischen Kurs“ vertue sie die Zeit mit dem „mutlosen Abarbeiten kleinteiliger Sozialpolitik“. Die Wähler würden sich abwenden, weil sie „das Feilschen wie auf dem Basar“ durchschauen, während „das fehlende Management der Energiewende deutsche Unternehmen aus dem Land zu vertreiben“ drohe: eine Steuerlast höher als in den meisten EU-Ländern, nicht zu reden vom weltweiten Vergleich, und dazu „die höchsten Energiekosten Europas“. 

Als der Boss der Bosse dann auch noch resümierte, „die wirtschaftliche Lage wird zunehmend zum Risiko“, platzte Merkel der Kragen. So genau wollte es die Allwissende nun wirklich nicht wissen. Beleidigte Leberwurst durch und durch, keilte sie zurück. Da man „offenbar den Tag der offenen Aussprache“ habe, solle doch nicht vergessen werden, welche Zeit sie „damit verbracht habe“, sich „mit dem Vertrauensverlust der deutschen Automobilindustrie auseinanderzusetzen und den Regelverletzungen“. 

Undank ist der Welten Lohn

Wo sie recht hat, hat sogar die Frau Bundeskanzlerin recht. Nur, Undank ist nun mal der Welt Lohn, erstens. Zweitens aber und vor allem, wer hat sie, halten zu Gnaden, aufgefordert, sich bei diesem wie in anderen Fällen in die Belange der Wirtschaft einzumischen? Oder wollte sie einfach medienwirksam mitmischen, wie der „Schraubenkönig“ Reinhold Würth vermutete, als er dieser Tage sagte, „Macht zu erhalten“, sei ihr oft wichtiger gewesen, „als Fortschritte in der Politik zu erzielen“. 

Glaubte sie, mehr vom Geschäft zu verstehen als die Unternehmer? Wollte sie in die Fußstapfen von Gerhard Schröder treten, der sich seinerzeit als Retter der Holzmann AG aufspielte, bis der Konzern 2002 endgültig über die Wupper ging? Welche wirtschaftlichen Erfolge gehen auf ihr Konto, auf das der Politik überhaupt? War es nicht ihr einstiger Finanzminister Peer Steinbrück, der die Finanzkrise, als deren Krisenmanagerin sie gemeinsam mit ihm 2008 vor die Kameras trat, war er es nicht, der das Debakel befeuerte, indem er den Handel mit dubiosen Finanzprodukten freigab?   

Die Probleme, durch die sich die Politik ermächtigt glaubt, die Wirtschaft an die Leine zu nehmen, hat sie bisher noch immer selbst geschaffen, mit ideologischem Eifer sowie mit dilettantischer Selbstüberschätzung. Der grün-rot-schwarz angezettelte Glaubenskrieg gegen den Diesel verschlingt Milliarden, die, hätten sie die Hersteller in eine Weiterentwicklung der Technologie investieren können, zu einer wesentlich besseren Klimabilanz beitragen würden als die Produktion untauglicher E-Autos. Populistischer Schwindel ist seit jeher die politische Basis dirigistischer Wirtschaftspolitik, nicht besser als der Abgasbetrug der Industrie. 

Die Bosse bei Hofe

Wer aber im Glashaus sitzt, sollte sich bekanntlich hüten, mit Steinen zu werfen, was freilich ebenso für die Wirtschaft gilt. Dass sich der BDI-Präsident jetzt ermannte, der Kanzlerin die Meinung zu geigen, ändert nichts daran, dass es Manager und Unternehmer lange, zu lange an der gebotenen Distanz haben fehlen lassen. Katzbuckelnd machten sie über Jahre hin im Kanzleramt ihre Aufwartung. 

2009 ließ sich Josef Ackermann, damals noch Vorstandssprecher der Deutschen Bank, dort sogar eine Feier zu seinem 60. Geburtstag ausrichten. Der VW-Chef Martin Winterkorn drängte sich bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit an Merkels Seite. Die Kanzlerin und Joe Kaeser, Herr im Hause Siemens, galten als ein „eingespieltes Team“. Lieber als dass sie Kritik übten, antichambrierten die Bosse bei Hofe. 

Das Gefühl, mit der Macht auf Du und Du zu stehen, schmeichelte den Unterwürfigen. Für die Aussicht auf staatliche Beihilfen krochen sie zu Kreuze, schluckten runter, was ihnen wirtschaftlich gegen den Strich ging. Wenn die einstigen Duckmäuser jetzt auf den Tisch hauen, weil sie plötzlich feststellen, die Freiheit der Unternehmer könne in Merkel-Land gefährdet sein, ist das einerseits erfreulich.

Anderseits fragt man sich schon, wie ernst es angesichts der langjährigen Kumpanei zwischen Wirtschaft und Politik zu nehmen ist. Katzbucklers Erwachen beim Tag der Deutschen Industrie mag Hoffnung wecken auf einen Befreiungsschlag der Wirtschaft. Ob es soweit kommt, bleibt abzuwarten. 

Foto: Fabian Nicolay

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Arnauld de Turdupil / 08.06.2019

Einigen schlaftrunkenen Chefsesselp**sern ist inzwischen auch schmerzhaft bewusst geworden, durch Merkels chronischen Drehschwindel in ver-Greta-spergerte und Nichtsmitislamoderso-dotierte, freudlose Zeiten bugsiert worden zu sein. Doch abseits jeden Realitätssinnes frottieren sich noch immer “getreue” Claqueure und Gret(a)ins am synthetischen Ersatzwalküren-Surrogat aus der Buntkanzlei (geschaffen aus schlechter Luft und marxistisch-leninistischem Hartkasnerschaum des VEB “Erich: Hit & Ruin”). Die Kanzlerinne, längst jenseits der Rezyklierbarkeit abtropfend, wird gefeiert statt gefeuert? Die heute noch führenden Herrschaft*innen werden sich bald verdrücken und überlassen die verbleibenden Einheimischen dem überschüssigen Verdruss-Genuss der übernachhaltigen merkeloiden Effekte und v.a. den übergriffigen Effekthascher.

Karl-Heinz Vonderstein / 08.06.2019

In einer Talksendung vor kurzem sagte eine junge Frau von FridaysforFuture, sie könne nicht verstehen, warum die Bundesregierung so viel Rücksicht auf die Autoindustrie und überhaupt auf die Wirtschaft nehmen würde. Der Klimaschutz und die Bekämpfung des Klimawandels müsse doch Vorrecht und oberste Priorität haben, sagte sie. Ein anderer Gast meinte dazu, von der Wirtschaftsleistung hänge unsere Wettbewerbsfähigkeit auf den internationalen Märkten ab und sie mache unseren Wohlstand möglich und garantiere ihn. Darauf konnte sie dann nichts mehr sagen. Was mich an den jungen Menschen von FridaysforFuture und den jungen Youtubern von letztens besonders stört, ist deren Fortschrittsfeindlichkeit, zu der sie sich zwar nicht bekennen und die ihnen womöglich auch nicht bewusst ist, die aber zu einer fatalen Konsequenz führen wird, wenn sich deren Ziele alle verwirklichen würden. Das gleiche gilt natürlich für die Grünen und deren Wählerschaft und für die Wissenschaftler, die nur noch als Klimaalarmierer öffentlich auftreten und die die jungen Menschen entscheidend beeinflusst haben und sie darin bestärken, weiter daran fest zu glauben und weiter zu protestieren. Irgendwie erinnern mich die von FridaysforFuture ein wenig an die Hitlerjugend oder ist der Vergleich jetzt absurd und geschmacklos?

Dieter Galle / 08.06.2019

Unterirdischer Ansichten haben nichts mit geistiger Tiefe zu tun.

Andreas Bitz / 08.06.2019

Leichtfüßige Industrielenker, die sich nicht trauen aufzumucken, EEG, Dieselende, Kohleausstieg, Zuwanderung in die Sozialsysteme beklatschten und nun unterwürfig auch eine weitere Energiebesteuerung (CO2-Abgabe) mittragen, gerne an der Seite von Greta und der Grünen.

Peer Munk / 08.06.2019

@Johannes Ruckelshausen: Ganz meine Meinung. Das “Fehlende Management der Energiewende” zu beklagen klingt so, als sei diese Wende im Grunde gut und machbar. Dabei ist sie von vorne bis hinten absoluter Quark. Wagte Dieter Kempf nicht, dies auszusprechen? Will er nicht in den Verdacht geraten, der “Klimaschutz” sei ihm nicht so wichtig? Eine weitere Katzbuckelei…

M. Schraag / 08.06.2019

Mit welchen Regelverletzungen der deutschen Automobilindustrie musste sich Merkel auseinandersetzen?  Wenn eine Regierung betroffen war, dann war das die, in deren Teilbesitz die Volkswagen AG ist, nämlich Niedersachsen.  Und wenn ein Ministerium betroffen war, dann war das das Verkehrsministerium. Welchen Platz hat da Merkel? Was aber in Merkels Ägide als Umweltministerin geschah war ein verhunzter Grenzwert für NO2 durch die EU, was in ihrer Amtszeit als Kanzlerin geschah war eine EU-Verordnung für Diesel 5 und 6, die nie mit dem Zeitplan der Luftreinhalterichtlinie harmonisierte, und es war ihre Untätigkeit, als Cameron diesen Fehler durch eine Fristverlängerung kompensieren wollte. In dieser Zeit war Merkel entscheidend im EU-Ministerrat. Vertrauensverlust in die Automobilindustrie? In ihrer frühen Kanzlerschaft war die Fehlplanung schon bekannt, in ihrer Kanzlerschaft hat das Umweltbundesamt die deutsche Automobilindustrie bekniet, Euro 6 Diesel früher an den Markt zu bringen, also nicht weitere Jahre zu entwickeln. Die Automobilindustrie hat sich darauf eingelassen. Warum hat Merkel das nicht öffentlich gesagt?

sybille eden / 08.06.2019

Dem Herrn Kempf wird nach dem Applaus für die Staatsratsvorsitzende es wohl hoffentlich dämmern, daß er die selbe bittere Erfahrung machen wird wie seinerzeit Hans-Olaf Henkel ! Eine völlig reformunfähige , vom Untertanengeist des 19ten Jahrhunderts durchsetzte Unternehmerschaft fährt mit ihrer Grosskanzlerin das Land an die Wand. Henkel hat alle Massnahmen die heute erforderlich wären, um im Globalen Wettbewerb zu bestehen, schon vor rund 20 (!!!) Jahren immer und immer wieder angemahnt! Grosse Teile der Mitglieder des BDI haben alle seine Warnungen in den Wind geschlagen, und kriechen heute einer Ideologischen Politik in den Allerwertesten! Mann/Frau riecht ja förmlich den Angstschweiss dieser gesinnungslosen und verantwortungslosen Leute ! Wie ist es nur möglich das so mächtige Leute vor einer biedermeierlichen DDR-Tussi katzbuckeln ?

U. Unger / 08.06.2019

Danke@ Dr. Gerhard Rachor. Das Kernproblem der Folgen in Kürze. Somewheres / Anywheres. BMW hat gerade in Mexiko eine große Fabrik aufgemacht! 6000 mexikanische Nationalgardisten werden jetzt eingesetzt, um Strafzölle zu verhindern! Wo werden wohl als erstes BMW Arbeitskräfte abgebaut, beim globalen Abschwung oder Krise? Die Krisensuppe ist angerührt, die Küchenchefin heißt Merkel. Schon beim Servieren, werden viele Hilfsköche selbst den Verzehr verweigern, falls es Ihnen gelingt. Danke auch 33 anderen Kommentatoren und schöne Pfingsten.

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