Roger Letsch / 08.06.2017 / 06:25 / Foto: Pink Sherbet / 19 / Seite ausdrucken

Katrin zieht das A-Wort

Wer die öffentlichen Aussagen evangelischer Geistlicher oder grüner Politiker beurteilen will – besonders, wenn sie sehr schrill klingen –, der muss sich natürlich zunächst einige wichtige Fragen stellen. Zuerst: hat er oder sie das wirklich so gesagt? Dann: war es ein Versehen, gar nicht so gemeint, anders geplant oder ist vielleicht jemand auf der Maus ausgerutscht? Außerdem: steckt der russische Geheimdienst dahinter? Und zu guter Letzt natürlich: war die Aussage gegen Trump gerichtet? Was natürlich jederzeit jede Schrillheit rechtfertigen würde.

Ich lese die „Neue Presse“, gehe die Liste in Hinblick auf einen Artikel über den „Christopher Street Day 2017“ in Hannover durch und stelle zum Schluss erleichtert fest: Trump war weit weg, als Katrin Göring-Eckardt (KGE) mit kecker Stoffgirlande um die Hüfte auf die Bühne trat, und dort – angetan mit den sichtbaren Zeichen der Wählergruppensolidarität – mutig aussprach: „Ohne Ehe für alle gehen die Grünen in keine einzige Koalition in der nächsten Legislaturperiode. Das verspreche ich euch.“ 

Der anschließende Jubel klang schon so, wie die Grünen es sich für 18:05 Uhr am Wahlabend der Bundestagswahl erträumen. Ehe für alle also. Wie alle wissen – und der Anlass legt es nahe –, geht es um die sogenannte „Homo-Ehe“. Das Wort ist aus der Mode, obwohl es eigentlich sehr genau das beschreibt, was gesetzlich geregelt werden soll. Nämlich, dass schwule und lesbische Paare heiraten dürfen. Mit allen rechtlichen Konsequenzen. Und ja, dafür bin ich auch. Kein Problem, wo darf ich unterschreiben?

Was mich jedoch stutzig macht, ist der Anbiederungsgleichschritt von Politik und Medien an die Zielgruppe. War der „Christopher Street Day“ einst ein Signal der Emanzipation einer ehemaligen gesellschaftlichen Randgruppe, wird er inzwischen als Plattform für politische Statements der seltsamen Art benutzt, wenn etwa Angestellte der Stadtverwaltung Hannover mit regenbogenfarbenen Schirmchen hinter einem Transparent mit der Aufschrift „Gay for one day“ herlaufen. In anderem Zusammenhang, der allerdings kaum weniger gaga ist, würde dies sicher als verwerflicher Akt „kultureller Aneignung“ gegeißelt werden.

Die schönsten politischen Büttenreden

In dieselbe Falle tappte schon im Januar der Chefredakteur der "WELT"-Gruppe, Ulf Poschardt, als er twitterte: „Wir müssen uns gegen Donald Trump wehren und besser, mutiger, fleißiger, innovativer, freier, offener, schwuler und multikultureller werden.“ Jede Minderheit „mitnehmen“, auch wenn es nur mit leeren Worten ist, die im Alltag keine Entsprechung finden. So gesehen müssen wir wohl auch brünetter, kurzsichtiger, schwatzhafter, tuberkulöser und islamischer werden, damit sich keiner ausgegrenzt fühlt. Doch Poschardt ist nicht schwul und auch die Stadtverwaltung Hannover ist es „in echt“ nicht mal für einen Tag. Und das ist weder gut noch schlecht so!

Die schönsten politischen Büttenreden lassen sich dort halten, wo das Publikum über eine einheitliche Eigenfrequenz verfügt, über die man es perfekt in Schwingung und Stimmung versetzen kann. Deshalb spricht man vor Bauern über Agrarsubventionen, vor jungen Müttern über Kindergartenplätze, vor Rentnern von Rentenerhöhung und vor Schwulen und Lesben eben über die „Ehe für alle“. Logisch, oder? Na ja, eigentlich nicht, weil ja auch alleinerziehende Lesben Probleme haben, einen Kindergartenplatz zu finden, auch ein schwuler Landwirt die Milchpreise beklagenswert finden wird und die Rentenlücke für einen bisexuellen Geringverdiener genauso verheerend sein wird wie für jeden anderen Geringverdiener auch. Mir kommt die Art der Ansprache, wie KGE sie in Hannover benutzt hat, extrem oberflächlich und verlogen vor, genau wie alle Migranten aus dem arabischen Raum von der Politik vor allem unter dem Aspekt „Muslime“ angesprochen werden. So als wäre das alles, was sie sein sollen und somit auch alles, was wir ihnen zwecks Integration zu ermöglichen haben.

Und dann wird es auch noch suggestiv, wenn Argumente „für“ mit einem alternativlosen „gegen“ verknüpft werden und man die hübsch selektierte Zielgruppe in toto auf den politischen Gegner hetzen kann. Frau Göring-Eckardt konnte denn auch der Versuchung nicht widerstehen, ihrem Publikum ihr Unverständnis darüber auszudrücken, dass es immer noch „so viele Konservative“ gibt: „Diese Leute sind nicht homophob, das sind einfach Arschlöcher“, waren ihre Worte, mit denen sie auch jene Konservativen Schwulen und Lesben beleidigte, die gegen die „Ehe für alle“ sind. Die gibts nämlich auch.

Nun, es gibt sehr viel zwischen Rhein und Spree, was man zu KGE’s Unverständnis rechnen darf. Dazu gehört mit Sicherheit die Frage, „wie diese Konservativen so ticken“. Einer dieser „Ticks“ ist zum Beispiel, dass viele Konservative so ihre Probleme mit der „Ehe für alle“ haben, aus deren Sicht oft sogar gewichtige Gründe dagegen vorbringen. Man muss diese Gründe nicht teilen. Man muss diese Menschen auch nicht überzeugen oder „ändern“. Man muss auch nicht „Gay for one day“ sein oder „schwuler werden“. Man muss es aber als Meinung tolerieren, beschimpfen muss man sie jedenfalls deshalb nicht. Und wenn es eines Tages ein Gesetz geben sollte, das die „Ehe für so gut wie alle und jeden“ regelt, müssten diese Konservativen es respektieren. Selbst dann, wenn sie, diese „Arschlöcher“, es immer noch ablehnen sollten.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.

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Leserpost

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Franck Royale / 08.06.2017

Zumal mir wirklich kein unpassenderer Ort einfällt, jemanden als “Arschloch” zu beschimpfen, als auf der Bühne am „Christopher Street Day“. Zeigt aber nur wieder, wie “kultursensibel” KGE ist, welche sich auch sicher sein kann, daß es keine “Koalition in der nächsten Legislaturperiode” geben wird.

P.Magnus / 08.06.2017

Wenn Katrin Göring-Eckardt (KGE) in Hannover auf dem „Christopher Street Day 2017“  die Bühne betritt und „so viele Konservative“ als “...das sind einfach Arschlöcher” eintütet, so bleibt MIR nur zu sagen, dass sie sich - pardon - vor Ihrem einschlägigen Publikum vermutlich als kompetente Praktikantin in Sachen “schwul” anbiedern wollte. Oder wie soll ich das mit den “...Arschlöchern” , ausgerechnet vor diesem Publikum, verstehen? Manchmal ist spontanes Politikergefasel schon peinlich - oder wie in diesem Fall: Slapstick in Reinkultur. Danke Frau Göring-Eckardt für diesen epochalen Brüller!

Martin Landvoigt / 08.06.2017

Toleranz ist eine großartige Sache, wenn sie meine Meinung schützt. Aber warum sollte sie andere Meinungen schützen? Das geht dann doch zu weit! Voltaire ist schon lange tot.

Alexander Rostert / 08.06.2017

“Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Gemeinschaft.” Weshalb ist dies so? Das Bundesverfassungsgericht hat es so zusammengefasst: Der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG ist die „auf Dauer angelegte, in der rechtlich vorgesehenen Form geschlossene, grundsätzlich unauflösliche Lebensgemeinschaft von Mann und Frau.“ Lediglich die monogame Beziehung verschiedengeschlechtlicher Paare fällt demnach in den Schutzbereich des Art. 6 GG, was aus der Funktion als Vorstufe der Familie folgt. Nur Ehen im klassischen Sinn sind nachhaltig geeignet, die Erhaltung der Gesellschaft zu leisten, indem sie miteinander Kinder zeugen und dauerhaft gemeinsam aufziehen (Patchwork gilt nicht, ein Kind hat das gesetzliche Recht, mit beiden leiblichen Eltern zu verkehren) , somit ist die eheliche Gemeinschaft von Mann und Frau gegenüber allen anderen Lebensentwürfen zu privilegieren und daher auch die Formulierung “besonderer Schutz”. Wer dieses Privileg beseitigen will, und sei es nur, indem er es allen anderen Partnerschaftsentwürfen ebenfalls einräumt, handelt also schlicht grundgesetzwidrig. Ich wäre drum ja gespannt auf die ersten Gesetzesvorlagen, doch zum Glück wird dies daran scheitern, dass die Grünen sich bezüglich der nächsten Legislaturperiode nicht den Kopf über eine Regierungsbildung zu zerbrechen brauchen.

Renate Brunner / 08.06.2017

Das ist vielleicht ein denkwürdiger Tag, großartig, ein Erkenntnisfortschritt der besonderen Art: Endlich, endlich, weiß ich, was ich von mir in Wirklichkeit halten soll und muss, ICH bin ein ARSCHLOCH, tausend Dank an Frau KGE. Wenn ich das nur schon früher gewusst hätte, wie oft hätte ich mich anders verhalten können und sollen, wie viele Lebenssituationen hätte ich anders “gemeistert”, wenn ich diese Selbsterkenntnis gehabt hätte, schade, um all die verpassten Gelegenheiten. Einen schönen Tag, vor allem für Frau KGE! 

Martin Krieger, Frankfurt am Main / 08.06.2017

„Dat ist mir ejal, solange er mich nit anpackt.“ Hat Adenauer über seinen vermeintlich schwulen Minister Heinrich von Brentano gesagt. Nun war Adenauer sicher einer der konservativsten Knochen, die es in diesem Land an exponierter Stelle gab. Ich bin wirklich froh, nicht in den 50ern zu leben… Aber die Aussage zeigt: er mag es nicht (und schon gar nicht genau wissen), aber er toleriert ohne großes Aufsehen. Leben und leben lassen. Wenn wir diese Einstellung eines greisen Rheinländers zumindest in ganz (Ost)Europa, wir reden ja noch gar nicht von der arabischen Welt, erreichen würden, wäre für Schwule und Lesben (dort) schon sehr viel erreicht. Wer permanent dazu drängt, das auch noch “gut” finden zu müssen -und wenn es nur so wahr genommen wird-, schadet der Sache der Schwulen und Lesben. Gut gemeint ist eben nicht gut gemacht. Und wenn ich auch den Grünen definitiv nicht nahe stehe: die Forderung nach einer rechtlichen Gleichstellung homosexueller Paare unterstütze ich, aber zum Glück gibt es ja noch andere Parteien die das klar vertreten und hoffentlich wieder in den Bundestag einziehen ;-) Super Artikel, Danke!

Wilfried Cremer / 08.06.2017

Dazu fällt mir nur die Kinder-Weisheit ein: “Was man sagt, ist man selber.” Ätsch!

Andreas Wehrmann / 08.06.2017

Ehe für alle inkludiert u.a. auch die Kinderehe, die Vielehe von Muslimen und Muslim*Innen, die Heirat von Objektophilisten und der Sache ihrer Liebe, ihrem Motorrad z.B., fiele auch darunter, Fische heiraten Fische, Gorillas im Zoo ihren Harem, was immer man sich vorstellen mag. Merken diese Leute eigentlich gar nicht mehr, wieviel Unsinn sie schwätzen? Bleiben wir doch einfach beim zielführenden Begriff “Homoehe”.

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