Fabian Nicolay / 01.01.2022 / 06:00 / Foto: Evelyn De Morgan / 66 / Seite ausdrucken

Kassandra, eine Ehrenrettung

Manchmal kommen wir uns bei Achgut ein bisschen vor wie Kassandra aus der trojanischen Sage. Aber annähernd so schlimm wie im Mythos ist es dann doch nicht – wir sind eben keine tragischen Helden.

Die arme Frau hatte es kommen sehen. Keiner wollte ihr Glauben schenken, nicht einmal ihre Geschwister, vor allem aber nicht ihr einflussreicher Vater. Alle stellten sich einfach auf den Standpunkt, dass eine Katastrophe solchen Ausmaßes niemals eintreten könnte. Während die kluge, schöne Frau der Realität ins Auge sah, saßen alle anderen im Elfenbeinturm, den sie für uneinnehmbar hielten. Doch diese Überheblichkeit und das hohe Ross, auf das ihre Angehörigen reinfielen, sollte zu deren Verhängnis werden. Ihre Familie war todgeweiht, das wusste sie. Ihr persönliches Schicksal war es, verzweifelt zusehen zu müssen, aber das Unvermeidliche nicht abwenden zu können.

Manchmal kommen wir uns bei Achgut auch ein bisschen vor wie Kassandra. Aber annähernd so schlimm wie im Mythos ist es dann doch nicht – wir sind eben keine tragischen Helden. Die Tochter des trojanischen Königs Priamos gilt noch heute als larmoyante Schwarzseherin, als sei sie ein bisschen verrückt gewesen und irgendwie selbst daran schuld, dass sie nur Übles zu berichten hatte, was keiner verstehen wollte.

Warum nur hat sie den aufdringlichen Gott Apollon so brüskiert, als er ihr nachstellte und Avancen machte? Diesen Stalker abzuweisen, war töricht, zumal es ihr ja auch geschmeichelt hatte, als er ihre Schönheit noch mit seherischer Gabe verzierte. Bestimmt hat sie dem Gott schöne Augen gemacht … trotzdem wies sie ihn ab. Sie nahm es in Kauf, bestraft zu werden, weil sie ihn nicht wollte. Auch wenn dies ein Akt heroisch-menschlicher Selbstbestimmung gewesen ist, war doch die Bürde, die ihr der Verschmähte auferlegte, grausam. Die Ablehnung wurde mit Ablehnung im Leben bestraft. Ein altes Motiv, das wir heute noch überall finden.

Wir wehren uns gegen Unvernunft, Unsitte und Unterwürfigkeit

Wir haben bisher niemandem schöne Augen gemacht – so kassandramäßig. Nur um einen tieferen Einblick in die Zukunft der Politik, der Gesellschaft und ihrer Abstrusitäten zu bekommen, müssen wir keine Gabe zur Weissagung geschenkt bekommen. Es reicht schon einfache Mathematik: Eins und Eins zusammenzählen und darüber reden, das ist ja oft schon Skandal genug. Man muss heute – wie in Zeiten des trojanischen Pferdes – echte Nachteile in Kauf nehmen wollen, wenn man ein Medium ist und berichtet, was andere nicht berichten und wiederum andere gar nicht hören wollen.

Kassandra, das Medium, haderte allerdings mit ihrer Rolle – Achgut.com hadert damit nicht. Lieber wehren wir uns gegen Unvernunft, Unsitte und Unterwürfigkeit, die immer größere Kreise ziehen. Das ist unsere hoffnungsvolle, positive Kampfansage.

Menschen, die „nur Schwarz sehen“, die kritisieren und aufzeigen, denen begegnet man heute, in nachmythischen Zeiten der Aufklärung, erneut mit Argwohn und Verärgerung, wie damals in den bronzezeitlichen Burgen des Peloponnes und Kleinasiens. Warum trifft der Bannfluch aber nicht die anderen, konformistischen Katastrophen-Heulsusen? Warum bringt man denen Begeisterung entgegen, wenn sie das drohende Weltende als unvermeidlich bezeichnen und mit zittrigen Fingern auf „Schuldige“ deuten? Es gibt Gründe für die Doppelstandards, die dazu führen, dass Greta und Karl übelst menetekeln dürfen, Kassandra und Broder aber nicht.

Tragische Charakterfrau und Nonkonformistin

Der erste Grund ist vielleicht, dass die Schuldigen nie in den eigenen Reihen gesucht werden dürfen. Wer nach draußen deutet, wo die Renegaten rumkriechen, ist im Vorteil. Das Fremde ist der Unhold. Kassandra aber musste auf ihren eigenen Bruder zeigen, der des feindlichen Königs Braut entführt und den ganzen Schlamassel verursacht hatte. Sie wurde zur Nestbeschmutzerin, als sie die Ursache des drohenden Unheils benannte.

Greta und Karl können sich aber sicher sein, dass ihnen so etwas nie passiert, denn sie treiben immer in die richtige Richtung. Sie schwimmen mit dem breiten Strom der „Gemeinschaftsstandards“, die sie selbst mitgesetzt haben. Ihre Unkenrufe sind Übertreibungen nach genauen Regieanweisungen und nach den Rankings der Demoskopie. Dort ist es wohlfeil und artig, vom Untergang zu reden und die Sehnsüchte der Gläubigen zu bedienen.

Als Medium ist man per definitionem mittendrin und immer dazwischen. Auch wenn man seherische Fähigkeiten besäße, bliebe diese Stellung unbequem. Wer als Medium die Bequemlichkeit auf dem Schoße der Macht, der göttlichen Fügung, oder des Opportunen sucht, hat seinen Beruf verfehlt. Diese Einsicht eint uns mit Kassandra, der tragischen Charakterfrau und Nonkonformistin.

Achgut.com ist eine Stimme, die wahrgenommen wird. Wir selbst brauchen nicht zu befürchten, Kassandrarufe auszustoßen, denn wir wissen, dass unsere Leser und Zuhörer begierig sind zu lesen und zuzuhören. Erkenntnis ist immer der erste Schritt vor dem Abwenden des Unheils.

Das nächste Jahr wird sicher wieder eine Menge Erkenntnisse zutage fördern – wir werden sie Ihnen mitteilen. Und dafür jeden Tag etwas früher aufstehen als die anderen. Das wiederum ist ein Akt des Optimismus. Er zeigt, dass wir den Glauben an die Welt nicht verloren haben.

Wir wünschen Ihnen ein gesundes neues Jahr!

Fabian Nicolay, Herausgeber

 

Dieser Text erschien zuerst im wöchentlichen Newsletter von Achgut.com (jeweils am Freitag), den sie hier kostenlos bestellen können.

Foto: Evelyn De Morgan CC BY 2.0 via Wikimedia Commons

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lutzgerke / 01.01.2022

Unheilsworte über Israel / Sagen wir mal so: Nennen wir Jesaja mal nicht Prophet, der das Wort Gottes verkündet, sondern Systemkritiker. Was hat er getan, er hat die herrschenden Zustände und die Folgen beschrieben. Er ist verfolgt und, manche sagen, gesteinigt worden, aber er sollte Recht behalten. Das Königreich Israel ist kurz nach seinem Ableben untergegangen. Jeremia hat die Zustände in Jerusalem beklagt und die Folgen beschrieben. Er ist verfolgt und gefoltert worden und kurz nach seinem Ableben wurde Jerusalem zerstört. / Kann man behaupten, die beiden hätten Erfolg gehabt? Kommt drauf an, wie man Erfolg definiert. Die Websites sollten wegkommen vom Beschreiben der Zustände. Natürlich ist es nötig, daß die Widersprüche bei Corona offen gelegt werden, es mangelt aber allgemein an einer Zielgeraden. Wo genau will man hin? Und wie erreicht man das Ziel? Man kann auch von der Antifa lernen, die wartet nicht, die wird sofort aktiv. / Das System definiert seinen Standort selber und was übrig bleibt, ist für die Kritiker. Die lassen sich damit in die Ecke drängen. Wir müssen rausgehen aus dieser Ecke und die Propaganda neutralisieren. Eugen Kogon hat das vorgemacht. Der greift an und das System dreht durch. Das kommt, weil er den Standort in Frage gestellt hat und dem System die Deutungshoheit entriß! “Die gefährlichsten Waffen sind die Menschen kleinen Kalibers.” Wieslaw Brudzinski Die sind immer empört, aber daran kann man erkennen, daß man den Nagel auf den Kopf getroffen hat. Empörung ist ein gutes Zeichen. / Ich hatte gezeigt, wie man gegen die FFP2 vorm Arbeitsgericht klagen kann. Dahin geht der Weg! / Die Vergleiche, die tun das und wir dürfen das nicht, sind unselig. Reste, die das System wegwirft sollten liegen bleiben! Das trage ich Ulfkotte ewig nach.  / Das Gute, dieser Satz steht fest, ist stets das Böse, das man läßt. Wilhelm Bush.  

Petra Wilhelmi / 01.01.2022

Vielen Dank für diesen und vielen anderen Artikel auf Achgut. Ohne Achgut wäre die Welt ärmer. Ich bedanke mich auch für die Offenheit gegenüber Kommentatoren. Sie zensieren nicht, auch wenn man Ross und Reiter im Kommentar genannt hat. Das ist mutig und dafür bin ich sehr dankbar. Ich wünsche Allen Artikelschreibern und allen Kommentatoren ein frohes neues Jahr. Äußerlich wird es nicht besser werden als 2021, aber wir können uns untereinander stützen und - auch wenn es manches Mal schwerfällt - uns nicht unterkriegen lassen.

Esther Braun / 01.01.2022

Passt zwar nicht direkt zum Beitrag, aber Dinsgsbumsexperten haben das Dingsbumsunwort des Jahres gewählt: Eigenverantwortung. Ich wollt´s nur mal gesagt haben…

Dieter Kief / 01.01.2022

Zitat von der gmx-Seite von heute: “ARD-Chefin selbstkritisch über Berichterstattung // Die neue ARD-Vorsitzende Patricia Schlesinger sieht auch kritische Punkte in der eigenen Berichterstattung zur Corona-Pandemie. Die 60-Jährige sagte im Interview der Deutschen Presse-Agentur auf die Frage, welche Fehler die ARD gemacht habe: “Was Fehler angeht: Vielleicht sind wir zu spät auf jene Menschen eingegangen, die Impf-Vorbehalte haben. Wir hätten ihnen früher erklären können, warum Impfen richtig und wichtig ist.” - Dit is sisypheisch gut, ne?

Werner Arning / 01.01.2022

Dem gesamten gallischen Dorf der Achse des Guten - von Majestix bis Troubadix - ein Frohes Neues Jahr. Möge die Achse noch mehr Gehör finden und dem römischen Kaiser und seiner Gefolgschaft ein schmerzendes Dorn im Auge sein. Möge der Zaubertrank der Wahrhaftigkeit sein Werk vollbringen und dem geistigen Widerstand übermenschliche Kräfte verleihen. Mögen wir dann, am Ende des Jahres, ein Wildschwein verspeisen und unser Glas erheben auf nimmermüden Mut und leidenschaftliche Entlarvung von Lug und Trug.

Stefan Riedel / 01.01.2022

Warum kann ich als mathematisch naturwissenschaftlicher Kulturbanause nicht so einen Beitrag schreiben? Asche über mein Haupt!

Uwe Krahmer / 01.01.2022

Rolf Lindner: Danke für den Kommentar. Volle Zustimmung. Allen Achse Lesern wünsche ich trotzdem ein gutes neues Jahr.

Arjuna Shiva / 01.01.2022

Ich wünsche mir für das neue Jahr, dass die lichte bodenständige Vernunft der Achse, den finsteren abgehobenen Wahnsinn in diesem Land weiter erhellen und so zur Heilung beitragen kann. Danke an die Macher und Autoren der Achse für Euer Licht in dunkler Zeit und die Hoffnung, die ihr gebt!

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