Brennende Botschaften, Hass in Nahaufnahme, Tote, Publizisten unter Polizeischutz - ein Jahr sind die Bilder vom „Karikaturenstreit“ jetzt alt. Seitdem ist viel gestritten worden. Es ging um gegenseitigen Respekt, Meinungsfreiheit, legitimen und kriminellen Protest und die Frage, ob Muslime von Nichtmuslimen in Europa verlangen können, das muslimische Bilderverbot einzuhalten. Kritik am Islam indes blieb aus. Damit lässt ausgerechnet der „freie Westen“ diejenigen Muslime im Stich, die solche Kritik offen äußern, bisweilen unter Einsatz ihres Lebens.
Die europäische Aufklärung hat das Recht erkämpft, das Gewaltpotenzial des Christentums ungestraft zu hinterfragen. Aber wie verhält es sich mit dem Islam? Unter den Zeichnungen, die in der dänischen Zeitung „Jyllands-Posten“ erschienen, befand sich eine interessante. Sie zeigt den Propheten, der statt eines Turbans eine Bombe auf dem Kopf trägt. Das unterstellt, dass der islamische Terror aus dem Islam selbst kommt. Darüber kann man streiten - vielleicht muss man es sogar. Aber dieser Streit fand kaum statt, aus Feigheit und aus falsch verstandener Rücksicht. Meinungsfreiheit hin oder her: Wer will schon ins Visier des Terrors geraten? Wer will der „Islamphobie“ Vorschub leisten?
Der Karikaturenstreit war ein Paradebeispiel: Ein großer Teil der Öffentlichkeit wandte sich lieber Integrationsfragen und selbstkritischer, aber gefahrloser Reflexion über westlichen Kulturimperialismus zu. Damit wurde das Prinzip des offenen Meinungsstreits verraten - allen voran vom Weißen Haus, das lieber Rücksicht auf „religiöse Gefühle“ forderte. Im Fall der in Berlin abgesetzten Oper „Idomeneo“ gab es zwar mehr freiheitliches
Selbstbewusstsein. Aber es fehlt das Eingeständnis, dass der Westen im Karikaturenstreit Millionen Muslime alleingelassen hat. Er hat vor lauter Nabelschau hingenommen, dass Islamisten und Despoten eine „islamische Gefühlsaufwallung“ anführten - „Tage des Zorns“ als Ablenkungsmanöver, angezettelt von Herrschenden und geistlichen Eliten. Das hat Methode. Statt über Gewalt, Terror, Menschenrechte und ihren Zusammenhang mit religiöser Tradition und totalitären Regimes – oder dem Widerspruch zu ihnen – zu sprechen, wird Empörung nach außen gerichtet. Hauptsache, niemand fragt sich, ob der „Feind“ im Westen mit seiner Provokation nicht doch richtig liegt.
Das Bild vom „Kampf der Kulturen“ ist deshalb ebenso wenig passend wie der „Dialog der Kulturen“ als Gegenentwurf. Im Karikaturenstreit ging es nicht zuletzt darum, Stellung zu beziehen in einem innermuslimischen Kulturkampf. Warum exportiert das „Haus des Islam“ heute nicht Nobelpreisträger, sondern Terroristen? Warum blühen nicht mehr Wissenschaft, Kunst und Toleranz, sondern Elend, Stagnation und Hass? Solche Fragen werden auch von Muslimen gestellt. Der iranische Literat und Aufklärer Sadegh Hedayat fragte: „Kennt denn der Islam andere Ziele als Plündern oder Töten?“ So fundamentale Kritik muss man nicht teilen, man kann sie scharf angreifen. Aber erlaubt muss sie sein - und zwar jedem. In weiten Teilen der Welt wird sie unterdrückt, verschwiegen oder in Hass auf äußere Feinde umgelenkt. Nicht nur in unserem eigenen Interesse braucht der Islam Aufklärung. Und sie wird nicht gefördert, indem wir zulassen, dass sich das Wegducken auch in Europa ausbreitet.
Leitartikel im Kölner Stadt-Anzeiger, 1.2.07