Manfred Haferburg / 11.02.2016 / 06:30 / 2 / Seite ausdrucken

Kanzlerinnen-Knopfdruck: Die Sonnengöttin entfacht das Sonnenfeuer

Im Winter 1973 besuchte der Ministerpräsident der DDR Willy Stoph das Atomkraftwerk Greifswald. Der erste von insgesamt acht Reaktoren ging in Betrieb. Das waren goldene Atomzeiten. Die SPD war im Westen dafür und die SED sperrte im Osten jeden ein, der gegen Atomkraft war. Ich stand als Schichtleiter einen Meter hinter Stoph, dem Armeegeneral und Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, der gelernter Maurer war, als er auf den „roten“ Knopf drückte. An den Paneelen vor ihm begannen auf diesen Knopfdruck hin hunderte von Lämpchen zu blinken. Hinter mir hörte ich die Stimme eines Reporters ins Mikrophon murmeln: …und unter uns tobt die Kettenreaktion!“ Den Reaktor hatten wir schon am Tag davor angefahren.

Der Politiker Willy Stoph hatte den Knopf für die Lampenprüfung gedrückt, die nun blinkend anzeigte, dass die vielen hundert Signal-Lämpchen nicht durchgebrannt waren. (Auf der Leitwarte gibt es hunderte Signale,  die blinken,  wenn sie getriggert werden.  Man muss täglich testen,  ob die Glühbirnen noch alle leuchten.  Man kann sie mit dem Knopf alle gleichzeitig zum Blinken anregen,  um zu sehen,  ob eine nicht geht. Der Knopf heisst "Lampenprüfung") 

Ich dachte mir: „Was für ein armes Würstchen muss ein Mensch in dieser Position sein, wenn er sich für diesen Mummenschanz hergibt? Eine Farce, die sich Speichellecker ausgedacht hatten, um sich bei ihm einzuschleimen“. Ich war ja noch sehr jung und ahnte nicht, dass die Skala der menschlichen Eitelkeit nach oben offen ist.

Im Februar 2016 besuchte Bundeskanzlerin Angela Merkel, eine promovierte Physikerin, die Versuchsanlage „Wendelstein 7-X“ am Greifswalder Standort des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik und drückt auf einen roten Knopf - ich wette, es war die Lampenprüfung. Sechzig Sekunden später blitzte auf einem Monitor über ihr eine seltsam geformte Erscheinung auf, gerade einmal eine Viertelsekunde lang – das Abbild des Sonnenfeuers. Alle waren beeindruckt, aber nur wenige wussten, dass nur die leuchtenden Spuren des Heliums oder Wasserstoffs im Torus des Reaktors zu sehen waren. Das Plasma selbst ist nämlich unsichtbar, da es quasi ein vierter Aggregatzustand ist.

Die mit dem Merkelschen Knopfdruck den wissenschaftlichen Betrieb aufnehmende Anlage kostete in zehn Jahren Bauzeit rund einer Milliarde Euro. Wendelstein 7-X hat das Zeug, die Erfüllung eines mehr als sechzig Jahre alten Menschheitstraums einen kleinen Schritt voran zu bringen: der Erzeugung von Energie durch Verschmelzung (Fusion) von Wasserstoffkernen. Anders als fossile Energieträger wären die Rohstoffe eines Fusionskraftwerks schier unerschöpflich: Wasser und Lithium, das in der Erdkruste häufiger vorkommt als Blei und das in das fusionsfreudige Wasserstoffisotop Tritium umgewandelt werden kann.

Das Ziel: ein Kraftwerk, das auch nachts und bei Windstille Strom liefert und kein CO2 emittiert. Es stimmt, dass die Fusion voraussichtlich weniger und anderen radioaktiven Abfall produzieren wird als die AKW‘s, aber man muss sich klarmachen, dass auch in einem Fusionskraftwerk der Strom mittels Dampfturbinen erzeugt werden muss. Die Strahlung, die im Plasma entsteht, geht über das gesamte Spektrum und trifft im Reaktor auf ein Target aus Beryllium, das dadurch erhitzt wird. Die Hitze dieses Targets wird dann zur Erzeugung von Dampf abgeleitet. Besonders durch die Neutronenstrahlung kommt es im Reaktor zu verschiedenen Kernreaktionen und dadurch zur Bildung diverser radioaktiver Elemente. „Saubere Energie“ ist eben nur ein bisschen sauberer.

Ein kleiner Kanzlerinnen-Knopfdruck und die Energiewende ist gerettet? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir ein wenig zurück in der Geschichte wandern.

1971 hörte ich an der Technischen Universität Dresden das Fach Kernenergetik bei Professor Kovac. Ich mochte den Kerl, der extra jeden Samstagmorgen mit dem Trabbi von Karl-Marx-Stadt nach Dresden fuhr, um uns Studenten einen halben Tag lang in die tiefen Geheimnisse der Neutronenschicksale einzuweihen.

Er lehrte uns, dass seit 1951 an der Kernfusion gearbeitet würde, aber der Durchbruch zur kommerziellen Nutzung erst in 50 Jahren zu erwarten sei. Es sei eben schwierig - man müsse die Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium soweit aufheizen, dass ein „Plasma“ genanntes Gemenge aus Elektronen und Atomkernen entsteht. Bei 100 Millionen Grad verschmelzen dann Deuterium und Tritium zu Helium und jede Menge Energie wird frei. Da aber kein Material dieser Welt solche Temperaturen aushält, muss das Plasma durch Magnetfelder von den Wänden des Reaktorgefäßes ferngehalten werden. Das zappelnde Plasma freischwebend und stabil im Magnetfeld zu halten, ist das Problem. Wie unsere Sonne anschaulich zeigt, funktioniert das im kosmischen Maßstab schon irgendwie. Aber Wendelstein 7-X will das mit 30 Kubikmeter Plasmavolumen nachvollziehen.

Meine nächste Begegnung mit dem Sonnenfeuer fand fast 40 Jahre später im südfranzösischen Cadarache statt, als ich den Forschungsreaktor ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor) besuchte. Der ITER-Reaktor will mit 836 Kubikmeter Plasma der erste beinahe kommerzielle Fusionsreaktor werden. Dazu hat die halbe Welt sieben Milliarden Dollar zusammengekratzt.

Im Moment ist der ITER sowas wie der atomare BER, seine Inbetriebnahme folgt eher gleitenden Plänen - mit Stand von heute geht er etwa 2026 in Betrieb. Meine ITER-Kollegen waren beeindruckend gute Ingenieure und Physiker, die offenbar vor keiner auch noch so unüberwindlichen Schwierigkeit zurückschreckten. Ihr Plasma hielt schon im Minutenbereich durch, ehe es ausbüchste. Und sie verkündeten stolz: „In fünfzig Jahren werden wir eine industriereife Technologie entwickelt haben“.

Die Botschaft hört‘ ich wohl… Aber ich hatte etwas gelernt: irgendwie waren schon vierzig Jahre vergangen. Es gibt wohl so etwas wie eine haferburgsche „Kernfusionskonstante“. Diese besagt, dass es bis zur Energieerzeugung mittels Kernfusion nur noch 50 Jahre dauert - von jedem beliebigen Zeitpunkt aus gerechnet.

Vor 2050, erklärte die IPP-Chefin Sibylle Günter vor drei Jahren in einer Expertenanhörung, werde die Kernfusion nicht zum Energiemix beitragen können. Nach meinen bisherigen Erfahrungen mag es auch ein oder zwei Jahrzehnte länger dauern. Das sollte aber die Menschheit nicht abhalten. Wenn die Fusionsforscher und ihre steuerzahlenden Geldgeber bis dahin die Geduld behalten, könnte die vergurkte Energiewende vielleicht erneut gewendet werden, zurück in die strahlende Zukunft.

Was ein bisschen tröstlich an der Sache ist - weil so verlässlich - die Grünen lehnen die Fusionstechnologie in Bausch und Bogen ab. Ihr aktuelles Grundsatzprogramm unterstellt ihr, „unbeherrschbare Folgen für Umwelt und Gesellschaft“.

Noch ein kleiner Trost zum Schluss: die gepulste-Tokamak-Doughnut-Form des Plasmas ist potentiell künstlerisch wertvoll, genau wie die stetige Bananenform des Plasmas im Wendelstein Stellarator. Und wer jetzt noch ernsthaft wissen will, was einen Tokamak von einem Stellarator unterscheidet, der soll hier und hier nachschauen. Das habe ich nämlich auch nur zum eher kleinen Teil verstanden. Atomkerne zu spalten ist offenbar viel einfacher, als Atomkerne zu verschmelzen.

Und noch ein Hinweis für alle Politiker, die gar zu gerne im Angesicht von Zukunftstechnologien kompetent erscheinen möchten: hütet Euch vor roten Knöpfen! Es ist immer die Lampenprüfung!

Achse-Autor Manfred Haferburg reist als Experte für Kernkraftsicherheit um die Welt und kennt so viele Atomkraftwerke wie kaum ein anderer Mensch. Bis 1989 gehörte er zur Leitung des größten AKW der DDR (Greifswald) – geriet in Ungnade, wurde von der Partei zum Staatsfeind erklärt und inhaftiert.

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Michael Schmidt / 11.02.2016

Herr Haferburg, was halten Sie in diesem Zusammenhang von Flüssigsalzreaktoren und dem neuen DFR-Konzept? http://dual-fluid-reaktor.de/

Armin Schmid / 11.02.2016

Herrlich, mit Ihrer Konstante haben Sie das Gegenstück zum Moore’schen Gesetz aufgestellt! Ich dachte bislang, die Grünen setzten nur noch auf Fusions- bzw. Sonnenenergie, abgesehen von der Erdwärme, die sich größenteils aus der Kernspaltung speist.

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