Thomas Rietzschel / 18.02.2022 / 16:30 / Foto: Tomaschoff / 16 / Seite ausdrucken

Kanzler Scholz war beim Zaren. Und nun?

Was für eine Woche: Erst zittert der Westen vor einem militärischen Angriff der Russen auf die Ukraine. In Washington, in London, in Paris, in Berlin, überall wird befürchtet, Putin könnte einen Krieg anzetteln, der sich zum Flächenbrand ausweitet. Die USA, die NATO, sogar die EU wären womöglich betroffen, heißt es allenthalben.

Dann aber fliegt Olaf Scholz nach Moskau, um mit dem Kreml-Chef zu reden, ihn zu besänftigen. Und kaum dass der Deutsche gelandet ist, melden die russischen Medien die Verlagerung von Mannschaften und Waffen, zurück ins Hinterland. Wer hätte das noch vor einer Woche für möglich gehalten? Wer hätte überhaupt geglaubt, der weiche Olaf sei Manns genug, den brüllenden Bären umzustimmen. 

Aber war es dann auch wirklich so? Hat Putin seinem auf sechs Meter Distanz gesetzten Gegenüber überhaupt zugehört? Wir wissen es nicht, können nur sagen, was über den Ausgang des Gesprächs durchsickerte: „Wenn ich“, soll Putin laut FOCUS seinem Gegenüber mit auf den Weg gegeben haben, „Truppen schicke, schicke ich sie eben. Wenn ich sie abziehe, ziehe ich sie eben ab“. Anders gesagt, was ihr im Westen denkt, sagt oder tut, ist mir ohnehin egal. 

Dann ist es auch gut

Nach einer solchen Abfertigung konnte der deutsche Bundeskanzler nur noch wie ein begossener Pudel abtreten, ähnlich dem Grafen Bobby in einer Altwiener Geschichte: Seine Exzellenz flanieren in der Stadt. Da kommt ein Mann auf ihn zu und sagt: „Graf Bobby, Sie sind, mit Verlaub, ein A…" Der so Beschimpfte verlangt die Rücknahme der Flegelei. Der Flegel aber sagt, er denke nicht dran, etwas zurückzunehmen. Der Graf überlegt einen Moment und sagt: „Dann ist es auch gut." 

Wie Graf Bobby einstmals in Wien, zog Olaf jetzt in Moskau den Schwanz ein, allerdings nicht ohne vorher einen diplomatischen Erfolg vermelden zu lassen. Dabei hatte der Präsident nur die alte KGB-Nummer abgezogen, zwei Schritt vor, einen zurück. Auf der Unberechenbarkeit des Mannes gründet seine Macht. Mit dem Westen spielt er wie die Katze mit der Maus. Erst verbreitet er Angst und Schrecken, dann gibt der Scheinheilige den Einsichtigen. Und wiegt sich der Westen wieder in Sicherheit, werden die Krallen noch schärfer als zuvor ausgefahren. 

Wer hat hier die Hosen an? Die ewige wiederholte Androhung von Sanktionen und „sehr ernsten Maßnahmen“ ist längst zum Running Gag verkommen. Es ist beschämend, dass NATO, EU und die Bundesrepublik davon nicht ablassen wollen. Haben sie vergessen, wer die deutschen Bürger und die Wirtschaft mit Energie versorgt? Immerhin beziehen wir 55 Prozent aller Erdgasimporte aus Russland. Wenn Moskau seine Lieferungen drosselt, kann nicht einmal mehr produziert werden, was den Russen im Zuge der Sanktionen nicht länger geliefert werden soll.

Moskaus nützliche Idioten

Ein Schildbürgerstreich im 21. Jahrhundert, genauso erfolgversprechend wie der Kampf um die Klimawende. Denn je mehr wir auf die erneuerbaren Energien setzen, auf Wind und Sonne, desto mehr werden wir an trüben und windstillen Tagen auf das Gas aus dem Osten angewiesen sein. Was uns unabhängig machen soll, bindet uns nur noch fester an die russische Leine. 

Nein, Olaf Scholz hat nichts erreicht. Seine Erfolge sind reine Einbildung. Freilich ist das auch nichts, was ihm besonders vorzuwerfen wäre. Haben sich doch schon andere Genossen zurück bis zu Willy Brandt oder Egon Bahr von Moskau als nützliche Idioten vorführen lassen. 

Auch sie gaben den Grafen Bobby, als sie sich noch zu Breschnews Zeiten mit der Bemerkung abfertigen ließen, die Aufrüstung sei eine „innere Angelegenheit“ der Sowjetunion. Was nun wieder die Gegenwart angeht, so stellt sich eben heraus, dass die Fernsehbilder, die den behaupteten Abzug einzelner Truppenteile von der Grenze belegen sollten, in Wahrheit Züge zeigten, die genau in die entgegengesetzte Richtung rollten, 7.000 weitere Soldaten und militärisches Gerät an die potenzielle Front brachten. Und das alles, während die deutschen Putin-Groupies sich gar nicht genug darin tun konnten, den Entspannungssieg von Olaf Scholz, alias Graf Bobby, zu rühmen. 

Foto: Tomaschoff

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Klaus Keller / 18.02.2022

Graf Bobby hat die Situation vermutlich richtig eingeschätzt. Wegen so einer Aussage riskiert man nicht eins in die Fresse zu kriegen. (Ich erinnere in dem Zusammenhang an die Prognose von Frau Nahles) Die Politik des machbaren ist hier m.E. angemessen. Für mich persönlich ist es völlig bedeutungslos ob die Ukraine Teil Russlands wird. Nicht bedeutungslos ist, wie viele Tote man in kauf nimmt um das zu verhindern. PS Der letzte russische Zar wurde nach meiner Kenntnis ermordet. Amtierenden Adel finden Sie noch in vielen europäischen Staaten. PPS Sie halten mich für einen nützlichen Idioten? Kein Problem, das dürfen Sie. Es stört mich nicht.

Florian Bode / 18.02.2022

In wenigen Monaten wird sich Olaf Schlumpf nicht mehr daran erinnern können, sich mit Olearius, nein Putin, getroffen zu haben.

Arne Ausländer / 18.02.2022

Als der 1999er Jugoslawienkrieg begann, war ich gerade in Moskau und konnte die Ereignisse im dortigen Fernsehn verfolgen. Damals gab es noch NTV, wo die Sicht aller Seiten recht objektiv widergespiegelt wurde. Ein weiterer Sender, der Name ist mir entfallen, bewahrte zumindest etwas Nüchternheit. Ansonsten hieß es überall: Freiwillige, auf nach Belgrad! Die Schwarzmeerflotte auslaufbereit, ein russisches Kriegsschiff schon in der Adria. Sine echt gefährliche Lage! Dann flog Joschka Fischer nach Moskau, und bald reduzierte sich die Lautstärke der russischen Propaganda zum Thema Kosovo auf das bis heute übliche Niveau. Sechs Monate später begann der 2. Tschetschenienkrieg, die Kritik des Westens leiser als die der russischen Soldatenmütter. Sechs Monate gilt als die Zeit, eine prinzipiell einsatzfähige Armee auf einen konkreten Feldzug vorzubereiten. Realpolitik. Der Preis: Andauernde Instabilität um Kosovo, die Opfer des Tschetschenienkriegs - und die erschreckende Machtposition Kadyrows.—Sind wir jetzt in einer ähnlichen Situation? Mir scheint doch, einige Nummern kleiner. Nur sehen viele nicht, wie wir zweifellos beide Seiten, Rußland und die USA, ihre Spielchen betreiben. Rußland ist groß, es könnte seine Manöver auch anderswo durchführen und so den USA die Argumente nehmen. Andererseits scheint vielen in den USA das Medien-Thema eines drohenden Kriegs äußerst willkommen zu sein. Was soll das Ganze? Ich hoffe, es ist nur Ablenkung vom Corona-“Imf”-Desaster. Die Schicksalsschlachten für die Menschen finden z.Z. in Kanada statt, mit ganz anderen als militärischen Waffen. Sollte Trudeau siegen, droht uns allen Schlimmes. Erreichen die Proteste mehr als die üblichen minimalen Zugeständnisse, gibt es endlich etwas mehr Hoffnung auf eine glimpfliches Ende des Welt-Corona-Putsches.

U. Unger / 18.02.2022

Saustark, Herr Rietzschel! Analysen mit Witz sind mir die Liebsten.

Fred Burig / 18.02.2022

“Auf der Unberechenbarkeit des Mannes gründet seine Macht. Mit dem Westen spielt er wie die Katze mit der Maus. Erst verbreitet er Angst und Schrecken, dann gibt der Scheinheilige den Einsichtigen. Und wiegt sich der Westen wieder in Sicherheit, werden die Krallen noch schärfer als zuvor ausgefahren.” S.g. Herr Rietzschel, leider kann ich wegen ihrer ambivalenten Haltung zur Rolle Putins im Konfliktverlauf mit der Ukraine nur den Kopf schütteln. Sicher kann es schon mal vorkommen, dass einem wegen der Komplexität der politischen Ereignisse die Sicht auf Ursachen und Wirkung etwas durcheinander gerät. Das beste Mittel dagegen ist dann bekannterweise die “Objektivität”! MfG

Walter Weimar / 18.02.2022

Was soll hier verglichen werden, in einem Satz Scholz und Putin zu nennen. Das ist als wenn ein Pudel an einer Hundertjährigen Eiche das Bein hebt.

Stefan Riedel / 18.02.2022

Zar Waldemar I ist als Russe ein guter Schachspieler. Seinen Gegenübern in Strategie haushoch überlegen. Die Invasion wird am Mittwoch (16. 02. 22) stattfinden. Hat nicht (noch) stattgefunden. Die nächste Warnung aus dem Weißen Haus? Who cares? Und der Überraschungseffekt ist auf Seiten Waldemars.

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