Henryk M. Broder / 09.09.2010 / 01:08 / 0 / Seite ausdrucken

Kante setzen!

Johannes Gross (1932-1999) war einer der klügsten und witzigsten deutschen Journalisten des 20. Jahrhunderts. Er hat sich auch mit Aphorismen einen Namen gemacht, z.B.: “Je länger das Dritte Reich tot ist, umso stärker wird der Widerstand gegen Hitler und die Seinen.”

Würde Johannes Gross heute noch leben, er wäre selbst überrascht, wie recht er hatte. Um als “Nazi” (ersatzweise “Rechtspopulist”) tituliert zu werden, genügt es, einen Artikel bzw. ein Buch zu schreiben, in dem Zuwanderer nicht als “Bürger mit Migrationshintergrund” bezeichnet werden, wie es die political correctness verlangt, sondern in dem die Frage gestellt wird, ob die Zuwanderer die Gesellschaft mehr kosten als sie zum BSP beitragen. Allein eine solche Frage gilt schon als “fremdenfeindlich” und “menschenverachtend”. Und rutscht einer TV-Sprecherin das Wort “Autobahn” heraus oder sagt eine Sportmoderatorin, sie habe beim Sieg der deutschen Fussball-Elf einen “inneren Reichsparteitag” erlebt, fängt das halbe deutsche Feuilleton zu hyperventilieren an. Antifa so weit das Auge reicht. Allerdings, Voraussetzung für die Konjunktur des virtuellen Antifaschismus ist das Fehlen des realen Faschismus. Antifa gibt es in Deutschland nur ohne Fa.

Wie schnell einer in die äußerste rechte Ecke entsorgt wird, kann man derzeit am Beispiel von Thilo Sarrazin studieren, der mit seinem Buch über Migration, Demografie und Integration (“Deutschland schafft sich ab”) einen Sturm der Empörung ausgelöst hat, die täglich neu angefacht wird. Stefan Kramer, Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland, nannte Sarrazin einen “international berüchtigten Rechtspopulisten”, in dessen Äußerungen der Rassismus “immer unverhüllter zutage” tritt. Abgesehen von dem Kunststück, das Adjektiv “unverhüllt” zu steigern, hat Kramer damit ziemlich klar, wenn nicht “klarer”, die Ansicht der Funktionärseliten artikuliert, die für die Zustände verantwortlich sind, die Sarrazin in seinem Buch beschreibt. Die Mandatsträger reagieren beleidigt bis aggressiv.

Man müsse, verkündete der Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit letzten Sonntag bei “Anne Will” in der ARD “rechtzeitig eine Kante setzen gegen solches Gedankengut”, wobei er sich nicht einmal die Mühe machte zu erklären, welches “Gedankengut” er meinte. Das verstand sich von selbst: Der “immer unverhüllter zutage tretender Rassismus” eines “international berüchtigten Rechtspopulisten”.

Deutschland in diesen Tagen - das ist ein Käfig voller Narren, die jede Debatte über Sarrazin mit dem Satz anfangen, dass es sich eigentlich nicht lohne, über ihn zu diskutieren. Das sind gekränkte Autisten und Narzisten, die ihr Hobby, das Gutmenschentum, zum Beruf gemacht haben. Das sind Wirklichkeitsverweigerer, die mit der allergrößten Gewissheit das Klima in 50 Jahren vorhersagen, aber ausrasten, wenn einer die Vorhersage wagt, dass es in 50 Jahren mehr Moscheen als Kirchen in Deutschland geben könnte. Und es sind vor allem späte Widerstandskämpfer, die irgendetwas nachzuholen versuchen, das ihre Vorfahren versäumt haben.

Wenn Klaus Wowereit sagt, man müsse “eine Kante setzen gegen solches Gedankengut”, dann klingt das wie “Wehret den Anfängen!”, so als hätten wir jetzt das Jahr 1933 und als wären die Nazis unterwegs zur Machtergreifung. Es klingt, als möchte er sagen: Wenn schon unsere Eltern und Großeltern damals versagt haben, dann wollen wir heute das Richtige tun. Besser spät als nie. Auch Hitler hat mal klein angefangen, mit einem Buch.

Nun ist Sarrazin so sehr ein Hitler, wie Klaus Wowereit ein Willy Brandt ist. Aber darauf kommt es nicht an. Wer ein “Nazi” ist, das entscheidet die virtuelle Antifa je nach Bedarf.
Ebenso, wer als Opfer der neuen Nazis gelten darf . Dass die Moslems “die Juden von heute” sind, gehört inzwischen zu den Allgemeinplätzen im politisch korrekten Diskurs. Und die Islamophobie ist der neue Antisemitismus.

Und so wie es eine “gefühlte Temperatur” gibt, so gibt es auch einen gefühlten Antifaschismus, der sich risikolos entfaltet. Letzten Montag wurde Thilo Sarrazin in Berlin auf offener Straße “Nazi” hinterhergerufen. Wie es sich für einen richtigen Nazi gehört, muss der noch amtierende Bundesbanker inzwischen von vier Body Guards beschützt werden. Damit kein Antifaschist auf dumme Gedanken kommt.

© Die Weltwoche 36/10

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