Kann Künstliche Intelligenz querdenken?

Es existiert: Kabarett ohne moralischen Zeigefinger, ohne den Anspruch, der Rückkehr in eine vermeintlich moderne Altertümlichkeit den Weg zu ebnen, ohne den Zeiten nachzutrauern, in denen die SPD angeblich das war, was sie in Wirklichkeit nie gewesen ist. Gerade in Zeiten politischer Korrektheit, staatlich verabreichter Moralisierung und eines immer autoritärer werdenden Mainstream-Denkens sollte Kabarett – wie es eigentlich seine Ursprungsidee war – für die Freiheit streiten, politisches Lagerdenken verlassen, das Alltagsdenken konfrontieren und den Zeitgeist herausfordern, ganz gleich, welcher politischer Farbe sich dieser zugehörig fühlt. 

So gesehen ist Matthias Heitmann vielleicht wirklich ein Kabarettist – auch wenn er sich nach eigenen Worten eher als "gedanklicher Selbstbefreiungstrainer", als "Brett-vorm-Kopf-Zersäger" oder als "Vorurteils-Zerleger" begreift. Seine Berufsbezeichnung lautet „Zeitgeisterjäger“, und was das dann im Klartext bedeutet, bekommen die Besucher eines neuen Bühnenprogramms zu spüren und zu hören. Schon im letzten Jahr zog es den Journalisten und Buchautor im ausverkauften altehrwürdigen Frankfurter Kabarett-Theater „Die Schmiere“ gemeinsam mit dem Radiomoderator Tim Lauth auf die Bühne. Jetzt tut er es schon wieder nun aber begleitet von einer künstlichen Intelligenz. 

Was am 13. Mai unter dem Titel „Karla-Ingeborg auf Zeitgeisterjagd“ uraufgeführt wurde, war in mehrerer Hinsicht neu: Während sich in der öffentlichen Diskussion die Horrormeldungen und Schauergeschichten zum Thema „künstliche Intelligenz“ (KI) überbieten, machts bei Heitmann Spaß. Während viele Komödianten in Deutschland immer noch dem Handpuppenspiel und Bauchrednertum frönen, setzt sich Heitmann mit einer künstlichen Intelligenz namens „Karla-Ingeborg“ auseinander. Das Besondere an dieser KI: Aufgrund eines Sturzes interessiert sich im Gegensatz zu ihren digitalen Schwestern für menschliches Denken. 

Auf der Bühne liefert sie sich mit Heitmann abwechslungsreiche, humorvolle und slapstickartige Dialoge über die großen Fragen menschlichen Lebens: Was ist Gott, wer ist Ich, ist Intelligenz weiblich, kann man Freiheit als APP herunterladen und viele weitere Fragen werden aufgegriffen und neu beantwortet. Zusätzlich durch Gesangseinlagen, Lesungen, einem Poetry Slam und filmischen Einblendungen aufgerüttelt, kommt der Zuschauer ins Staunen. Karla Ingeborg lernt im Laufe der Veranstaltung immer mehr dazu. KI hilft  die heute kursierenden Stereotype, Ängste und Vorurteile, die sich laut „Zeitgeisterjäger FreiHeitmann“ in das Denken der Menschen einschleichen, es trüben und lähmen, ins Rampenlicht zu zerren und genüsslich zu zerlegen. 

Eine starke Analyse des Phänomens Helene Fischer

Denn wie in kaum einer anderen Diskussion offenbart sich, dass der Hang, uns Menschen nur als Problemverursacher, nicht aber als Problemlöser zu sehen, nach wie vor sehr dominant ist. So laufen wir heute Gefahr, unsere menschlichen Selbstzweifel praktisch in die KI einzuprogrammieren. Ein Beispiel hierfür ist der bornierte Denkansatz der umstrittenen und mittlerweile insolventen Datenanalyse-Firma Cambridge Analytica: Diese Erbsenzähler behaupteten doch tatsächlich, aus ihren Daten Persönlichkeitsprofile für nahezu jeden Erwachsenen berechnen und ihn in seinen politischen Ansichten verorten zu können. Gegenüber derartig herablassenden Vorstellungen dessen, was unser Menschsein eigentlich ausmacht, sollten wir auf der Hut sein. 

Heitmann hält dagegen und bietet dem Publikum einen optimistischen Ausblick auf die Entwicklungspotenziale menschengemachter Technik, die Raum für neue Alternativen und Perspektiven eröffnet. „Alles Künstliche ist vom Menschen erschaffen worden, ist also menschlich. Hinter der Kritik an der Technik steht also immer die Kritik am Menschen“, so ist es in der Schmiere zu hören. Doch Heitmann gibt noch etwas anderes zu bedenken, denn nicht alle Technikfreunde seien deshalb automatisch Menschenfreunde: So sei es doch ein großer Unterschied, ob man selbstfahrende Autos entwickele, weil man dem Menschen neue Handlungsfreiheit geben will, oder ob man ihn vom Handeln abhalten möchte, weil man ihm nicht zutraut, sicher zu fahren. 

Das Bühnenprogramm umfasst einen Rundumschlag gegen zahlreiche weitere Erscheinungsformen unseres beengenden, mitunter gar totalitären Klimas in Kultur und Gesellschaft. Eine starke Analyse des Phänomens Helene Fischer lässt Parallelen zu Angela Merkels endloser, beliebiger, besitzergreifender und großkoalitionärer Konsenssoße aufscheinen. Auch die nach wie vor grassierende Opferkultur und Political Correctness werden entlarvt als Symptome niedriger Erwartungen gegenüber dem, was heute technisch und politisch überhaupt „machbar“ sei. 

Wer, so FreiHeitmann, „nicht an die Lösung von Widersprüchen und Problemen glaubt, für den gibt es auch keinen Grund, sie beim Namen zu nennen“. Anstatt Sprache „zum Verschleiern von Schluchten“ zu missbrauchen, brauchen wir heute mehr Ambitionen in den öffentlichen Debatten, die uns härtere Auseinandersetzungen ermöglichen. Erst dann können wir unsere Sprache zum Brückenbau und gegenseitigen Verständnis nutzen und zu neuen Ufern aufbrechen. Der Brückenbau funktioniert am Ende des kurzweiligen Abends im übertragenen Sinne – in einem experimentellen Gesangsduett von Matthias Heitmann und Karla-Ingeborg. 

Informationen zum neuen Bühnenprogramm „Karla-Ingeborg auf Zeitgeisterjagd“ von und mit Matthias Heitmann, Foto-Impressionen von der Premiere sowie der Link zur Online-Ticketbestellung finden sich auf  http://www.zeitgeisterjagd.de/buehnenprogramm/. Die letzte Veranstaltung vor der Sommerpause findet am Mittwoch, den 6. Juni 2018, um 20 Uhr in der Frankfurter „Schmiere“ statt.

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Karla Kuhn / 31.05.2018

Zu DDR Zeiten gab es ein besonderes Kabarett, das nichtangepaßte, das “durch die Blume”  Kabarett, was jeder, der kein SED-Stasi Brett vor dem Kopf hatte verstanden hat. Obwohl Horch und Guck jedesmal als Spitzel dabei war, ging das Programm fast immer durch, weil wahrscheinlich den “Vernagelten”  die Intelligenz für den wahren Sinn fehlte. Das war wirklich Kunst. Wenn ich heute einige sogenannte Kabarettisten höre, frage ich mich, welches Publikum die ansprechen. Mich jedenfalls nicht, ich zappe sofort weg. Die künstliche Intelligenz wird solange ein Traum bleiben, solange das menschliche Hirn nicht völlig erforscht ist und das wird wohl nie sein.

Werner Arning / 31.05.2018

Die derzeit allgemein verbreitete Geisteshaltung in unserem Land ist eigentlich wie gemacht für Parodie, Satire und politisches Kabarett. Es wird so viel geheuchelt, Wahrheiten verschwiegen, schöngeredet, erfunden, dass es ein gefundenes Fressen für einen Kabarettisten sein müsste. Er könnte aufdecken, auf den Arm nehmen, auf Widersprüchlichkeiten hinweisen, entlarven, was das Zeug hält. Doch was passiert? Fehlanzeige. Politisch korrektes Kabarett ist kein Kabarett. Braves Kabarett ist kein Kabarett. Immer nur zu lachen über Unangepasste, ist nicht lustig. Lustig wäre, sich über die Angepassten lustig zu machen. Immer nur auf Seiten des Mainstreams, der Parteien, der Regierung, der Medien zu stehen, ist nicht lustig. Ist nicht mutig. Sich ständig über die „Rechten“ lustig zu machen, ist billig.  Es ist billig, wenn ohnehin schon die komplette veröffentlichte Meinung gegen die „Rechten“ trompetet. Auch der ab und zu eingestreute Merkel-Witz täuscht darüber nicht hinweg. Kabarett hat eine Aufgabe, sie wird jedoch nur von ganz wenigen erfüllt. Das sind dann die, die die Bezeichnung „Kabarettist“ verdient haben.

Wiebke Lenz / 31.05.2018

Nun, vor - zugegebener Maßen schon viel zu langer Zeit - war ich in der “Herkuleskeule” in Dresden. In dem Stück 2007 ging es um das ewig aktuelle Thema “Rentner”.  Unter anderem wurde dort von “sozialverträglichem Frühableben” gesprochen, ebenso wie “... als Frau sein noch keine anerkannte Behinderung war.” Dies war nicht das Einzige, was dem (damaligen) Zeitgeist widersprach. Die Idee mit der künstlichen Intelligenz, die Bewusstsein entwickelt, ist übrigens auch nicht ganz neu, wobei immer richtig: Irgendwann sah ich einen Film, in dem ein Roboter zum Leben erwachte. (Ob er nun “Nr. 5 lebt” heißt, vermag ich nicht zu sagen - eine künstlerische Meisterleistung war es ganz sicher nicht, insofern streiche ich so etwas mehr oder minder aus meinem Hirn.) Auch hier wurde deutlich, dass Bewusstsein (ob als Mensch oder Roboter/künstliche Intelligenz) mehr ist. Auch den Rest der Rezension finde ich persönlich nicht besonders ansprechend, sprich: ich würde mich nicht auf eine Reise nach Frankfurt (am Main?) begeben, was ich als Kulturinteressierte durchaus tun würde, wenn es sich (für mich) lohnt. Für mich z.B. ist es selbstverständlich, dass ich immer Aufwand und Nutzen von Technik abwäge. Insofern weiß ich eine Waschmaschine sehr zu schätzen, möchte aber nicht, dass mein Kühlschrank mir sagt, was ich einzukaufen habe. Dekadent kann ich auch anders werden, wenn ich es will. Nicht die Technik ist das “Böse”, denn diese kann es nicht sein - es ist ein sorgloser Umgang. Und Helene Fischer (nein, ich bin definitiv kein Fan von ihr!) anzusprechen, wenn Dr. Angela Merkel (auch und insb. von ihr nicht!) halte ich für unangebracht. Gerne darf und soll über Bande gespielt werden. In meinen Augen jedoch nicht, wenn es andere Personen betrifft. Da gibt es andere, gute Möglichkeiten.

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