@Markus Viktor: Obdachlosigkeit ist für einen (psychisch wie physisch) gesunden Menschen unschön, aber kein Suizidgrund. Ich weiß sehr gut, wovon ich da rede. Was das Recht auf Suizid betrifft, damit haben Sie allerdings recht. Nur wird - wie alles in der heutigen Politik - auch das nur als Köder benutzt, um eine Quasi-Pflicht zum Suizid unters Volk zu bringen. Die Debatte um die “Impf"pflicht aus Gemeinwohlgründen ging schon sehr stark in diese Richtung.
Wie wäre es damit, zu verhindern, dass Menschen obdachlos werden, etwa durch sozialen Wohnungsbau? Ist Obdachlosigkeit für Menschen besser als Suizid? Das bejahen doch vor allem solche, die das Problem nicht haben. Soweit ich denken kann, habe ich für mich ein Vernunftrecht auf Suizid gegenüber dem durch seine Nazi-Verbrechen diskreditierten deutschen Staat, Nation, Gesellschaft behauptet. Kein Deutscher und kein Mensch hat ein Recht, mir das abzusprechen. Dazu auch Jean Améry.
Noch etwas zum Thema “Gott spielen”. Die Gegner der Sterbehilfe argumentieren ja immer gerne, dass das Beenden eines Lebens (auch bei bereits Sterbenden oder Hirntoten) dem Spielen von Gott gleichkommt. Ich finde, das Gegenteil ist der Fall. Die moderne Gerätemedizin, das künstliche am-Leben-halten Schwerstkranker teilweise gegen deren ausdrücklichen Willen oder gegen den Willen der Angehörigen kommt dem Gott spielen sehr viel näher. Leute, die noch vor einigen Jahrzehnten innerhalb kurzer Zeit gestorben wären, werden heute künstlich am Leben erhalten. Wenn die Leute Chance auf Genesung haben oder das verlängerte Leben gut genutzt werden kann und mit Freude angenommen wird, ist dagegen ja auch nichts einzuwenden. Wenn aber einem hochbetagten Bettlägerigen, der sich nicht mehr wehren kann, der Essen und Trinken verweigert (völlig normal bei Sterbenden) eine Magensonde gelegt wird, dann ist das an Perversion kaum noch zu überbieten. Und wenn Schwerkranke jahrelang um Sterbehilfe betteln müssen, dann lässt sich das mit meinem Verständnis von Ethik und Nächstenliebe auch nicht vereinbaren. Bei psychisch Kranken finde ich es teilweise äußerst schwierig. Auch diese Menschen leiden mitunter erheblich. Aber sie könnten sich eben rein theoretisch auch ohne Hilfe töten. Oder ihre Lebensumstände ändern sich durch einen glücklichen Zufall und es geht ihnen wieder besser. Aber ich wiederhole mich. Das ist mein letzter Kommentar zum Thema. P.S.: Was ich sehr begrüße: zu diesem sensiblenThema sind tatsächlich mal unterschiedliche Ansichten zu lesen. Da das Thema Sterben jeden irgendwann einholt, hat natürlich auch jeder seine eigene ganz persönliche Meinung dazu. Finde ich sehr schön.
@Wiebke Ruschewski. In den 10 Jahren meiner Arbeit in einem Hospiz habe ich keinen einzigen Patienten gesehen, der sich vor Schmerzen krümmte oder qualvoll erstickte. Bevor Sie solche Schauermärchen verbreiten, sollten Sie sich mit erfahrenen Palliativmedizinern,- und Pflegern unterhalten. Das Thema ist zu ernst, um sich mit Gruselgeschichten wichtig zu machen zu wollen.
@Helmut Driesel. Vor ein paar Jahren hätte ich es vermutlich auch für fortschrittlich gehalten. Auch heute habe ich prinzipiell nichts gegen Sterbehilfe. Aber ich finde es unethisch, wenn eine Sterbehilfeorganisation sich von jedem Frustrierten zum Handlanger des Todes machen lässt. Schwer Kranke und Gelähmte sind auf Hilfe bei der Selbsttötung angewiesen. Viele könnten die “Drecksarbeit” aber durchaus auch selbst erledigen. Und psychisch Kranke und Verzweifelte haben morgen vielleicht schon wieder eine völlig andere Einstellung zum Leben. Wenn auch Arme, Alte oder Inhaftierte die Sterbehilfe erhalten, dann könnte das tatsächlich dem Missbrauch Tür und Tor öffnen und im allerschlimmsten Fall zu einer Art Hygienemaßnahme verkommen. Ich weiß es nicht. Ich finde, Sterbehilfe sollte erlaubt sein. Es sollte aber nicht zu einfach sein. Jeder hat das Recht über sein Leben zu bestimmen. Auch über das Ende seines Lebens. Wenn das Pülverchen -oder was auch immer- jedoch zu einfach zu haben ist, dann bringen sich auch Leute um, die sich bloß in einer Krise befanden und aus einer Kurzschluss-Reaktion heraus gehandelt haben. Man sollte solche Anliegen immer sorgfältig prüfen und gucken, ob man der Person nicht auch auf andere Weise helfen könnte. Bei Schwerstkranken, bei denen eine Verlängerung der Lebenszeit quasi eine Verlängerung des Leidens darstellt ist die Antwort absolut klar finde ich.
@Ludwig Luhmann. Wenn ich mich recht entsinne (ich habe den Film glaube ich 2 mal vor ca. 20 Jahren gesehen) ließ der alte Herr sich einschläfern, weil er sich noch an die gute alte Zeit seiner Jugend erinnerte und mit den Veränderungen der letzten Jahrzehnte nicht zurecht kam. Sein jüngerer Freund (gespielt von Charlton Heston) kannte diese alte Zeit nicht und konnte deshalb dem Gerede des Alten lange nichts abgewinnen. Unter den Bedingungen leiden wohl besonders jene, die schon älter sind und bessere Zeiten kennen. Dass der Film 2022 spielt ist natürlich ein interessanter Zufall. Manches erinnert tatsächlich an Entwicklungen der heutigen Zeit. Im Film darf der gemeine Pöbel Soylent Yellow, Soylent Red oder eben das neu auf den Markt gekommene Soylent Green essen (Letzteres wird aus den Körpern der Menschen hergestellt, welche sich einschläfern ließen. Nur das wird natürlich geheim gehalten). Hochwertige Lebensmittel wie Fleisch oder auch Erdbeermarmelade kennen nur die Reichen. Hübsche, junge Frauen aus der Unterschicht schaffen es manchmal als “Inventar” in der Wohnung eines reichen Mannes einzuziehen und dem Elend zu entgehen. Der Film ist durchaus empfehlenswert. Habe ihn aber wie gesagt sehr lange nicht gesehen. Seit ein paar Jahrzehnten beobachtet man die starke Zunahme industriell verarbeiteter Lebensmittel. Die Zutaten sind nur selten hochwertig und dafür dann doch relativ teuer. Seit ein paar Jahren sollen die Menschen weg vom Fleisch. Stattdessen versucht man Fleischersatzprodukte zu etablieren. Im Film ist der gemeine Pöbel weitgehend entrechtet und kann sich kaum etwas leisten. Die ganz armen Schweine schlafen in großen Schlafsälen. Aufstände werden sofort niedergeknüppelt. Nur eine kleine Elite führt ein angenehmes und weitgehend sorgloses Leben mit guten Produkten. Das wären tatsächlich ein paar Parallelen zum Film. Wenn es auch tatsächlich nicht ganz so schlimm ist. Aber ein paar Dinge haben sich tatsächlich etwas in diese Richtung entwickelt.
Vielleicht werden wir demnächst - wie es der Schriftsteller George Bernhard Shaw schon gefordert hatte - unsere Existensberechtigung erklären müssen. Falls wir es nicht genügend erklären können, warum unsere Existenz nötig und für die Menschheit “nützlich” ist wird man einfach eliminiert werden. Düstere Aussichten.
Ich muss gestehen, das ich diesen Avantgardismus Kanadas für fortschrittlich halte. Fehlentwicklungen und Missbräuche werden sich im realen Tagesgeschäft abarbeiten, das muss man aushalten. Das wird Vorbildcharakter in der Welt haben, ob es anderswo gefällt oder Kritik erntet oder nicht. Wenn ein Leben nicht mehr sinnhaltig ist, für das Subjekt, dann tut sich automatisch diese Option auf, das hängt nicht von den Gesetzen oder Bräuchen einer Gesellschaft ab. Es sei denn, man gibt wie die Christen dem Leiden an sich einen theologischen Sinn. Ich kenne die Situation, wenn man von einem Krebspatienten gefragt wird, ob man nicht etwas habe oder beschaffen könne und man muss sagen, nein, das sei leicht gesagt, man könne sich nicht alles immer einfach machen. Und man weiß innen drin doch, das war eine Lüge - darf man denn einen verzweifelten Menschen in seinen letzten Tagen oder Wochen noch so belügen? Wenn man sich heute bei einem Pharma-Vertrieb oder Hersteller erkundigt, ob ein bestimmtes Präparat zur Selbsttötung geeignet sei im Falle des Falles, dann steht nach einigen Tagen statt Antwortmail die Polizei vor der Tür, durchaus psychologisch geschulte Leute. Man wird ausgiebig befragt und eingeschätzt, ob man suizidgefährdet sei und eventuell mit Maske und Zwangsimpfung in die nächste Nervenklinik eingewiesen werden muss. Wenn man sich aber bei der Polizei erkundigt, ob der ein oder andere beobachtete Sachverhalt eventuell auf ein stattgehabtes Verbrechen schließen ließe, bekommt man keine Antwort, oder noch schlimmer, man wird ermahnt, nicht weiterhin “groben Unfug” in Form solcher Anfragen zu veranstalten. Gutmenschenland eben. Nun ja, ich denke, Gesellschaften entwickeln sich zwangsläufig, und gescheiterte Versuche werden ständig reflektiert. Alle lernen ständig dazu, Fehler werden selten wiederholt und Irrtümer haben ein schweres Leben. Hoffnung schöpft sich immer wieder neu, es gibt keinen Grund pessimistisch zu sein. Aber es gibt Gründe, sterben zu wollen.
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