Gastautor / 10.12.2022 / 14:00 / Foto: Pixabay / 31 / Seite ausdrucken

Kanadas Sterbehilfe-System ist ein moralischer Skandal

Von Kevin Yuill.

Ein Mann, der nicht sterben will, aber obdachlos zu werden droht, wird vielleicht getötet, weil er den Tod der Obdachlosigkeit vorzieht. Der Fall zeigt: Das System Sterbehilfe verselbstständigt sich in blanke Inhumanität.  

Kanada hat die zweifelhafte Ehre, weltweit die Nummer eins in Sachen Euthanasie zu sein. Im Rahmen seines Programms zur medizinischen Sterbehilfe (MAID) wurden in Kanada im vergangenen Jahr mehr Menschen mit tödlichen Injektionen getötet als in jedem anderen Land der Erde – viele von ihnen waren arm, obdachlos oder verzweifelt. Und bald, ab März 2023, werden tödliche Injektionen jedem angeboten, der seine psychischen Probleme als unerträglich einstuft.

Der jüngste Fall von Amir Farsoud hat Kanada und die Welt schockiert und viele Kanadier dazu veranlasst, das System der Sterbehilfe, das sich in den letzten zehn Jahren entwickelt hat, infrage zu stellen. Farsoud ist ein behinderter 54-Jähriger, der von seinem Hausarzt die Genehmigung zur Sterbehilfe erhalten hat. Er beantragte MAID, weil er kurz davorsteht, obdachlos zu werden und kein Geld hat. Er braucht nur noch eine Unterschrift seines Arztes, dann kann er in 90 Tagen getötet werden. In einem verstörenden Interview mit der in Toronto ansässigen Zeitung City News sagte er letzten Monat: „Ich will nicht sterben. Aber noch weniger als sterben will ich obdachlos sein.“ Nachdem sich der Bericht über Farsoud verbreitet hatte, beschuldigten viele auf Twitter Kanada, „arme Menschen buchstäblich umzubringen“. Sogar der Leiter von Dying with Dignity Canada – ein führender Euthanasie-Befürworter – sah sich gezwungen, zu sagen, dass der Fall eine Schande für die Nation sei.

Doch dieser schreckliche Fall ist keine Ausnahmeerscheinung in Kanada. Er ist ein Produkt der scheinbar unaufhaltsamen Ausweitung des MAID-Programms. Euthanasie wurde erstmals 2016 legalisiert und war zunächst nur für unheilbar kranke Erwachsene oder Menschen, deren Tod „hinreichend absehbar" ist (in der Praxis kann dies bedeuten, dass sie nur noch wenige Jahre zu leben haben), verfügbar. Im Jahr 2019 waren zwei Prozent aller Todesfälle in Kanada auf MAID zurückzuführen. Im Jahr 2020 stieg dieser Anteil auf 2,5 Prozent aller Todesfälle, und im Jahr 2021 war MAID für 3,3 Prozent aller kanadischen Todesfälle verantwortlich. Für dieses Jahr wird mit einem weiteren Anstieg gerechnet, da der Anspruch auf MAID im Jahr 2021 auf Personen ausgeweitet wurde, deren Tod nicht „hinreichend absehbar“ ist. Eine einfache Behinderung oder körperliche Schmerzen reichen nun aus, um Anspruch auf MAID zu haben. Laut City News ist dies der Grund, warum Farsoud, der an Rückenschmerzen leidet, wahrscheinlich die Voraussetzungen erfüllt. Und im März 2023 wird Euthanasie auch für diejenigen möglich sein, die nur an psychischen Krankheiten leiden.

Im Gegensatz zu anderen Ländern, die Sterbehilfe legalisiert haben, wie Belgien und die Niederlande, sind kanadische Ärzte nicht gezwungen, andere medizinische oder soziale Möglichkeiten zu finden, die das Leiden eines Patienten lindern können. Es reicht aus, wenn ein Patient sagt, sein Leiden sei unerträglich. In einem Artikel des World Medical Journal heißt es dazu: „Kanada [...] hat jetzt wohl das am weitesten geöffnete staatlich geförderte Suizidsystem der Welt.“

Die Büchse der Pandora ist geöffnet

Fälle wie der von Farsoud waren offenbar weder für die kanadische Regierung noch für das Parlament oder den Obersten Gerichtshof „hinreichend absehbar“. Die Legalisierung der Sterbehilfe wurde tatsächlich vom Gericht initiiert. Im Jahr 2015 forderte es eine Gesetzesänderung, weil es der Meinung war, dass das Verbot der Sterbehilfe die Grundrechte der Kanadier beeinträchtige. Es stellte fest, dass „eine freizügige Regelung mit ordnungsgemäß konzipierten und verwalteten Sicherheitsvorkehrungen in der Lage wäre, gefährdete Menschen vor Missbrauch und Fehlern zu schützen“. Das erste Gesetz zur Sterbehilfe wurde dann 2016 vom Parlament verabschiedet.

In meinem Buch aus dem Jahr 2013, „Assisted Suicide: The Liberal, Humanist Case Against Legalisation“, habe ich davor gewarnt, dass schon die Freigabe der Sterbehilfe bei unheilbaren Krankheiten im Endstadium „die Büchse der Pandora“ öffnen könnte. Wenn Sterbehilfe mit der „Linderung von Leiden“ gerechtfertigt wird, dann sollten wir erwarten, dass „immer mehr Kategorien“ von Menschen „die Anerkennung ihres Leidens verlangen, indem sie für sich selbst Sterbehilfe fordern“. Die Kategorien haben die Tendenz, sich auszuweiten; und diejenigen, die darauf bestehen, Sterbehilfe nur Menschen mit unheilbaren Krankheiten im Endstadium zugänglich zu machen, müssen sich darauf einstellen, auf diese Forderungen derjenigen zu antworten, die aus guten Gründen ihr eigenes Leiden aufzeigen können“. Genau das ist geschehen.

Tragische Fälle wie der von Farsoud werden nur noch häufiger auftreten. Die kanadische Regierung und die Gerichte betrachten den Tod als ein angemessenes Mittel zur Linderung von Leiden – und als bloße Frage der freien Wahl. Und in manchen verzweifelten Situationen scheint der Tod die einzige „Wahl“ zu sein, die jemand hat, der unter Armut und Behinderung leidet (beides geht oft Hand in Hand).

Es gibt ermutigende Anzeichen dafür, dass Fälle wie der von Farsoud die Kanadier für die Schrecken von MAID sensibilisieren. Sein Fall sollte nicht als Ausnahme oder als unglückliche unbeabsichtigte Folge einer ansonsten vernünftigen Politik betrachtet werden. Kanada treibt tatsächlich einige seiner armen und behinderten Bürger in den Tod.

Kanada mag bei der Sterbehilfe weltweit führend sein, aber dies ist nicht nur ein kanadisches Problem. Kanada hat die Logik der Euthanasie und des assistierten Suizids einfach rücksichtsloser und schneller verfolgt als andere. Das muss der Welt eine Warnung sein. Wenn der Tod als Lösung für die Übel des Lebens angeboten wird, was können wir dann noch erwarten?

Dieser Beitrag ist zuerst beim britischen Magazin Spiked erschienen. Aus dem Englischen übersetzt wurde es für Novo-Argumente von Thilo Spahl. 

Foto: Pixabay

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E. Albert / 10.12.2022

Erschütternd, aber es wundert mich nicht, da in Kanada ein besonders höriger WEF-Jünger im Chefsessel sitzt. In Augen der menschenverachtenden, effizienten, technokratischen Globalisten und “Transhumanisten” stellen solche Menschen lediglich “Nutzlose Esser” dar. (Das hat Schwabs Einflüsterer Harari tatsächlich so von sich gegeben.) Der Schritt zum “lebensunwerten Leben” ist da also nicht weit. Wir alle sind für die nur Vieh!

Paul Salvian / 10.12.2022

Der staatliche kanadische Sender CBC brachte diese Woche folgende frohe Botschaft aus der schönen neuen Trudeau-Welt: “Medically assisted deaths could save millions in health care spending: Report. - Across Canada, journal calculates up to $136.8 M savings”. Sind das nicht herrliche Aussichten? Auf so etwas läuft es immer und überall hinaus, wenn man der ethischen Anerkennung und Legalisierung von Abtreibung und Euthanasie auch nur den kleinen Finger reicht. Es ist eine Illusion zu glauben, dass sich das auf die Dauer unter Kontrolle halten lässt. - PS: Rudolf Dietze, vielen Dank für Ihr persönliches Zeugnis! Eine Welt ohne Leiden wäre zugleich eine Welt ohne Freude, ohne Lernmöglichkeiten, ohne Mitmenschlichkeit.

Werner Grandl / 10.12.2022

Zeit meines Lebens hielt ich das “Böse” für keine eigene Kategorie sondern nur für einen Mangel an Erkenntnis. Nur die katholische Kirche phantasierte von Teufel und “Antichrist”. In den letzten Jahren sind meine Zweifel an der menschlichen Gesellschaft leider soweit gediehen, dass ich die Existenz eines “satanischen Prinzips” als metaphysische Entität nicht mehr ausschließen kann. Abtreibung, Euthanasie, willkürliche Geschlechtsumwandlungen an Kindern haben ein verheerendes Ausmaß angenommen. Wer dagegen ist, ist “rrreeechts”!

Marc Greiner / 10.12.2022

“Sterbehilfe”, “Abtreibung”, “Geschlechtsumwandlung”, was haben diese Wörter gemeinsam? Sie sind Euphemismen bzw. Lügen. Aber mich betrifft es ja nicht und ich bin ja ach so liberal. Es werden Leben zerstört, bzw. eliminiert, täglich, und keinen kümmerts. Denn wir haben wichtigere Probleme. Stichwort “Klimakriese”, “Rasissmus”, irgendwelche Ungleichheiten usw. Da kommt mir das Buch “Jugend ohne Gott” von Ödon von Horvath in den Sinn. Ich würde es “Gesellschaft ohne Gott” nennen.

Gerhard Schäfer / 10.12.2022

Es ist letztlich die logische Folge einer transhumanistischen Sichtweise einer technokratischen Gesellschaft. Die Vernichtung angeblich unwerten Lebens ist Ziel jeglicher Euthanasie! Jedes System der Sterbehilfe ist Hilfe zum Mord,- auch wenn es als Selbstmord gesehen wird! Wir gehören in ethischer und religiöser Hinsicht nicht uns selber, sondern sind Eigentum Gottes! (1. Korinther 6 Vers 19). Deshalb haben wir - oder auch Andere, - nicht über unser Ableben zu entscheiden. Es muß für uns Menschen auch immer andere Wege geben, als Verpflichtung in einer humanen Gesellschaft!

Rudolf Dietze / 10.12.2022

Liebe Frau Braun natürlich nehmen Sie die Spritze. Es geht hier nicht um Schmerzen sondern um Sterbehilfe. Eine Paliativbehandlung beinhaltet natürlich auch lebensverkürzende Schmerzmittel, ermöglicht dem Patienten aber noch eine Teilnahme am Leben. Es sind wenige letzte Tage wo Morphium in den Sterbeprozeß eingreift. Aber sich MAID ausliefern, weil im Leben etwas schief läuft, oder welche Gründe auch immer, da ist doch etwas grundsätzlich falsch. Es riecht nach Abschaffungskommando. Da gabs mal einen Fernsehfilm 69 oder 70.

Jochen Lindt / 10.12.2022

Selbstmord aus Angst vor Altersarmut war im viktorianischen England des 19.Jh. die häufigste Todesursache.  In aller Regel waren es Männer, die sich selbst so ein Ende machten.  In Deutschland war das auch durchaus nicht unbekannt, bis ungefähr zu Bismarck, der heute von SPDFDPGrün vehement bekämpft wird.

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