Deutsche Medien sind beleidigt, weil Joe Biden seinen Rückzug via Elon Musks „X“ verkündete. Derweil eskaliert die Schlacht um Kamala Harris. Wenn die Republikaner glauben, gegen sie noch leichteres Spiel als gegen Biden zu haben, ist die Wahl für Trump schon verloren.
Theo Koll, der sein Rentnerdasein unterbrochen hat, um als Politik-Experte für das ZDF Expertisen abzugeben, macht sich Sorgen. Sorgen wegen der ungebremsten und schlecht überwachten Social-Media-Plattformen, wo jeder jeden Blödsinn ungeprüft verbreiten dürfe. Man lasse das „einfach laufen“ und das sei falsch. So schildert er es im „Sonntags-Stammtisch“ des Bayerischen Rundfunks am Sonntag, den 21.7.2024.
Welcher Nachricht kann man denn heute noch trauen, wenn sie irgendwo auf X gepostet wurde und nicht durch die läuternden Wahrheitsmühlen von ARD, ZDF oder CNN gelaufen ist? Ich glaube ja, der Theo ist da einer ganz großen Sache auf der Spur, und wenn er Recht hat mit seiner Besorgnis, müssen wir ganz schnell ein Rettungsteam aus Experten zusammenstellen, die im Rosengarten des Weißen Hauses aus Hubschraubern springen, um die Demokratie in den USA zu retten. Und Präsident Joe Biden natürlich!
Jetzt, wo der Theo mich drauf gestoßen hat, finde ich es schon sehr merkwürdig, dass der Joe freiwillig ausgerechnet die Plattform dieses Trump-Supporters Musk benutzt haben soll, um der Welt mitzuteilen, dass er an der Weltrettung nicht länger teilnehmen will. Mit solchen Nachrichten geht man doch zur New York Times oder zu Dunja Hayali und postet nicht den lausigen Screenshot eines Briefes, dem sogar das präsidiale Gepränge in Form des Siegels des Präsidenten fehlt.
Aber via X? Das fasst doch keiner an!
Vielleicht ist ja noch Hoffnung, und Bidens Kidnapper haben noch keine Kontrolle über das offizielle Briefpapier! Oder sind sie besonders clever, weil sie nicht offizielle Dokumente erzeugen, sondern nur ein formloses Brieflein ohne offiziellen Kopf? Fehlt deshalb der Rücktritt vom Amt, weil dazu offizielle und öffentliche Vorgänge nötig wären, in die man Außenstehende einbinden müsste? Die Unterschrift unter dem Kandidaturverzicht sieht ja auch recht merkwürdig aus. Irgendwie gar nicht wie die, die wir von anderen Dokumenten Bidens kennen. Er weigert sich vielleicht standhaft – die Demokratie verteidigend –, für ein glaubhaftes Dementi korrekt zu signieren. Ach, wenn die Meldung nur über CNN oder der Tagesschau… die Experten für forensische Schriftvergleiche wären sicher in der Lage, das zu verifizieren. Und der Theo wäre ja auch noch da. Aber via X? Das fasst doch keiner an! Das glaubt doch keiner!
Und, lieber Theo Koll, was, wenn alles noch viel schlimmer ist? Wenn Biden sich längst im Zustand eines Woodrow Wilson befindet? Wenn er umnachtet, weggetreten und eiswaffelleckend im Schaukelstuhl sitzt, abgeschirmt von Jill und Hunter? Kein Lebenszeichen, kein Video, kein Interview, nur zwei lausige Tweets, die sein Wahlkampfteam (dessen Twitter-Profil mittlerweile gelöscht ist) genauso überraschten wie vielleicht ihn selbst, sollte er jemals davon erfahren. „Später in der dieser Woche“ wolle er sich per Video an die Welt wenden, so sagt der Screenshot des „Briefes“. Doch wer wird das Video aufzeichnen, schneiden, und wird es am Ende auch auf X gesendet, dieser Spitzbubenplattform des rechten Raketenmannes, die dem Theo solche Sorgen bereitet!
Und hat er nicht recht?! Wer hat kontrolliert, dass die Fakten stimmen im Fall des Biden-Rückzuges via X? Und wie kann es sein, dass die weltweite Journallie so bereitwillig an die Echtheit der Nachricht glauben, nur weil sie deren Quelle blind vertrauen? Biden twittert aber nicht selbst. Wir wissen also weder wem da vertraut wird, noch ob das Vertrauen gerechtfertigt ist. Hört auf Theo, der kennt sich aus! Und schickt endlich die Hubschrauber los!
Soviel zum Einstieg, den die Leser bitte „cum gano salis“ als Satire betrachten mögen. Doch abgesehen von der theoretischen Möglichkeit, dass wir es hier tatsächlich mit einer innerfamiliären Verschwörung zu tun haben könnten – mit sagen wir fünf Prozent Wahrscheinlichkeit – geht mit weit größerer Wahrscheinlichkeit die Realität gerade über Theo Koll und anderer Apologeten der öffentlich-rechtlichen Wahrheitsverwaltung hinweg: Die Meldung über Bidens Rückzug erschien auf X. Nicht auf CNN, nicht in der Washington Post, nicht beim zensurwilligen Facebook. Musk darf sich in all den Wirren der letzten Tage schon mal als der eigentliche Sieger fühlen. X hat gewonnen und alle Journalisten, die sich, wie Theo Koll, gern über die Plattform beschweren, rennen „Extrablatt! Extrablatt!“ brüllend mit Meldungen durch die Studios, die auf eben dieser unkontrollierten Plattform veröffentlich wurden. Vor meinem inneren Auge betritt Musk gerade mit einem Waschbecken das ZDF-Hauptquartier in Mainz und sagt grinsend „let this sink in“.
Die Nachbeben
Sowohl Demokraten als auch Republikaner finden sich seit Bidens Rückzug in einem völlig neuen Wahlkampf wieder. Der Zeiger des sprichwörtlichen Momentums zuckte gerade leicht in Richtung der Demokraten. Für sie ist mit Biden die größte Unsicherheit aus dem Weg geräumt. Die Republikaner hatten gerade ihren Nominierungsparteitag, auf dem alles verbale Sperrfeuer auf Joe Biden gerichtet war. Deren ganze Kampagne ist auf der offensichtlichen Unfähigkeit Bidens aufgebaut, das Land zu führen. Es wird zwar nicht lange dauern, die Richtung zu korrigieren, aber der Rückenwind von RNC und dem misslungenen Attentat auf Trump ist erst mal weg, selbst das Time-Magazin schafft es aus der Bredouille mit der Verwirrung um das Titelbild von Trump, in dem man sich nun motivisch in die nächste Sensation retten kann: Harris ersetzt Biden.
Ein Teil der Verzweiflung der Dems und ihrer Geldgeber über den uneinsichtigen Frontrunner Biden ist nun verflogen. In den sieben Stunden nach dessen Ankündigung sammelte Harris über die Plattform „ActBlue“ 50 Millionen Dollar an Wahlkampfspenden ein. Ein Rekord! Und die Narrative drehen sich schneller als eine Kirchturm-Wetterfahne. Plötzlich ist Trump der älteste Präsidentschaftskandidat in der Geschichte, während dieser Umstand noch gestern bei Biden keine Rolle spielen durfte.
Dass man nicht deutlich genug von „zu alt“ auf „mental nicht fit“ geschaltet hat, könnte sich nun rächen. Ob die Demokraten aus dem „Fitness-Vorteil“ mit Kamala Harris irgendein Kapital schlagen können, ist allerdings ungewiss. Deren Kontakte mit der Realität eines echten Wahlkampfes endeten 2020 katastrophal. Alle Ämter, die zuvor durch Wahlen an sie gefallen waren, hatten den Geruch des Nepotismus oder lagen in sicher demokratischen Gegenden wie San Francisco bzw. Kalifornien, wo selbst das sprichwörtliche Schinkensandwich gegen einen Republikaner gewinnen würde.
Bidens Verzicht zum Epos hochfiedeln
Geld ist jedenfalls genug da, doch wird allerdings die Zeit knapp, um auf die Stimmzettel in einigen Bundesstaaten zu kommen. Nicht vergessen, wir haben es zwar mit einer Wahl auf Bundesebene zu tun, die Wahlgesetze zu deren Durchführung obliegen jedoch den einzelnen Staaten – und die handhaben das jeweils völlig anders. In Pennsylvania zum Beispiel kann ab dem 16. September mit der Briefwahl begonnen werden, das sind ganze 55 Tage von heute, und nur 28 Tage liegen zwischen der offiziellen Nominierung auf dem Kongress der Dems und dem Start der Wahl in Pennsylvania! Die Demokraten werden einige Hebel in Bewegung setzen müssen, um sich hier Ausnahmen zu sichern, was wiederum bedeutet, dass die demokratischen Spielregeln gebeugt, wenn nicht gebrochen werden, was dazu führt, dass Trump nur sagen muss „schaut euch das mal an“. Es ist sogar möglich, dass die Wahlzettel in manchen Staaten nicht mehr rechtzeitig geändert werden können und am 4. November immer noch Joe Biden als Kandidat zu finden sein wird.
Die Medien werden zudem dafür sorgen, dass die Heldenverklärung Trumps rasch verebbt und versuchen, stattdessen Bidens Verzicht auf die Kandidatur zum Epos hochzufiedeln. Auch wenn das nicht lange anhalten kann. Man muss nämlich schon um einige Ecken herum argumentieren, um Bidens Ausscheiden zur Heldentat zu framen, denn es erfolgte nicht aus Einsicht in die eigene gesundheitliche Misere, sondern aus Angst vor der sicheren Niederlage. Wäre es anders, hätte Biden auch vom Amt des Präsidenten zurücktreten müssen. Wobei er das ja noch nachholen könnte, sollten sich die pro/kontra-Kamala-Kämpfe rasch zu deren Gunsten entscheiden.
Unfallfrei vom Teleprompter ablesen
Doch auch für Trump hat sich im Nachgang des Attentats etwas geändert, was sich langfristig vielleicht als größter Gewinn von allen erweisen könnte. Das Geflüster hat aufgehört. Es ist nicht mehr verpönt, sich zu ihm zu bekennen, ihn für irgendwie cool zu halten und zumindest für die eine Sache zu bewundern, die er getan hat und die sich medial auch nicht mehr wegframen lässt. Sie wissen schon, das Foto… Marc Zuckerberg sagte neulich im Interview, die erhobene Faust Trumps nach dem Anschlag sei „das krasseste, was ich je in meinem Leben gesehen habe“ – seit der Widerherstellung von Trumps Insta- und Facebook-Account (freie Meinungsäußerung, auf einmal) ist das wohl das Netteste, was er je über den „Orange Man“ gesagt hat!
In einigen dem Rückzug Bidens eilig nachgeschobenen Umfragen schneidet Harris gegenüber Biden maximal eine Winzigkeit besser ab, liegt aber deutlich hinter Trump. Genauere Zahlen werden mindestens noch eine Woche auf sich warten lassen. Die nächsten Tage und nicht zuletzt Harris’ öffentliche Auftritte dürften entscheidend sein für die Frage, ob sie wider Erwarten doch eine ernsthafte Konkurrentin für Trump werden kann.
Es mag oft kein großes intellektuelles Licht brennen zwischen ihren Lachflashs, aber sie kann im Gegensatz zum Amtsinhaber unfallfrei vom Teleprompter ablesen. Und Harris ist deutlich mehr am Leben als Joe Biden, auf dessen bloße „körperlichen Präsenz“ die Dems 2020 eine ganze Wahlkampagne aufbauten. Wenn die Republikaner glauben, gegen Harris noch leichteres Spiel als gegen Biden zu haben, ist die Wahl für Trump schon verloren.
Es bleibt also spannend.
Roger Letsch, Jahrgang 1967, aufgewachsen in Sachsen-Anhalt, als dieses noch in der DDR lag und nicht so hieß. Lebt in der Nähe von und arbeitet in Hannover als Webdesigner, Fotograf und Texter. Sortiert seine Gedanken in der Öffentlichkeit auf seinem Blog unbesorgt.de