Urs Gehriger unterhielt sich für die Weltwoche mit Robert Kagan. Lesenswert!

Wie wird Europa auf den Aufstieg der Autokratien reagieren?
Als erhebliche Gefahr sehe ich Europas wachsende Abhängigkeit von russischer Energie. Russland instrumentalisiert seinen Öl- und Gasreichtum für seine geopolitischen Ziele. Wegen seiner Abhängigkeit hält sich Europa mit Kritik an Russlands Grossmachtgebaren zurück. Wenn Russland mit Georgien auf Konfrontationskurs geht, ist klar, dass viele Europäer sich nicht mit Russland anlegen wollen. Aber Europa kann Russlands Ansprüche in seiner Nachbarschaft nicht ignorieren. Wenn Moskau Druck auf die baltischen Staaten ausübt, ist dies ein europäisches Problem. Wenn Russland den Tschechen wegen eines Raketenabwehr-Radars mit militärischer Vergeltung droht, ist dies ein Problem für Brüssel. Ich glaube, wir werden in Zukunft vermehrt Friktionen dieser Art sehen.

Wie werden die gestärkten Autokratien in der Uno auftreten?
China und Russland werden den Demokratien – USA, Grossbritannien und Frankreich – im Sicherheitsrat nicht beistehen, wenn es darum geht, ein autokratisches Regime zu sanktionieren. Von Moskau und Peking ist nicht zu erwarten, dass sie Sanktionen gegen den Sudan unterstützen. Und wie wir bereits sehen, ist es extrem schwierig, gegen Iran diplomatisch vorzugehen, wenn Tehe-ran auf die Unterstützung Pekings und Moskaus zählen kann. Wir können nicht mehr von einer internationalen Gemeinschaft sprechen. Stattdessen haben wir eine Blockade des Uno-Sicherheitsrats. Deshalb plädiere ich dafür, dass die USA sich an die Spitze eines zunächst informellen Bündnisses von Demokratien setzen.
[...]
Nennen Sie mir drei Gründe, warum Amerika die globale Führerschaft haben muss.
Es muss nicht. Die Frage ist: Was sind die Alternativen? Viele Europäer wiegen sich im Glauben, man müsse den Gulliver USA bändigen, dann würden die internatio-na-len Institutionen gestärkt, und die Welt würde ein besserer Ort. Das ist eine grosse Illusion. Die Alternative ist eine Balance zwischen den USA, China und Russland, Indien, Japan und Europa. Die Folge wäre eine harte Konkurrenz zwischen Autokratien und Demokratien. Eine solche multipolare Welt wäre gefährlicher für alle – sicher für alle, die unsere Prinzipien teilen.
[...]
Sie würden also allen widersprechen, die in Bush den Hauptschuldigen dafür sehen, dass Amerika für viele im Westen zum Paria geworden ist?
Das Bush-Phänomen hat ein Eigenleben entwickelt. Die Europäer hassen Bush derart abgründig, dass sie jeden glücklich empfangen werden, der im November seine Nachfolge antritt. Europa hofft, ein neuer Präsident werde quasi über Nacht eine aussenpolitische Spitzkehre vollziehen. Wer dies glaubt, wird von der Realität unsanft geweckt werden. Die Europäer werden realisieren, dass die amerikanische Aussenpolitik sich nicht so entwickeln wird, wie sie es sich vorgestellt haben. Es gibt viel mehr Kontinuität zwischen Clinton und Bush, als die Leute wahrhaben wollen – inklusive Irak. Und es wird viel mehr Kontinuität geben zwischen Bush und seinen Nachfolgern, sei es Obama, Clinton, McCain, Giuliani oder Romney.

Wird das desillusionierte Europa sich dann noch stärker von den USA abwenden?
Im Gegenteil. 2009 werden die Menschen realisieren, dass die USA nicht der einzige Faktor sind, der einem Furcht einflössen kann. Der Aufstieg von zwei mächtigen Auto-kratien, die Rückkehr zur Rivalität der Grossmächte, der ökonomische Wettbewerb, der Europa bevorsteht, die Probleme mit Russland entlang der europäischen Aussengrenzen – all das wird Europa wieder näher an die USA heranführen.
Hier ganz lesen!